Münchenschau, Stadt

Sie werden wieder hungern

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Nach dem gewaltsamen Abbruch des Hungerstreiks von Asylbewerbern am Rindermarkt kritisiert der Bayrische Flüchtlingsrat die Lebensbedingungen für Asylbewerber in der Bundesrepublik, aber besonders in Bayern. „Wenn sich nichts ändert, werden Flüchtlinge wieder hungern oder anderweitig ihren Protest kundtun. Vielleicht nicht am Rindermarkt, dafür am Mariahilfsplatz, in Nürnberg oder sonst wo in Bayern“, prognostiziert Hubert Heinhold, Fachanwalt für Asylrecht, der eng mit dem Flüchtlingsrat zusammenarbeitet.

Vana (Name fiktiv)hat Angst wenn sie S-Bahn fährt. Angst es könnte wieder jemand ihr oder ihrer Tochter etwas Böses tun. Vor zwei Jahren saßen die beiden in einem Flüchtlingszug in ihrem Heimatland Kongo, der von Rebellen überfallen wurde. Die Frauen wurden aus dem Zug gezerrt und im Wald vergewaltigt, die Kinder weggebracht. Fast ein Jahr suchte Vana nach ihrer Tochter. Im Gegensatz zu vielen war sie erfolgreich und schaffte gemeinsam mit ihr sogar die Flucht nach Deutschland.

Doch München präsentiert sich nicht gerade als Ort der Erlösung für Flüchtlinge, erläutert Jürgen Soyer aus der Geschäftsführung von Refugio München, einem Beratungs- und Betreuungszentrum für Flüchtlinge und Folteropfer. Vana sei ein typischer Fall der Asylbewerber, die bei Refugio in Behandlung sind, so Soyer. Die meisten der Flüchtlinge haben Schreckliches durchgemacht und leiden schwer unter den Folgen: Angstzustände, Aggressionen, Depressionen seien an der Tagesordnung. Allein im vergangenen sind 690 Flüchtlinge hier in München bei Refugio in Behandlung gewesen und Warteliste ist endlos. Doch Anstatt den in Deutschland gestrandeten Flüchtlingen das Gefühl von Sicherheit und Stabilität zu vermitteln würde die restriktive Gesetzgebung sie weiter in die Verzweiflung treiben, kritisiert Soyer.

Langwierige Asylgenehmigungsverfahren
Das Problem sieht Rechtsanwalt Heinhold besonders in den Asylgenehmigungsverfahren. „Die Flüchtlinge hängen lange Zeit hilflos in der Luft.“ Statistisch dauerten die Verfahren neun Monate, da diese Zahl allerdings auch priorisierte Verfahren mit einschließe, sei sie mit Vorsicht zu genießen, so Heinhold weiter. Tatsächlich dauerten die Genehmigungsverfahren in der Regel ein bis zwei Jahre, in denen die Asylbewerber nicht einmal regelmäßig über das Fortschreiten der Anträge informiert werden. Hinzukommt, dass in vielen Fällen zunächst durch das so genannte Dublin-Verfahren der EU geklärt werden muss für welches EU Land der Antrag gelten gemacht werden soll, da die Flüchtlinge auf ihrem Weg oft mehrere EU Länder durchqueren bzw. nicht in dem Land, in dem sie auch würden leben wollen landen- ein ewiges hin- und her Geschiebe bis die tatsächliche Sachbearbeitung der Fälle beginnt.

Deutschland und andere Länder suchen nach jeder Möglichkeit die Asylbewerber loszuwerden, beschreibt Alexander Thal, Sprecher des Bayrischen Flüchtlingsrats. Ein Knock-Out Kriterium ist Straffälligkeit oder nicht kooperatives Verhalten gegenüber den Behörden. Die Flüchtlinge würden dabei vorsätzlich kriminalisiert. Vielen ist es in ihren Heimatländern einfach nicht möglich einen legalen Pass für die Ausreise zu beantragen, damit werden sie durch die Einreise in Deutschland automatisch zu Kriminellen, ganz zu schweigen von der Kooperation mit den Behörden. Flüchtlinge die mit falschem Pass einreisen, haben Angst ihre wahre Identität Preis zu geben. Für die deutschen Behörden augenscheinlich ein Beweis der Kooperationsverweigerung.

„Die Gesetzgebung soll die Bereitschaft zur Rückkehr ins Heimatland fördern“
Die Lebensbedingungen für Asylbewerber in Deutschland, besonders aber in Bayern, seien menschenunwürdig, so Thal weiter. Die Gesetzgebung ist darauf ausgelegt die „Bereitschaft zur Rückkehr in das Heimatland zu fördern“. So werden sie durch ein neunmonatiges Arbeitsverbot sowie ein Reiseverbot sogar innerhalb Deutschland in die Isolation gezwungen. „Die Residenzpflicht schreibt Flüchtlingen vor ihren Landkreis, in Bayern sogar ihren Regierungsbezirk, nicht zu verlassen. „Verlassenerlaubnisse“ kosten zehn Euro!“, empört sich Thal.
Auch in den anderen Bereichen des Asylrechts ist die Bayrische Landesregierung wesentlich härter als der Rest des Bundes. Die Gesetzgebung sieht zwar eine generelle Lagerpflicht für Flüchtlinge vor, in der Praxis würde allerdings lediglich Bayern unabdingbar an dieser festhalten und den Flüchtlingen damit nicht nur einen wichtigen Teil der Selbstbestimmung nehmen sondern auch zusätzliche Kosten veranschlagen.
Ähnlich sieht es mit der Essensversorgung aus. Diese kann entweder durch Versorgungspakete oder die Übergabe finanzieller Mittel erfolgen. Wieder hält lediglich Bayern an der Versorgung durch Essenpakete fest. Ein enormer finanzieller wie organisatorischer Aufwand und ein weiterer Isolationsfaktor für die Flüchtlinge, kritisiert der Sprecher des Flüchtlingsrats.

Keine Perspektiven
„Sie haben nichts zu tun, nicht einmal selbst einkaufen gehen können Asylbewerber in Bayern!“ Folgerichtig denken sie den ganzen Tag über ihre traumatischen Erlebnisse nach.“, prangert Soyer an. „Da würde ich auch ausrausten! Unsere Therapeuten fühlen sich in der momentanen Situation oft machtlos. Wie solle man die Flüchtlinge aufbauen, wenn ihr Leben ihnen keinerlei Perspektive gibt?“

Foto: Andreas Thal

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