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“Alles aus!” (Schon wieder…)

Katrin Schuster
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Gerhard Henschel verkündet nicht den Untergang der Welt. Aber vielleicht den Untergang des Untergangs. Am Dienstag liest er in den Kammerspielen.

untergang des abendlandes

Das ewige Gezicke zwischen Zeitungen und World Wide Web, die sich gegenseitig die Schuld am Niedergang der Kultur zuschieben wollen, nervt ja nicht erst seit gestern. Da kommt  „Menetekel“ tatsächlich mehr als recht. Denn darin fasst der Autor all die zahllosen Warnungen vor dem Untergang des Abendlandes mit einer herrlich ätzenden Ironie zusammen.

Und landet auf dieser Suche nach der darin immer wieder beschworenen guten alten Zeit erst einmal im Pliozän: Nur damals, so folgert Henschel, nachdem er sich immer weiter zurück gelesen und überall nur dieselben Klagen über den Verfall der Sitten und der Moral gefunden hat, habe wohl jene Monogamie und jene „Rassentreue“ geherrscht, die die nimmermüden Mahner ein ums andere Mal als einzige Möglichkeit des Überlebens vorstellten. „Vegetiert hatten diese ostafrikanischen Urahnen der Menschheit im Pliozän“, schreibt Henschel, „ohne Kenntnis der Feuerzähmung, ohne Faustkeil, Steinaxt, Töpferscheibe, Rad und Pflug und auch ohne Tisch und Bett, ohne Kamm und Seife, aber dafür in der Gesellschaft des Säbelzahntigers. Wenn das die gute alte Zeit war, sollten die ‚Propheten des Niedergangs‘ die Korrelation zwischen maßlosem Lebensgenuss und kulturellem Abstieg noch einmal gründlich überdenken.“

Getreu nach Michael Rutschkys Satz, dass „die apokalyptische Rede […] ihrer Form nach, ganz unabhängig davon, was sie verkündet, autoritativ“ sei, nimmt sich Gerhard Henschel dann alle schön nacheinander vor: die Menetekel der Kirchenväter, den Mythos vom Untergang Roms durch unkeuschen Lebenswandel, die Germanen als Ikone einer natürlichen Kultur, die Warnungen vor der Großstadt, dann Ernst Moritz Arndt, Oswald Spengler, die Stunde Null, die keine war, Günther Anders und Rolf Dieter Brinkmann. Dabei kommen freilich auch Henschels Säulenheilige der Neuen Frankfurter Schule wie seine höllische Ikone, die BILD-Zeitung, nicht zu kurz, und die kleine Diskursgeschichte beginnt sich langsam zu vernetzen.

Am liebsten ist es Henschel dabei, die Denunziatoren selbst zu denunzieren: Es seien nicht die modernen Zeiten, sondern ganz allein die Apokalyptiker, die ihre geilen Fantasien nicht zügeln könnten und deshalb von nichts anderem sprächen. Die rhetorische „Dauerbeschäftigung mit der Fleischeslust“ dieser „Voyeure des Sittenverfalls“, „deren Heftigkeit mehr über den Aufruhr im Gemüt der Zeugen verrät als über den Wahrheitsgehalt ihrer Aussagen“, entlarve höchstens ihre Autoren, aber niemals die Zeiten, in denen sie geschrieben wurden. Und hinter diesem Schleier steckt meist nicht mehr als der blanke Rassismus und Nationalismus. „Menetekel“ taugt mithin selbst gar nicht so schlecht zum Menetekel – als laute Warnung an all die Untergangspinsler, dass ihnen einer auf die Finger sieht und die Zeichen der „pastörlich getönten Denunziation der permissiven Gesellschaft“, die da an die Wand gemalt werden, genau kennt und wiedererkennt. Man sollte sich wirklich ernsthaft überlegen, ob man dieses Buch nicht als Pflichtlektüre einführt für alle, die in der Öffentlichkeit publizieren wollen. Dann wäre es vielleicht manchmal ein wenig stiller und angenehmer – ganz so wie in den guten alten Zeiten eben, die niemals existiert haben.

Gerhard Henschel „Menetekel – 3000 Jahre Untergang des Abendlandes” ist soeben bei Eichborn  erschienen. Es kostet 32 Euro. Am Dienstag, den 4. Mai, liest Henschel ab 20 Uhr im Neuen Haus der Kammerspiele (Falckenbergstraße 1). Der Eintritt kostet neun Euro (ermäßigt fünf).

Diese ist Rezension von Katrin Schuster, der Macherin des Blogs literatur-muenchen.de (www.literatur-muenchen.de/), ist in der Maiausgabe des Münchner Literaturmagazins KLAPPENTEXT erschienen. Ein KLAPPENTEXT-Abonnement (www.literatur-muenchen.de/blog/mehrklappentext/ja-ich-will/) ist kostenlos.

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