Nach(t)kritik

Sonntags Bonuszeit in Tristania

Thomas Steierer

Schamoni
Der Hamburger Subkultur-König Rocko Schamoni („Dorfpunks“, „Sternstunden der Bedeutungslosigkeit“,  „Studio Braun”, „Golden Pudel Club”)  liest am 8. April im Amerika Haus aus seinem neuen Roman „Tag der geschlossenen Tür.“ Vorab eine Rezension.

„Ich bin für einen Moment ratlos. Man hat mich dabei erwischt, wie ich in der Kunsthalle in einer gefälschten Wärteruniform über eine tote Fliege gebeugt sitze und mit ihr rede. Was soll ich sagen?“
Wenn man um jeden Preis auf blöd mal Museumswärter sein will und es auf dem normalen Bewerbungs-Weg nicht klappt, bleibt: In Eigenregie wuppen. Mit Flohmarkt-Aufseherkluft,  selbstgebasteltem Phantasie-Namenschild („Herr Luigi Lottkolder“), privatem Stuhl und ebenfalls reingeschmuggelter toter Stubenfliege namens Fräulein Totelinchen. Zum Plaudern beim monotonen Sitzjob. Bis man auffliegt und die Polizei dem Spuk eine Ende macht.

In derartige Situationen manövriert sich Michael Sonntag regelmäßig. Huldigt in Hamburg-St.Pauli dem Unnützen. In Form hanebüchener Nonsens-Aktionen. Inzwischen ist der bereits aus Rocko Schamonis letztem Roman „Sternstunden der Bedeutungslosigkeit“ bekannte Überzeugungs-Slacker Ende Dreißig: „Die Zeit rennt mir davon. Ich lebe in der Bonuszeit. In der Zeit nach dem fünfunddreißigstem Lebensjahr.“

Nichtsdestotrotz: Sonntag harrt auch in „Tag der geschlossenen Tür“ unbeirrt der Dinge. Kraft Amtes als „Fürst der Bedeutungslosigkeit.“ Wartet weiter stoisch auf Godot. Aktiv (wie im Museum). Und passiv: „Um es klar zu formulieren: Ich sitze vor dem Fernseher und warte auf die großen Gedanken. Meist vergesse ich sie sogar und schaue nur noch fern. Irgendwann werden sie schon kommen.“

Dank einer kleinen Erbschaft privatisiert Sonntag. Abgesehen von seiner monatlichen Kolumne für die Stadtzeitung. Mit deren Verfassen sich der Ex-Plattenverkäufer, Ex-Kartenabreißer, Ex-Barmann zunehmend größtmöglich aus dem Fenster lehnt. Um seinen Rausschmiss zu provozieren.

Weiteres äußerst wackliges berufliches Standbein: „Miese Handlangereien“ für seinen grenzdebilen Freund Novak, seines Zeichens Zeitschriften-Messie. Mit immer neuen absurden Geschäftsideen. Etwa Promi-Samenbank. Der Erfolg ist dementsprechend überschaubar: „Den Rest des Tages ruft keiner mehr an. Wir trinken weiter Bier. Abends gehe ich mit meinem Euro nach Hause. Wenn das weiter so gut läuft, habe ich am Ende des Monats 31 Euro. Auf längere Sicht läppert sich da einiges zusammen…“

Bis dahin widmet sich Sonntag regelmäßig kreativem Zeittotschlagen. Neben Museumsaufseher-Spielen überprüft er regelmäßig seine Kleingeld-Depots in Hausflurlampe, Hofefeu, Garagendach, Karstadt-Umkleidekabine: „Für schlechte Tage.“

Versucht sich -nachdem er die Profis bei lukrativer Abzocke beobachtet hat und auch selbst Geld verloren hat- als ehrlicher Hütchenspieler. Verliert ein Spiel nach dem anderen. Fühlt sich dennoch als moralischer Sieger: „Vielleicht weil ich, obwohl ich die ganze Zeit verloren habe, trotzdem Herr der Situation war. Fakt ist: Ich bin nicht ausgenommen worden, ich habe mich ausnehmen lassen.“

Betätigt sich als Krankheitensammler. Hält sich extra dort auf, wo die Wahrscheinlichkeit am Höchsten ist, sich etwas einzufangen: In U-Bahnen, Krankenhäusern und Arztpraxen. „Als Kind war ich selten krank, aber in meiner Adoleszenzphase entdeckte ich, dass eine plötzliche Krankheit wunderbar als Ausrede herhalten kann, um zumindest für kurze Momente nicht funktionieren zu müssen.“ Aus gegebenem Anlass macht er einen AIDS-Test. Aber welch Hiobsbotschaft, er ist gesund: „Geknickt verlasse ich die Praxis. Nichts habe ich. Alle haben irgendetwas, der Mensch an sich braucht ja etwas. Nur ich habe mal wieder nichts abbekommen. Nur ich bin leer ausgegangen, bin erregerfrei und womöglich vollkommen gesund. Demoralisiert wanke ich durch die sonnenüberfluteten Straßen nach Hause.“

Schreibt und versendet absurde Buchanfänge, Exposés zu Projekten wie „Email für Emil.“ Um in den Genuss von Verlagsabsagen zu kommen. „Um mich abzulenken, beschließe ich, eine Geschichte zu schreiben und sie in die deutsche Verlagswelt hinauszuschicken, um im Warten auf die Ablehnung eine andere Denkrichtung einzuschlagen. (…) Ich beschließe dieses gelungene Manuskript gleich an mehrere deutsche Verlage zu schicken, da ich mir wohl berechtigte Hoffnungen auf eine direkte Ablehnung machen kann. Endlich habe ich wieder eine Lebensperspektive.“

Fährt mit alten Freunden mit Rufnamen wie „Neunzehn Löcher Joe“ ins Casino in Travemünde. Resultat wider Erwarten: 3600 Euro Gewinn. Doch schon auf der Rückfahrt heißt es: Wie gewonnen so zerronnen. „Das Schicksal ist ein grausamer Bankier, es fordert jeden Cent zurück, den es in lauer Sommernacht verliehen.“

Mit Frauen ist es bei Sonntag auch so eine Sache: Die grünäugige Handyverkäuferin Marion, neues Objekt seiner Begierde (nach Mia, seiner immer noch gegenüber wohnenden erloschenen Flamme aus „Sternstunden der Bedeutungslosigkeit“), umkreist Sonntag lange ohne sie anzusprechen. Die Hobby-Prostituierte Nora ist als „fester Termin“ einmal mal pro Monat Sonntag liebgewonnene Konstante. Und da ist noch Susanne, die in der Stadtzeitungs-Redaktion seine Kolumnen redigiert. Mit ihr verabredet sich Sonntag. Romantischerweise im Wartezimmer einer Arztpraxis auf ein Bier.

Doch trotz größter Bemühungen von Seiten Sonntags: Nicht alles geht schief. Etwa: In seinem neuen Nachbarn Bob, hedonistischer Philosoph und mutmaßlicher Bankräuber, gewinnt er nach heftigen Anfangs-Irritationen einen neuen Freund. Und: Der Antwortbrief eines Verlags auf seine Manuskript-Einsendung enthält nicht die erwartete Ablehnung..

Rocko Schamoni schenkt dem Leser mit „Tag der geschlossenen Tür“ eine Perlenkette grotesk-urkomischer Kurzepisodenschätze. Dazwischen nahtlos eingewebt: Reflexionen über das größere Ganze und das vermeintlich kleinere Kleine des Lebensalltags. Im Makro wie im Mikro: Jeder Satz ein Treffer ins Schwarze.

Der Hamburger Subkultur-König hat es als Musiker, Autor, Entertainer, Telefonterrorist, Schauspieler und Betreiber des „Golden Pudel Clubs“ interdisziplinär zu etwas gebracht, steht auf der beruflichen Sonnenseite des Lebens. In Gestalt des irrlichternden Michael Sonntag zeigt sich Schamoni nach „Sternstunden der Bedeutungslosigkeit“ ein weiteres Mal solidarisch. Schamonis bisheriges Werk und einschlägige Aussagen in Interviews lassen den Schluss zu: Nicht zuletzt im Hinblick auf seine eigenen Lehrjahre.

Zudem finden sich in Michael Sonntag wohl ein gerüttelt Maß an Rocko Schamoni des Jahres 2011. Neben Sonntags (auch Schamoni kennzeichnenden) chronischen Dada-Namenseingebungen wie Dr. Baby Rabottnik Salzauer, Opa Palumba oder Hubi Hermanns-Hall manifestiert sich dies in Form im Buch prominent platzierter von Schamoni schon andernorts artikulierter kritischer Gedanken. In Sachen: Konsumverherrlichung, TV-Schwachsinn, Eventterror mit Schlagermove oder Motorradgottesdiensten, St. Pauli-Nachtleben-Touristen und Rauchverbot, dessen erbitterter Gegner Sonntag (auch hier: alias Schamoni) ist: „Willkommen auf dem Flug nach Tristania.“

Und last but not least: Die allgegenwärtige auch vor Hamburger Stadtteilen wie St. Pauli nicht Halt machende Gentrifizierung ist Schamonis Sonntag ein Dorn im Auge:
„Das heilige Schmutzige und das schmutzige Heilige sind verschwunden. (…) Ein altes, löchriges, schönes Gebiss. Aber all die faulen Zähne sind gezogen worden. Die Lücken zwischen den Häusern sind gefüllt, die maroden abgerissen oder renoviert. Langsam weichen die türkischen Gemüsehändler und die Freaks mit ihrem Gerümpelläden und werden ersetzt durch Streetwareshops und Tapasbars.“

Rocko Schamoni setzt sich auch im wirklichen Leben im Rahmen der Aktion „Not in our name“ gegen ausufernde Gentrifzierung in der Elbmetropole ein. Den Anliegen jener Protestbewegung und sonstigen Michael Sonntag-Idealen hat er mit „Tag der geschlossenen Tür“ ein literarisches Denkmal errichtet. Wie bereits die dem Buch vorangestellte Widmung proklamiert: „Für alle schmutzigen Heiligen.“

Rocko Schamoni liest aus seinem neuen Roman „Tag der geschlossenen Tür“ (erschienen 2011 im Piper-Verlag, 270 Seiten, Klappenbroschur, 16,95 Euro) am 8. April, 19:30 Uhr im Amerika Haus (Restkarten an der Abendkasse ca. 15 Euro).

No Comments

Post A Comment

Simple Share Buttons
Simple Share Buttons