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Protest auf Papier

Hannes Kerber
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Die Studentenproteste, die im Herbst 2009 ganz Europa ergriffen, sind vorbei. Jetzt haben zwölf Münchner Studierende die Buchreihe „Unbedingte Universitäten“ ins Leben gerufen, die die Ereignisse reflektiert. Im Interview antworten drei der Herausgeber auf die Frage, wie die Kritik an Bologna nach dem Ende der Hörsaal-Besetzungen weitergeführt werden soll.

Die drei Komparatistikstudenten Adrian Renner, Vera Kaulbarsch und Johannes Kleinbeck haben zusammen mit neun Kommilitonen Mitte 2010 zwei Bände veröffentlicht, die sich direkt mit der Möglichkeit zur Weiterführung des Protests beschäftigen.

Namentlich geht es um den Band Was ist Universität? mit klassischen Aufsätzen zum Konzept von Universität und Bildung, wie es etwa von Theodor W. Adorno, Wilhelm von Humboldt oder dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund in den letzten zweihundert Jahren gedacht wurde, und Was passiert? mit aktuellen Essays von Ulrich Beck, Judith Butler, Plínio Prado und anderen Intellektuellen, die die Geschehnisse der letzten Monate an den Hochschulen reflektieren.

Anfang 2010 wurde die Besetzung des Audimax an Ihrer Heimatuniversität, der Ludwig-Maximilians-Universität, beendet. Zu dieser Zeit verloren die Studentenproteste gegen Bologna in Deutschland und Europa massiv an Intensität. Was ist geblieben?

Adrian Renner:
Durch die Studentenproteste ist in der Politik und in der Hochschulverwaltung das Bewusstsein gewachsen, dass Verbesserungen in den Bolognastudiengängen notwendig sind. Außerdem hat sich bei uns Studenten ein neues Verhältnis zur Universität entwickelt. Aber die inhaltlichen Ziele, die wir Studenten verfolgt haben, wurden nicht erreicht.

Während des Protests haben sich aber viele Politiker und Professoren mit den Studenten solidarisiert. Gleichzeitig ist, wie Sie sagen, eine Kurskorrektur ausgeblieben. Was ist der Grund für dieses Missverhältnis?

Vera Kaulbarsch: Es ist eine Fehleinschätzung, zu glauben, dass der Protest inhaltlich befürwortet wurde. Ziel der Politik war eine Reform der Reform. Der Politik ging es um kleine Nachbesserungen an Bologna. In vielen Studiengängen gab es auch Verbesserungen, etwa bei der Vergabe von ECTS-Punkten. Der Studentenprotest hat sich aber gegen die Ideologie des Bologna-Prozesses gewendet; das wurde von wenigen Politikern verstanden und von wenigen befürwortet.

Was genau waren Ihre Forderungen?

Adrian Renner: Im Kern richtete sich der Protest gegen eine bestimmte Verwertungslogik der Bologna-Reform. Diese Logik drückte sich etwa durch ständige Notenvergabe, Studiengebühren, Vorenthaltung von studentischer Mitbestimmung, Modularisierung von Studieninhalten und ständigen Selektionsmechanismen aus.

Wie hätte angesichts der vielfältigen und unterschiedlichen Forderung eine Zustimmung der Politik aussehen können?

Adrian Renner: Eine Zustimmung der Politik, wie ich sie mir gewünscht hätte, wäre die Neuverhandlungen der Grundgedanken von Bologna auf europäischer Ebene gewesen.

Johannes Kleinbeck: Ganz konkret wären aber auch die Abschaffung von Studiengebühren, eine stärkere Mitbestimmung der Studenten und akkreditierungsfreie Studiengänge Maßnahmen gewesen, die in unserem Sinne sind.

Wie kann es Ihrer Meinung nach jetzt weitergehen?

Adrian Renner: Unser Weitergehen ist, über genau diese Frage nachzudenken: Wie kann sich aus Reflexion eine Protesthandlung entwickeln? Wir Studenten müssen aus den Erlebnissen und Erkenntnissen, die wir durch den Protest gewonnen haben, eine dauerhafte Praxis entwickeln.

Vera Kaulbarsch: Sich hinzusetzen und über diese Dinge nachzudenken: Das ist doch schon selbst ein Akt. Dass man sich selbst organisieren, selbst Seminare gründen und mit anderen Studenten zusammensetzen kann, ist etwas, das mir vor dem Protest nicht klar war. Wir können selbst die Initiative ergreifen.

Sie haben genau das im letzten Winter gemacht: Sie haben gemeinsam mit zwölf anderen Studenten ein Seminar gegründet, das sich mit Texten zur Idee der Universität beschäftigt. Daraus sind zwei Bände entstanden, die in der von diesem Seminar herausgegebenen Buchreihe „Unbedingte Universitäten“ erschienen sind. Was ist das Ziel dieser Bücher?

Vera Kaulbarsch: Ganz platt gesagt: Der Weg ist das Ziel. Für mich war der Prozess wichtig. Ich wollte einen Raum haben, in dem ich über die Fragen, die sich mir gestellt haben, nachdenken konnte.

An wen richten sich die Bücher?

Johannes Kleinbeck:
Wenn die Bücher jemanden ansprechen, dann weil wir unseren Arbeits- und Denkprozess dokumentiert haben. Die Idee war nicht, etwas für andere zu machen. Es war mehr der Wunsch, etwas zu tun, das uns in unseren eigenen Fragen weiterbringt.

Es verwundert, dass Sie einerseits den Anspruch vertreten, europaweit müssten die Universitäten verändert werden – und dass sie andererseits mit großer Lockerheit sagen, dass die Bücher sich nicht in erster Linie an ein Publikum richten.

Johannes Kleinbeck: Das ist ein Missverständnis. Auf der lokalen Ebene oder sogar nur bei sich selbst zu schauen, was nicht richtig läuft, ist nicht der Ausdruck von Lockerheit. Das ist die ernsthafteste Sache, die man machen kann. Politik ist genau das. Und es geht darum, dies weiter sichtbar zu machen.

Durch die Bücher haben Sie Ihr Nachdenken auf eine bestimmte Art sichtbar gemacht. Haben Sie weitere Pläne?

Adrian Renner: Ja. Uns stellen sich zwei Fragen: Was tun? Und: Was ist Tun überhaupt? Wir planen ein Seminar und eine Tagung. Die Buchreihe wird ebenfalls fortgesetzt werden. Aber wir arbeiten nicht zielgerichtet auf die nächste Publikation hin. Wir überlegen erst inhaltlich und wenn sich daraus ein Buch ergibt, ist das gut.

Dieser Artikel erschien erstmalig auf der Website des Goethe-Instituts e.V. unter www.goethe.de.

Foto für mucbook.de: Sebastian Gabriel

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