Kultur

Germania: Next Topmodel

Philipp Bovermann
Letzte Artikel von Philipp Bovermann (Alle anzeigen)

_DSC0598
Man sagt ihr einen etwas altväterlichen Charme nach: Kurz bevor Deutschland sein oberstes Supermodel wiederwählen darf, beschwört die Künstlergruppe CADAM „Germania next Topmodel“ in all ihrer allegorischen Glorie selbst herauf. Das Stück bekommt dafür ein Foto von mir.

Ein Topmodel ohne Absätze, mit Bodenkontakt, zum Anfassen und zum Reinbeißen, soll es also sein. Nun gut, da steht: Ein junger Mann aus Australien, der Englisch spricht, als Kontrastfolie der passgenaue Widerstand für das, was er da vorführt. Nämlich den Faschismus weiblicher Bildlichkeit, von der weiblichen Besetzung des Themas an sich befreit – womit sich andernfalls das Ganze ja in den Schwanz beißen und nach hinten losgehen würde, wenn „die Weiblichkeit“ also ein weibliches Problem wäre. Dieser kontrastive, körperlich anwesende Bruch als Öffnung ist zugleich der Raum, den „Germania Next Topmodel“ aufmacht und virtuos-seiltänzerisch, und eben auch tänzerisch, offenhält.

Er droht ständig zu kollabieren, dieser Raum, so wie sich der junge Mann erzählend, tanzend und singend und als interaktiver Was-Soll-Ich-Mir-Anziehen-Entertainer stets an der Schwelle zum Verschwinden zu befinden scheint – an der Stelle, die sonst vom Bild eingelöst und ausgesöhnt wird. Sein Tanz erzählt von der visuellen Norm, die man aus der Brigitte kennt, als geschichtliches und geschichtsbildendes Phänomen, der Diktatur ihr gerecht zu werden, und zwar aus freien Stücken. Aber er erzählt auch inwendig von der Labilität, dem geschmeidigen, ganz und gar körperlichen Zerbröseln, wo anstelle des Bildes diesem entgegengearbeitet wird, ins Blaue der Geschichte hinein.

_DSC0559

Diese Bewegung, die nicht zu sich selbst heimkommen darf, kennt anscheinend weder Ziel noch Erlösung, nur die Wiederholung. „Mal sehen, wie lange Sie das aushalten“, lacht da die Merkel aus dem Off. Hier geben sich die erstrebte Konsonanz mit der Titelcover-Blondine und das Bemühen um die Spielräume der Dissonanz die Hand, spielen jeweils hinüber ins andere. Insofern sie in dieser einen menschlichen Figur zusammenfließen, verdichtet sich das Hin- und Hergleiten zwischen beiden auf eine höchst schweißtreibende Weise, die man auch in den paradoxen Selbstentwürfen junger Frauen widerfindet. Germania on stage: abwesende „Frau“ und Allegorie ihrer Unterdrückung, Idealbild und Sinnbild in einem.

Eine Stelle des Stückes zitiert die bekannteste von Walter Benjamins geschichtsphilosophischen Fragmenten – zitiert sie nicht nur, singt sie, auf eine beinahe liturgische Weise: Darin sind wir mit dem Bild des „Engels der Geschichte“ konfrontiert, der „das Antlitz der Vergangenheit zugewendet“ hat und dabei „eine einzige Katastrophe“ sieht, die „unablässig Trümmer auf Trümmer häuft und sie ihm vor die Füße schleudert“, während vor uns, dem Publikum, „eine Kette von Begebenheiten“ erscheint – dies alles auf Englisch, wohlgemerkt. Und dann wird das Ganze noch einmal gedoppelt, wiederholt, von einer Aufzeichnung, auf der wir das erste Mal eine Frauenstimme hören.

Die inwendig verkehrte Allegorie deutscher Weiblichkeit und ihrer kriegerischen Befreiung mit Schwert und Schild steht da: als Mann, als Tänzer und als Engel der Geschichte, das Gesicht dem Publikum zugewandt. „Er möchte wohl verweilen“, schreibt Benjamin, aber ein Sturm „vom Paradiese her“ weht ihn in die Zukunft, der Engel kann seine Flügel nicht mehr schließen. So zart und körperlich-bewegt, so vage das Stück auch verbleiben und verklingen mag, erzählt es gerade darin von etwas, das wesentlich im Schwung ist und das daher eben auch nicht mit Schwert und Schild erstritten werden kann, wie Germania das gern so hätte.
_DSC0672

Wer das Stück noch sehen möchte, hat dazu am Sonntag um 19.30 Uhr Gelegenheit, und zwar im Einstein Kultur.
Weitere Infos: http://einstein-kultur.de/veranstaltung/?ee=860

Text:Philipp Bovermann
Foto credits:Theresa Scheitzenhammer

No Comments

Post A Comment

Simple Share Buttons
Simple Share Buttons