Kinogucken

Die Liebe in den Zeiten der Zwangsarbeit

Thomas Empl

Schon länger hat das Mathäser erkannt, dass es in München einen Markt für türkisches Kino zu geben scheint. Der selbsternannte Filmpalast am Stachus zeigt türkische Filme in türkischer Sprache. Dieses interkulturelle Angebot geht jetzt sogar schon so weit, dass ein Film zeitgleich mit dem Kinostart in der Türkei schon hier zu sehen ist: The Butterfly’s Dream, der mit einem Budget von 15 Millionen Euro wohl teuerste türkische Film aller Zeiten, läuft seit heute jeden Tag um 19:30 Uhr.

Bergwerk

Der Regisseur Yilmaz Erdogan konnte all das Geld wohl gut gebrauchen, versetzt er uns doch zurück in eine Türkei während des Zweiten Weltkriegs. Nur zeigt er selbigen aus einer für manche von uns ungewohnten Perspektive. In einer beeindruckenden Anfangssequenz schwenkt die Kamera durch ein Kohlebergwerk am Schwarzen Meer, in dem sich rußbefleckte, festgekettete Zwangsarbeiter fast zu Tode schuften. Ähnlich wie die Sklaverei in “Django Unchained” bietet das Grauen einen interessanten historischen Hintergrund zur Geschichte – leider bleibt es genau das: Hintergrund.

MuzafferundRüstü

Die Protagonisten des Films, die Freunde Muzaffer (in der Türkei ein Star: Kivanç Tatlitug, oben links) und Rüştü (re.), sind nämlich von der Zwangsarbeit gar nicht betroffen. An Tuberkulose erkrankt müssen sie nicht in die Minen – sondern verbringen ihre Tage als erfolglose Dichter, die davon träumen, berühmt zu werden*. Beide verlieben sich in dasselbe Mädchen, die bildschöne Suzan, schreiben ihr beide ein Gedicht und wetten darum, welches ihr besser gefalle. Kelebegin Rüyasi, so der Originaltitel, beginnt als beschwingte Liebeskomödie und erinnert dabei ein wenig an die Anfänge von “Das Leben ist schön”. Der dauerlachende, immer optimistische Rüstü (der nicht so, sondern eher wie Lucas Barrios aussieht) wirkt dabei sogar fast wie ein türkischer Roberto Benigni.

Anders als Benigni in seinem Meisterwerk gelingt es Erdogan aber nicht immer, die Balance zu halten und den richtigen Ton zu treffen. Über die enorme Laufzeit springt er immer wieder von romantischer Komödie zum Drama über den Schrecken der Zeit. Und wieder zurück. Im einen Moment lachen sich Muzaffer und Suzan noch darüber kaputt, dass sie sich (warum eigentlich?) in eine Mine schleichen, im nächsten soll alles wieder ganz düster und schrecklich sein. Dieser Wankelmut im Umgang mit der eigenen Identität kann einen schon einmal aus dem Geschehen herausreißen.

Manchmal bewegend und wahrlich poetisch, hat der Film allerdings noch ein Problem: Er ist zu lang. Erdogan versucht Stoff, aus dem man eine ganze Fernsehstaffel hätte machen können, in einem einzigen Film unterzubringen. Das hat neben den erwähnten Stimmungsschwankungen auch zur Folge, dass frühere Handlungsstränge und sogar wichtige Figuren vorübergehend völlig in Vergessenheit geraten. Die Geschichte verliert sich zwar nur sehr selten im Kitsch, dafür aber in Nebenschicksalen zu spät eingeführter Nebencharaktere.

Es steckt ein richtig guter Film in diesen 138 Minuten. Das Budget ist dank opulenter Bilder immer zu spüren, die Schauspieler sind teils großartig (Erdogan selbst imponiert als Lehrmeister der beiden Dichter) und die Figuren so sympathisch, dass man – als der Film auf einmal fast schon nihilistische Züge einschlägt – wirklich mit ihnen mitleidet. Nur wäre weniger vielleicht sogar noch mehr gewesen.

Romanze

* (wurden sie später auch, der Film basiert auf ihrer wahren Geschichte)

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