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Trompetentierchen in Spiritus

Thomas Steierer

Regener-Cover

Der Musiker und Autor Sven Regener („Element of Crime“, „Herr Lehmann“-Roman-Trilogie) hat unterwegs mit Band und Buch subjektiv Erlebtes festgehalten, Fiktives addiert. Im Rahmen diverser charmanter Blogs. Unter anderem für die Onlineauftritte von Spiegel, Die Zeit und taz. Sie sind nun unter dem Titel „Meine Jahre mit Hamburg-Heiner. Logbücher“ analog in Buchform erschienen. Am 19. Mai liest er daraus in der Muffathalle. Vorab eine Rezension.

Was fängt ein Autor und Musiker mit seinen Berufen immanenten nicht zu knappen Leerlaufzeiten an, auf Tour oder während der Buchmesse?
Antwort im Fall von Sven Regener, Kopf der Band „Element of Crime“ („Immer da wo du bist bin ich nie“, „Delmenhorst“, „Mittelpunkt der Welt“) und Autor der „Herr-Lehmann“-Roman-Trilogie: Er hält subjektive Eindrücke, Gedanken, Erlebnisse fest. Ergänzt Fiktives. Fängt mit der Handy-Kamera schräge Schnappschuss-Momente ein, überlegt sich dazu mindestens ebenso schräge Bildunterschriften. Veröffentlicht das Ganze im Internet. Im Rahmen eines Blogs. Auf Anregung der Plattenfirma. Zu Promozwecken im Vorfeld einer Album-Veröffentlichung von „Element of Crime.“

Auf den Geschmack gekommen nahm Regener anschließend weitere Blog-Aufträge an. Unter anderem für die Onlineauftritte von Spiegel, Die Zeit und taz. So sind zwischen 2005 und 2010 mitterweile acht auf Sven Regeners gewohnt stilsicher-eingängstem Mist gewachsene Blogs entstanden. Anlässlich Touren, Album-Veröffentlichung, Album-Aufnahmen in Nashville/Tennessee mit „Element of Crime“ sowie Buchmesse-Marathon. Sie sind nun in Buchform unter dem Titel „Meine Jahre mit Hamburg-Heiner“ erschienen.

Neben launigem AusdemNähkästchenplaudern hinsichtlich Musikerleben und Literaturbetrieb offenbart Regener in den Blogs mitunter Häusliches (was wie alles Sonstige in „Meine Jahre mit Hamburg-Heiner“ jedoch nicht für bare Münze zu nehmen ist). Im Blog für die Zeit etwa protokolliert er in jedem Eintrag unter anderem auch als Running-Gag, was er jeweils im Adventskalender vorgefunden hat:

„Erstes Türchen im Adventskalender: Ein Hase aus Schokolade. Wenn da mal nichts schiefgelaufen ist…!“ (…) „Heute im Adventskalender: Eine Sternschnuppe aus Schokolade. Jetzt nur nicht weich werden.“ (…) „Drittes Türchen im Adventskalender: Eine Ente aus Schokolade. Sagt mir nichts.“ (…) „Im Adventskalender: Ein Frosch aus Schokolade. Will man nicht sein. Hilft aber nichts.“ (…) „Im Adventskalender: Nix. Sieht so aus, als wären Diebe im Haus.“(…) „Im Adventskalender: Ein alter Waschlappen. Langsam wird’s unheimlich.“(…) „Im Adventskalender: Ein halbes Pfund Butter, zehn Eier, drei Apfelsinen. Wenn da mal nicht Oma dahintersteckt.“ (…) „Im Adventskalender: Ein Trompetentierchen in Spiritus. Schlimm!“ (…) „Im Adventskalender: Ein Weihnachtsmann aus Schokolade. Die Einschläge kommen näher!“

Trotz aller vielfach aufblitzender ausgelassener Spielfreude Sven Regeners mit dem Blog-Format: Zum virtuellen Sichzuwortmelden bewahrt er, einschlägige eigene Aktivitäten einschließende, kritische Distanz: „Das ist aber jetzt aus der Erinnerung erzählt, recherchiert wird hier gar nichts, hier wird einfach nur behauptet, schließlich sind wir im Internet.“ (…)Denn das soll bei diesem Blog (…) das Motto sein: Bildung und der Abbau von Vorurteilen. Wenn mir das gelingt, diese beiden Ziele, die ja Hand in Hand gehen, die ja quasi immer zusammen zur Tür reinkommen, in diesem Blog fest zu verankern, dann wäre ich meinem Ziel, das vielleicht langweiligste Tourtagebuch der Welt zu schreiben, schon ziemlich nahe.“
Neben Banalitäten-Blogerei wird auch Popliteratur persifliert: „Später neue Schuhe vom orthopädischen Schuster abgeholt. Habe jetzt feste Einlagen. Puh, das sind Erlebnisse! Kann man eigentlich keinem erzählen. Aber was für Schuhe. Ich wünschte jetzt, ich könnte einen digitalen Fotoapperat zum Einsatz bringen und ein Bild dieser Schuhe hier irgendwie reinstellen. Wahnsinnsschuhe. Würde ich jetzt noch die Marke nennen, wäre das hier Popliteratur.“

Und: Regener relativiert Musikbusiness-Maßstäbe, nimmt eigene Erfolge auf die Schippe: „So also ist das wenn man in den Single-Charts ist: Kinder flechten Blumenkränze, wildfremde alte Leute klopfen einem auf der Straße auf die Schulter und der HNO-Arzt gibt eine Runde Nasentropfen aus.“

Ins selbe für Sven Regener charakteristische vor Selbstironie strotzende Horn bläst auch eindrucksvoll „Hamburg-Heiner.“ Ominöser Titelgeber der Blog-Sammlung. Regeners selbst hinzuerfundendes Gewissen. Wie er kürzlich im Interview mit der Musikzeitschrift Rolling Stone erläutert hat: „Bei meinem allerersten Blog ging mir schon nach einem Tag die Luft aus. Da habe ich überlegt, ich lasse einfach einen anrufen und führe mit dem einem imaginären Dialog. Das war die Geburt von Hamburg-Heiner.“

Hamburg-Heiner betreibt unerbittliche „Blogwatch“, stellt Regener in fiktiven Telefongesprächen meist barsch zur Rede. Erdet den Erfolgs-Musiker und Autor. Bewahrt ihn präventiv vor jeglicher Selbstzufriedenheit:

HH: Kommt Dir das nicht langsam komisch vor?
Sven: Was?
HH: Hast du nicht das Gefühl, dass es langsam mal Zeit wird, dass ihr mit Eurer Band auch mal was auf die Schnauze bekommt?
Sven: Also wegen mir…
HH: Mir wäre das unheimlich. Je länger sich das hinzieht mit der Loberei, desto schlimmer gibt`s später auf die Schnauze.
Sven: Das geht aber schon 20 Jahre so.
HH: Mein ich ja! Umso schlimmer.
Sven: Da kommt schon noch was Böses.
HH (hoffnungsvoll): Meinst du?
Sven: Ganz sicher.
HH: Wann?
Sven: Wahrscheinlich demnächst.
HH: Dann ist ja gut.

Gerade die Schlagabtausch-Passagen Hamburg-Heiner versus Sven Regener erinnern deutlich an Frank Lehmann. Jenen Bremer/ Kreuzberger Stoiker-Philosophen, Protagonist der großartigen, sehr erfolgreichen „Herr Lehmann“-Roman-Trilogie. Mit der Regener in den Nullerjahren weit über „Element of Crime“-Kennerkreise hinaus Aufmerksamkeit zuteil wurde.

Jawohl: Sven Regener knüpft in den nun in „Meine Jahre mit Hamburg-Heiner“ gesammelt veröffentlichten Blogs in Sachen Schnoddrigkeit, Sichselbstnichtzuernstnehmen, beharrlich sich verrennendem Diskurs-Sinnieren über weite Strecken nahtlos an „Herr Lehmann“ sowie die Fortsetzungen „Neue Vahr Süd“ und „Der kleine Bruder“ an. Deshalb bleibt es in Sachen Sven Regeners literarischer Musikabschweifung auch jenseits von „Herr Lehmann“ dabei: Daumen nach oben.

Sven Regener liest aus „Meine Jahre mit Hamburg-Heiner. Logbücher.“ (erschienen 2011 bei Galiani Berlin, 417 Seiten, broschiert, 19,95 Euro) am 19. Mai in der Muffathalle (Preis pro Karte 18,50 Euro).

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