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Filmfest München: “Ich fühl mich Disco”

Jonas Bock
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Bei deutschen Coming-Out-Filmen knirschen die Zähne der Zuschauer, die Kehle schnürt sich zu und die Finger sind vor lauter Seelenpein bis zur Polsterung in den Sitz gekrallt – sagt man. Mit “Ich fühl mich Disco” streckt Regisseur Axel Ranisch dieser Pseudo-Konvention zwar nicht seinen Mittel- aber zumindest einen sehr entschlossen Zeigefinger entgegen und möchte in dieser Nische eigentlich alles anders machen.

Im Rahmen der Reihe Neues Deutsches Kino ist er mit seinem Film zu Gast beim Filmfest München. Darf er sich dabei auf einen Lorbeerhagel freuen?

Problem Nummer eins: Flori, mitten in der Pubertät und ein wenig pummelig, steht auf die Schlagermusik von Christian Steiffen, zu der er samt Mutti und Kostüm durch die Wohnung tanzt. Naja gut, das an sich ist nicht das Problem… Nur dass sein Vater damit nichts anfangen kann und sich deswegen für seinen Sohn schämt, das ist dann irgendwo doch nicht ideal.

Problem Nummer zwei: Die Mutter ist plötzlich weg. Für Flori ein ziemlicher Schock, war sie doch nicht nur Schlagertanzpartnerin, sondern auch die wichtigste bzw. einzigste Bezugsperson um ihn herum. Er und sein Vater müssen somit zukünftig alleine miteinander klar kommen.

Problem Nummer drei: Flori verliebt sich in einen Jungen namens Radu, der wohl zunächst noch nichts von den Gefühlsregungen ahnt (und schätzungsweise auch nicht viel halten wird), die ihm insgeheim vom Protagonisten entgegenwehen. Ach ja, natürlich weiß der Vater nichts von der Homosexualität seines Sohnes. Unproblematisch ist was anderes.

Soweit zur Ausgangslage. Zwischen diesen drei Begebenheiten gleitet (oder eher holpert) die Handlung wie in einem Gravitationsfeld dreier ähnlicher aber doch unterschiedlicher Planeten. Um das alles auf einen Nenner zu bringen und für den Zuschauer geschickt zu verpacken, müsste die Handlung bis aufs Kleinste austariert und balanciert sein. Um es gleich vorweg zu nehmen: In der Hinsicht verzettelt sich der Film mehr oder weniger.

Dabei verlief doch das erste Viertel des Films geschmiert: Die Charaktere sind sympathisch und meist auch glaubwürdig, der Plot ist gespickt mit allerlei herzigen, witzigen und genialen Details. Selbst triefend-kitschige Momente fängt der Film mithilfe der urkultigen Songs von Schlagergott Christian Steiffen auf (“Das Leben ist nicht immer nur Pommes & Disko” ). Doch irgendwie wird man spätestens ab der zweiten Hälfte das Gefühl nicht los, dass da doch ein paar Bälle zuviel in der Luft sind.

Zwar schafft es der Film, all seine Handlungsstränge letztendlich aufzulösen, aber den leicht überfüllten Eindruck in Sachen Plot kann er leider nicht abschütteln. Zusätzlich lässt einem vor allem der Filmtitel in dem Glauben, man sitze in einer leichtfüßigen Komödie. Dabei muss man sich spätestens auf dem Weg aus dem Kinosaal eingestehen, dass diese scheinbare Komödie doch viel mehr schwermütige Momente hat, als vermutlich angepeilt.

So fehlt “Ich fühl mich Disco” ein gutes Stück um in höhere Wertungsregionen aufzusteigen. Doch wer sich an dem übervollen Bündel keinen Bruch hebt, sprich, keine übertrieben hohe Erwartungen hat, kann den Film letztendlich trotzdem genießen.

Foto: Filmfest München

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