Live

Heavy Metal

Philipp Bovermann
Letzte Artikel von Philipp Bovermann (Alle anzeigen)

guernica4Wie stahlkubisch-massive Findlinge liegen sie in den Regalen. Nur hat diese Findlinge, die aus den Überresten der Yacht „EL AZOR“ des Diktators Franco gepresst wurden, keiner gesucht. Weshalb es auch so schwierig ist sie wieder zu verlieren. Die fiktive „what remains gallery“ erzählt mit der Rekontextualisierung eines Werkes des spanischen Künstlers Fernando Sánchez Castillo („Guernica-Syndrome/AZOR“) von Schwerkraft und Auftrieb europäischer Geschichte.
EL AZOR, das heißt auf Spanisch „der Habicht“. Wenn man den Kunstpavillon im Alten Botanischen Garten betritt, gleich gegenüber des Justizpalasts, erinnert außer den hohen Decken nicht viel an die federne Leichtigkeit, mit der sich der stählerne Raubvogel einst über die Meere bewegt hat. Glaubt man einer Anekdote, so habe diese Motor-Yacht, des Diktators Stolz, sogar allzu leicht auf See gelegen. Ein Minister Francos taufte das Schiff daher öffentlich in „Kotzeimer“ um. Nach einer unruhigen Geschichte, die zwischen leicht verschämtem Bewahren und semi-öffentlichem Verfall hin und her schwankte und schaukelte, wurde die Außenfassade der EL AZOR schließlich von Fernando Sanchez Castillo, einem renommierten spanischen Gegenwarts-Künstler, gekauft und zu stählernen Würfeln auf EU-Paletten-Normgröße gepresst, bekam politischen Gegenwind (die Last der Erinnerung wiegt schwer) und strandete schließlich auf einem österreichischen Bauernhof, wo die tonnenschweren Stahlblöcke lange Zeit off-stage und in aller Ruhe vor sich hin rosten durften.
Die „what remains gallery“ um die Künstler Christian & René Landspersky hat nun in Kooperation mit Fernando Sánchez Castillo zehn der Würfel nach München geholt. Die Ausstellung reflektiert das ungelöste Problem der Ver-lagerung unbequemer geschichtlicher Relikte, indem sie künstlerisch eine Raum-Besetzung arrangiert, die an eine offene Lagersituation erinnert. Offen deshalb, weil nach oben noch viel Luft ist: Die hohen Decken gehören einem wuchtigen Nazi-Bau im Herzen Münchens, in dem einst Fahnen geweiht wurden. Das Einsetzen politischer Semantik, das hier einst verfertigt wurde, wird somit seinen nicht aus der Welt zu schaffenden Produkten gegenübergestellt. Die Würfel wiegen schwer auf den Regalen, gegen die man beim Betreten des Raumes wie gegen eine Wand läuft. Was einmal geschaffen wurde, das bleibt.
guernica3Nun liegen sie also da, auf Paletten, als Häppchen in EU-Normgröße bissfest serviert. Die (physische) Gewalt, die sie verdichtet und ihnen skulpturale Qualitäten eingepresst hat, zeugt von ihrer geschichtlichen Wucht, die spürbar, stahlhart, der Gewalt eines Diktators beim Fischen vor der spanischen Küste standhält. Das Material ist widerständig: Die EL AZOR ließ sich bei allem Kraftaufwand nicht in sich exakt geometrisch schließende Formen pressen. Die Oberflächen der Würfel sind nicht völlig eben, ihre bloßliegende Struktur haben sie sich trotz der physikalischen Kompression bewahrt. Künstlerische Figurativität zum Zweck der Disponierung für die Reflexion setzt semantische Verdichtung voraus; es ist aber das Material selbst, das sich dieser Entstellung widersetzt und aus ihr gewaltsam heraussteht, ausladend statt einladend im Raum. Zwei Pole der Gewalt: Die künstlerische und diejenige, auf die künstlerisch rekurriert wird. In dieser konfigurativen Spannung ergibt sich eine morbide Formschönheit, die schwankt wie einst der spanische „Kotzeimer“ selbst und irgendwo zwischen dem Symbolisch-Monumentalen und dem kalten Stahl selbst hängen bleibt, der unter dem abblätternden kanariengelben Lack zum Vorschein kommt.
Stahl lässt sich bekanntermaßen nur unter Hitzeeinwirkung formen. Die „what remains gallery“ hingegen beobachtet die kalte Fusion einer Last, die nicht sinken will, mit sich selbst, und mit dem zwischen den Blöcken großzügig ausgesparten Raum, in der ehemaligen Hauptstadt einer Bewegung, die hier gewaltsam zum Stillstand gebracht und grenzübergreifend ver-lagert wurde.

Die Ausstellung läuft noch bis zum 27. Oktober im Kunstpavillon im Alten Botanischen Garten, Sophienstraße 7a.

Öffnungszeiten: Dienstags bis samstags von 13 bis 19 Uhr; sonntags von 11 bis 17 Uhr

Künstlergespräch am 15. Oktober, 19 Uhr

Fotocredit: Sarah Lau

No Comments

Post A Comment

Simple Share Buttons
Simple Share Buttons