Kultur, Nach(t)kritik

Die Wahrheit auf und neben dem Platz

Thomas Steierer

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Dieser Tage ist Philipp Lahms viel beachtete literarische Fußball-Exkursion „Der feine Unterschied“, Karriere-Zwischenfazit und Nachwuchskicker-Leitfaden, erschienen. Am 25. September liest der FC Bayern- und DFB-Kapitän daraus im Volkstheater.

Philipp Lahm hat seit Beginn seiner Profilaufbahn für Schlagzeilen gesorgt: Als über längere Zeit nahezu einziger konstanter deutscher Weltklassespieler in Vor-ÖzilNeuerGötzeGomez-Zeiten. Auch durch das spektakuläre Tor im WM-Eröffnungsspiel 2006 und das Kaufinteresse eines anderen FCB, des FC Barcelona, seines Zeichens derzeitiges Maß aller Dinge im Weltfußball sowie ein Angebot von Rekord-Landesmeisterpokal-Sieger Real Madrid.

Nicht nur auf dem Platz (ohne krawallig und testosteronlastig auftreten zu müssen wie „Typen“ a la Kahn oder Effenberg), nicht erst jetzt als Buchautor: Der 27-Jährige stach und sticht heraus. Unter den als stromlinienförmig pauschalisierten Profis seiner Generation. Als bodenständige, sich aktiv für soziale Projekte engagierende, mit eigener Stiftung, die seinen Namen trägt, über den Tellerrand hinausblickende, reflektierende Ausnahmeerscheinung.

Seit längerem artikuliert Philipp Lahm öffentlich, was ihn umtreibt: Im kontrovers aufgenommenen SZ-Interview vor zwei Jahren bemängelte er in deutlichen Worten die aus seiner Sicht fehlende einheitliche Spielphilosophie des FC Bayern. Und: Bereits während des WM-Turniers in Südafrika im vergangenen Jahr, als der bisherige Capitano Ballack verletzt fehlte, meldete er seinen Führungsanspruch auch für die Zukunft an. Was ihm einigen Gegenwind, nicht zuletzt von Seiten des Ballack-Lagers, einbrachte.

Nun zogen kritische Anmerkungen im seit Montag erhältlichen „Der feine Unterschied“ hinsichtlich der Trainingsmethoden von Ex-Trainern Lahms wie Magath, Völler, Klinsmann und van Gaal ein immenses Medienecho nach sich. Und Kritik. Von ebenjenen ehemaligen Übungsleitern und anderen Branchengrößen, unter anderem des aktuellen Bundestrainers Löw.
Auch im Vorfeld der Buchveröffentlichung groß in den Medien: Ihn seit geraumer Zeit verfolgende homoerotische Unterstellungen, zu denen der seit 2010 mit seiner Claudia verheiratete Philipp Lahm in „Der feine Unterschied“ Stellung nimmt.

Jenseits dieser beiden Aspekte, nicht zuletzt von einschlägigen Boulevard-Medien vorab herausgepickt und verabsolutiert: Im Buch geht es um mehr.
Philipp Lahm lässt zusammen mit dem Co-Autor des Buchs, dem Journalisten Christian Seiler, seinen Aufstieg Revue passieren: Vom ersten Probetraining beim FCB als Zehnjähriger über den Aufstieg vom Bayern-Amateur und die Zeit als Leihspieler beim VfB Stuttgart bis zum Stammverteidiger und Spielführer des deutschen Fußballrekordmeisters FC Bayern und der deutschen Nationalmannschaft.

Philipp Lahm blickt zurück auf: Gute Zeiten, schlechte Zeiten in der Bundesliga, Verletzungspech, sein Zurückkämpfen nach dem Kreuzbandriss 2005, die EM-und WM-Turniere seit seinem DFB-Debüt 2004, wichtige Champions-League-Partien, wie das verlorene Finale 2010: „Gleich nach dem Spiel muss ich zum Interview. Während auf dem Spielfeld einzelne Kameraden herumliegen, als hätte sie der Blitz getroffen, muss ich jetzt vor der Kamera auf die Frage antworten, wie groß meine Enttäuschung ist.“

Ein, per Untertitel des Buchs, „Wie man heute Spitzenfußballer wird“, ankündigter, Mehrwert des Buchs: Philipp Lahms in “Der feine Unterschied” dargelegter Werdegang ist auch als Nachwuchskicker-Leitfaden gedacht. Im 16. und letzten Kapitel finden sich explizite Ratschläge, wie und mit welcher Einstellung, Herangehensweise man es packen könnte mit dem Profifußball: „Dieses Buch ist ein Buch, wie ich es selbst gerne gelesen hätte, als ich ein junger Fußballer war.“

Lesern jeden Alters ermöglicht es Philipp Lahm mit seinem Buch ein Stück weit teilzuhaben an seiner subjektiven Wahrnehmung als Protagonist im Spiel vor Zehntausenden in den Stadien und Millionen vor den Fernsehgeräten: „Man sagt, dass ein Spieler auf dem Spielfeld gar nicht wahrnimmt, was um ihn herum stattfindet. Bei mir stimmt das nicht. Ich nehme alles wahr. Ich sehe wie hell das Licht ist, das von den Flutlichtmasten über den Platz strömt. Ich höre das Rufen und Pfeifen einzelner Menschen. Mein Geist ist so klar, dass ich viel mehr wahrnehme, als wenn ich bloß als Zuschauer auf der Tribüne sitze. Jeder Chor, jede Ruf, jeder Pfiff gehört jetzt mir.“

Philipp Lahm beleuchtet das obligatorische Drumherum, Begleiterscheinungen, Schattenseiten des Traumberufs Fußballstar: „Aber die eigene Wahrnehmung verändert sich schnell. Man lernt, prominent zu sein. Man weiß, dass man nicht mehr nachmittags in die Stadt gehen kann, um ein T-Shirt zu kaufen, ohne dass man erkannt wird. Man gewöhnt sich daran, dass überall wo man hingeht, Blicke sind. Blicke, die dich abtasten, die wissen wollen, ob du`s wirklich bist, die eine Chance wittern, zu erfahren, wie du so auftrittst, wenn du nicht auf dem Platz stehst.Damit muss man umzugehen lernen. Immer möglichst freundlich sein. Niemanden enttäuschen.“ Und: „Wenn du als Prominenter wenigstens Teile deines Lebens wirklich privat leben möchtest, dann musst du dir die mit einem gewissen Maß an Öffentlichkeit erkaufen.“

Die Wahrheit, das zeigen Philipp Lahm und sein Buchdebüt, liegt auf und neben dem Platz.

Philipp Lahm/ Christian Seiler, „Der feine Unterschied – Wie man heute Spitzenfußballer wird“, 272 Seiten, gebunden, Verlag Antje Kunstmann 2011, 19.90 Euro. Lesung am 25. 09. im Volkstheater, Moderation: Christoph Süß (Bayerischer Rundfunk), Karten ab ca. 10 Euro.

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