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Vermessen unangemessen

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Unser Autor war in der Pasinger Fabrik und hat eine beeindruckende Ausstellung gesehen. Aber verstört haben ihn nicht nur die Bilder aus Malawi.

Ein Besucher betritt die Pasinger Fabrik. Er öffnet die schwere Eisentür, die in den Lichthof führt, einen mit Glas überbauten Restaurantraum. An den Holztischen sitzen nur vereinzelt Gäste. Auf den Tischen flackern kleine, rote Kerzen, während ihnen die Bedienung abwechselnd ausgefallene Salatkreationen serviert und Getränke bringt.

Der Besucher setzt sich, lässt seinen Blick durch den Raum streifen, und mustert flüchtig die Fotos an der Wand. Bunte Stände und viele Menschen, das rege Treiben auf den Straßen einer afrikanischen Stadt.

Er nimmt einen Schluck von seiner Cola. Direkt in seinem Blickfeld hängt ein Foto von einem afrikanischen Ehepaar, das auf ihrem Bett liegt und mit ihrer Tochter spielt.

Keinen Meter daneben das Bild eines Mannes. Er trägt einen zerrissenen, blauen Overall, hinter ihm liegen seltsame Holzgebilde auf dem Boden. Der Stuhl knarzt ein wenig, als der Besucher sich nach vorne beugt, um das Bild genauer zu betrachten. Ungläubig verzieht er das Gesicht. Der Mann ist ein Tischler, hinter ihm auf dem Boden liegen Särge.

Der Besucher wirft nun auch einen genauen zweiten Blick auf die anderen Bilder. Was hier die fein speisenden Münchner umgibt, sind die Fotos von dreckigen Märkten, kaputten Straßen, von Alltagstagsszenen der zwei größte Städte Malawis, Lilongwe und Blantyre.

Der Besucher blickt sich suchend um, sein Blick fällt schließlich auf ein Plakat, das an einer Glastüre hängt. „Malawi-Tage München: Fotoausstellungen, Konzerte, Filme und Workshops“. Als sein Glas leer ist und die Bedienung zum kassieren kommt, spielt er schon eine Weile mit den Münzen in seiner Hand herum und lässt sie schließlich scheppernd in die Hand der hübschen Blondine fallen. „Stimmt so“, versichert er ihr mit einem gezwungenen Lächeln, steht auf und geht weiter.

Ein mit Kreide beschriftetes Schild lotst ihn in den dunklen Nebenraum, zur Bar. Die baut sich in dem stilvoll eingerichteten Raum imposant vor ihm auf. Goldene Bänder drehen sich von der Decke, die polierten Gläser stehen in Pyramiden auf der Edelholz-Theke und hinten auf der Ablage reiht sich ein edler Whiskey an den nächsten.

Während man an den Wänden dieses schicken Raums allerdings abstrakte Malereien oder moderne Fotographien erwarten würde, trifft einen zuerst der leere Blick von Gloria Sindila. Die hochschwangere Frau liegt auf einer weiß bemalten Holzbank mit der Aufschrift „Lilongwe Bottom-Hospital“.

Alleine gelassen, kurz vor der Geburt, aus Mangel an Schwestern, weiß die Bildunterschrift. Er geht weiter. Im lediglich schummrig beleuchteten Raum, in dem es sogar noch besser nach Essen riecht als im Restaurant selbst, sind nur die Fotos an der Wand hell angestrahlt. Er schlendert über den leicht knarzenden Boden, seine Augenbrauen verziehen das Gesicht zu einem immer skeptischeren Blick.

Er passiert Bilder, die Chirurgenbesteck zeigen, das zum trocknen einfach in den Gang gelegt wird, Frauen, die aus Mangel an Betten auf dem Boden liegen und sich krümmen. Er tritt vor ein weiteres Bild. Das Lächeln und den fast schon hoffnungsvollen Blick von Mones Chinangwa, die in einem Bett liegt, nimmt er ihr nicht ab. Sie steht kurz vor einem Kaiserschnitt, in einem Zimmer, indem die hellblaue Farbe von der Wand bröselt und in dem zwanzig andere Frauen liegen. Da lächelt man vielleicht für einen weißen Fotographen, sonst nicht.

Auch das letzte Foto gibt ihm zu denken. Ein kleines Mädchen mit einer Puppe in der Hand steht in einem Hof, hinter ihr am Boden: Särge. Die Bildbeschreibung klärt auf, dass es in Lilongwe sehr viele Tischler gibt. Es ist eben ein gutes Geschäft in einer Stadt, in der die Nachfrage nach Särgen größer ist als die nach Möbeln. Der Besucher steht geistesabwesend vor dem Bild, bis der aufdringliche Klingelton des iPhones der attraktiven Bedienung ihn zurück in die Gegenwart holt.

Mittlerweile ist es dunkel geworden. Der Regen prasselt leise auf die Veranda der Pasinger Fabrik, es riecht nach nassem Holz. Die schwere Eisentür geht auf und der Besucher tritt hinaus in die Nacht. Er wirft noch einen letzten Blick auf das grell leuchtende Display seines Handys, so lange er noch im Schutz der Marquise ist, steckt sich Kopfhörer ins Ohr und schaltet seinen MP3-Player ein. Er verlässt die Fabrik mit einem mulmigen Gefühl. Denn es muss die Frage erlaubt sein, ob man in Gegenwart dieser Bilder überhaupt noch genüsslich seinen Cappucino schlürfen will? Oder, was noch viel wichtiger ist, ob diese Aufnahmen nicht einen angemessenen Platz verdient hätten?

Foto: Pasinger Fabrik

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