Was machen wir heute?

Hauptwohnsitz ist mein Kopf

Thomas Steierer

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Unverwechselbar in seiner Sprachgewalt, kompromisslosen Deutlichkeit, mimischen Ausdruckskraft und Vielstimmigkeit: Der legendäre Passauer Kabarettist Sigi Zimmerschied gastiert mit seinem aktuellen Programm „Reisswolf“ vom 16. August bis 8. September (jeweils Donnerstag bis Samstag) im Fraunhofer Theater. Ein packendes Kammerspiel, in dem ein erpresserischer Aktenvernichter aus dem Nähkästchen plaudert. Abgründe sind im Kleinen wie größeren Ganzen wie immer bei Zimmerschied zur Genüge inbegriffen: Großartig erschütternd komisch. Im Interview spricht Zimmerschied über Erpresserpotential, München, Fraunhofer Theater und Passau, Fernsehpräsenz und neue Projekte.

Wie sind Sie auf die Rahmenhandlung von „Reisswolf“ gekommen?
Weil wir mittlerweile alle in einer Welt leben, die immer transparenter wird. Datenschutz ist zur Illusion geworden. Der Mensch ist Gegenstand einer erpresserischen Wirklichkeit geworden und er ist Opfer und Täter zugleich.

Die Thematik hat nun in Form der Vertuschungsversuche durch Verschwindenlassen von Dokumenten seitens Geheimdienst und Bundesinnenministerium im Rahmen der Naziterroraffäre neue Aktualität bekommen…
Nein, das sind doch alles längst bekannte Tatsachen. „Jetzt haben sie wieder Stoff“, sagen die Menschen und sehen einem dabei an als hätten sie uns mit der Nadel erwischt. Die Tagespolitik ist zwar ein Strich, aber wir sind nicht die Nutten, die drauf gehen. „Jetzt haben sie wieder Stoff“, sagen die Menschen und vergessen, dass wir ihn gar nicht brauchen, weil uns nicht die Schadenfreude süchtig macht, sondern eine sisyphusartige Lust, ein Muster in der sich immer wiederholenden Unheilbarkeit zu finden.

Wie war ihre Herangehensweise zu „Reisswolf“, wie ist das Bühnenprogramm entstanden?
Wie alle meine Programme entstehen. Durch eine formale Idee. Ich wollte als Erpresser aus dem Dunkel, der Angst, der Verfolgtheit erscheinen, mir einen Fluchtort ertasten. Ich wollte über das Erzählen einer Biographie die Sicherheit wiedergewinnen, um am Ende die Menschen wieder zu erpressen, indem ich Ihnen Informationen entlocke, die das Potential zu einer Erpressung hätten. Und zwar genau die Leute, die ich vor mir habe und denen ich eineinhalb Stunden erzählt habe, wie Erpressung funktioniert. Erschreckenderweise gelingt das fast jeden Abend.

Sie haben mit Kabarett gemeinsam mit Bruno Jonas Mitte der Siebzigerjahre im damals erzkonservativen Passau begonnen, hat sich an ihrer Motivation seitdem etwas geändert?
Nein. Denn die Motivation erwächst aus einer Inkompatibilität mit abgeschlossenen und hierarchischen Weltbildern. Es ist fast wie ein Allergie. Und die selben Pusteln, die wir damals auf Weihrauch bekommen haben, sprießen heute bei neoliberalem Dampf oder parareligiösen Beschwichtigungsphilosophien. Nein, daran ändert sich nichts. Nicht einmal an den Predigtstühlen. Bruno hat es schon immer in die großen Arenen gezogen. Die meinen waren die Stammtische. Er ministrierte damals schon im Dom. Ich in der Innstadtpfarrei. Nein, es hat sich nichts geändert.

Sie haben als gebürtiger Passauer zeitweise auch in München gewohnt. Was waren beziehungsweise sind jeweils die größten Vor-und Nachteile beider Städte?
München war immer der Zweitwohnsitz. Ebenso Passau. Sowie mein Schreibdomizil in Kneiding in Oberösterreich. Es gibt nur Zweitwohnsitze. Hauptwohnsitz ist mein Kopf.

Ihr vorheriges Bühnenprogramm „Lachdichter“ drehte sich um ihre vielfach abgelehnten subversiven Fernsehdrehbücher. Welche Bedeutung hat Fernsehpräsenz für den Bühnenerfolg von Kabarettisten?
Eine fatale. Es ist dem Fernsehen gelungen, dem Kabarett die Würde und die Kraft zu rauben, es zu zerstören. Das allerdings grausamste an dieser Entwicklung ist jedoch die Wehrlosigkeit des eigenen Genres, das sich durch Unverkennbarkeit, Konsequenz und Inhaltlichkeit definiert und das zu einem medialen Kasperltheater verkommen ist. Die formale Zensur hat längst die inhaltliche abgelöst. Alles schaut gleich aus. Wenn man bedenkt, daß das Bayerische Fernsehen mittlerweile auf dem Kabarettfreitagssendeplatz den „Musikantenstadtl“ wiederholt anstatt neue Formate zu wagen, dann kommt das einer Bankrotterklärung gleich.

Sie spielen traditionell im August im Fraunhofer Theater. Was macht dessen Reiz aus?
Es ist der Reiz der Maiandacht. Nur daß sie im August stattfindet. Eine Art rituelles Nachhausefinden jenseits der Erfolgsmuster und des Lärms der Wichtigkeit. Ein Wohnzimmer zum Spielen, Experimentieren, Trinken, sich Ärgern, Lieben, Versacken und Spinnieren. Zurückkommen und Aufbrechen in der Gelassenheit des Gesamtkunstwerks Fraunhofer.

Sind in näherer Zukunft neue Projekte von Sigi Zimmerschied zu erwarten?
Nachdem die Kabarettszene Verwesungszüge hat, sich nicht mehr anders strukturiert und funktioniert als die Metzgerinnung oder das Kreisverwaltungsreferat, habe ich neben meiner kabarettistischen wieder die schauspielerische Arbeit und die Autorentätigkeit wiederbelebt.
Nicht dass es in Welt des Films und der Verlage anders zuginge als im Kreisverwaltungsreferat, aber diese Genres haben das auch nie behauptet. So kann man sie ohne Vorerwartung betreten und ohne größere Enttäuschungen wieder verlassen. Das gelingt mir im Kabarett momentan nicht.
So höret und vernehmet ! Ein Buch wird erscheinen und Filme dazu und siehe, noch ehe der Herr wiederaufersteht am Ostermorgen, werde ich euch im Februar bereits ein neues Kabarettprogramm schenken.

Sigi Zimmerschied: Reisswolf. Eine Vernichtung in Akten. 16. August bis 8. September, jeweils Donnerstag bis Samstag, 20.30 Uhr im Fraunhofer Theater, Karten kosten 18 Euro.

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