Leben, Nach(t)kritik

DREI VIERTEL STADT… doch welche Stadt wollen wir haben?

Mario Lehlbach
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Dieser Frage ging gestern das Münchner Forum zum zweiten Mal in seiner Veranstaltungsreihe STADTfragen im Import/Export nach. Hieß es beim letzten Termin noch JUNG ALT ANDERS …und wie viel Spontanität verträgt der öffentliche Raum?, waren dieses Mal die drei Referentinnen auf einzelne Viertel, ihre Veränderung und Wahrnehmung fokussiert.

Passend zum Ort der Veranstaltung begann Annalina Häußermann
(studierte Volkskunde/Europäische Ethnologie) mit ihrem Vortrag über das Bahnhofsviertel. Durch empirische Forschung versuchte sie eine Innenperspektive der Bewohner und Geschäftsleute des Viertels herauszuarbeiten und damit ihre Frage, ob das Bahnhofsviertel das Zentrum urbanen Lebens sei, zu beantworten. Die Menschen sehen die Fremde und Unübersichtlichkeit ihres Viertels zwar als negativ an, ergreifen aber gleichzeitig die Chance, die Anonymität als individuelle Freiheit zu nutzen. So entstehen Konstellationen, wie das Koexistieren von Moschee und Table Dance Bar innerhalb eines Hauses, die das Stadtbild prägen. Annalina Häußermann wies darauf hin, dass diese Zusammensetzung eines Viertels niemals planbar sei. Urbanität benötige die Faktoren Überraschung und Chaos und kann nur individuell
wachsen.

Das nächste Viertel des Abends war Berg am Laim. Stefanie Hamann (Freie Kunst/Bildhauerei) wählte hierfür eine ganz andere Vorgehensweise. Die Promenadologie, also das wissenschaftliche Spazierengehen, verhalf ihr einen Zugang zu finden. Ihre Spazierroute führte sie vom durch Industrie und Gewerbe geprägten Leuchtenbergring über die Streitfeldstraße 3 mit ihren Kunstwohnwerken zu den Kleingartenanlagen, weiter zum Brauhaus, der alten Mitte, der Maikäfersiedlung und letztlich zur Kultfabrik. Durch ihre Wahrnehmungen und Bilder konnte sie einen Eindruck wiedergeben, der die verschiedenen Gesichter des Viertels zeigt.

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Den Abschluss machte Anna Mießl (studiert Volkskunde/Europäische
Ethnologie), die sich gerade in ihrer Magisterarbeit mit dem Glockenbach/Gärtnerplatzviertel beschäftigt. Ein großer Aspekt ihrer Arbeit ist dabei die Frage nach der Gentrifizierung des Viertels. Durch Interviews, Diskurs- und Medienanalysen verschaffte sie sich einen Zugang, aus dem heraus man die verschiedenen Perspektiven der Wandlungsprozesse erkennen kann. Das in der Nachkriegszeit von Arbeiter und Rotlicht geprägte Viertel, erlaubte es, in den 1970er und 80er Jahren Schwulen und Lesben eine Community aufzubauen und auch Andere suchten dort eine Subkultur gegen das Bürgertum. Von dieser Alternativität angezogen, konzentrierte sich bald die kreative Medienklasse und das Glockenbach/Gärtnerplatzviertel wurde zum Szeneviertel. In den Nullerjahren lockte dies Investoren an und es wurde schließlich zum Luxusviertel. Entscheidend dabei ist, dass Stadt immer ein narrativer Raum ist und auch wenn kleine Läden im Viertel verschwinden und alteingesessene Bewohner sich Mieten nicht mehr leisten können, darf man sich Gentrifizierung nicht, wie so oft dargestellt, als linearen Prozess vorstellen. Vielmehr sind die entscheidenden Faktoren ineinander verzahnt und verwoben und sehr stark von der Perspektive des Betrachters abhängig.

Am 29. Februar ab 19 Uhr gibt es noch einmal die Chance sich mit Stadt zu beschäftigen. Das Münchner Forum lädt zum letzten Termin im Import/Export und fragt: DRINNEN ODER DRAUSSEN… und wie viel Rand braucht die Stadt?

Artikel und Fotos: Mario Lehlbach

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