Kultur

Jenseits von Disneyland-Kroatien

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Copyright: Volker Derlath

Alle zwei Jahre vergibt die Stadt München Stipendien für vielversprechende literarische Projekte. Die Preisverleihung am letzten Freitag zeigte sehr unterschiedliche und spannende Geschichten. Eine dieser Geschichten erzählte der Jüngste der Stipendiaten, Stefan Vidović, der gerade seinen Master in Kreativem Schreiben an der Universität Hildesheim macht. In seinem Romanprojekt „Schlawiner“ geht es um einen Münchner Halbkroaten, der in die fremde Heimat zurückkehrt – Ein Gespräch über Heimat und Integration.

Dein Romanprojekt klingt ein bisschen wie deine Lebensgeschichte: Ein Halbkroate, der in München aufgewachsen ist und seine Wurzeln in der Heimat sucht. Was hat dich an dem Projekt interessiert und was hat das mit dir zu tun?

Es hat natürlich in dem Sinne viel mit mir selbst zu tun, wie halt alles im Schreiben immer mit einem selbst zu tun hat, weil man ja der ist, der es ausdrückt. Es ging mir aber nie so, dass ich dachte, ich muss hier weg, weil das hier nicht meine Mentalität oder meine Welt ist, sondern ich hab mich manchmal mehr, manchmal weniger, aber eigentlich schon sehr absolut als Deutscher gefühlt. Natürlich jubelt man mal für die kroatische Nationalmannschaft, aber ich bin hier in München Neuperlach aufgewachsen und das ist meine Heimat.

Was unterscheidet dich von deiner Hauptfigur Tobias?

Ich bin viel reflektierter als meine Figur Tobias, als dass ich sagen würde, ich muss weg aus München, um mich selbst zu finden. Die Anlehnungen sind eher da, dass ich so Leute mitgekriegt hab, denen es genau darum ging. Ich hab nicht verstanden, warum gerade in Neuperlach dieser Drang unter den Migranten so stark war, sich eine andere Identität zu suchen, um nicht diese scheiß Kartoffel zu sein.

Also geht es dir um Eskapismus?

Das ist ein Punkt von diesem Roman. Ich wollte mal so weit gehen zu sagen: Was wäre denn gewesen, wenn ich auch so gewesen wäre. Zu sagen: Ich muss mich hier gar nicht anpassen, weil ich ja noch mein Backup habe. So eine Figur mal da hin gehen zu lassen, was natürlich auch keine neue Idee ist. Wie viele Geschichten gibt es von Türken, die nicht richtig Deutsch und nicht richtig Türkisch können. Wo es darum geht: die haben eigentlich gar keine Heimat, die träumen sich nur in so Disneywelten. Warum nicht mal einen nehmen, der eigentlich an der Schwelle ist, es geschafft zu haben, im Sinne von: Wir werfen keine Steine mehr auf die S-Bahn und machen unser Abitur, sind eigentlich gut integriert und kommen zurecht. Aber diesen Typ mal den umgekehrten Weg gehen zu lassen, indem er aus Deutschland abhaut und gerade wieder in das Land zurückgeht, aus dem seine Elterngeneration gerade geflohen ist.

Disneyland-Kroatien?

Ja! Weil meine Verwandten mir immer vorgegeben haben, dass Kroatien kein armes Land ist. So sehr „sky ist the limit“ hab ich nie gefühlt, wie in Kroatien. Ich kann mich noch gut erinnern, als ich das erste mal nach dem Krieg da war, das war im Jahr 2000, zur Hochzeit meiner Cousine und mich mein kleiner Cousin in den Saal geführt hat und gesagt hat: „Schau! Und du denkst Kroatien ist ein armes Land!“ Ich hab nie gedacht Kroatien ist ein armes Land. Da war immer diese pompöse Vorstellung. Hinter diese Fassade zu schauen hat mich gereizt. Die Vorstellung, in dieses Disneyland-Kroatien zu reisen und sich mit dieser fremden Heimat auseinander zu setzen, mal durchzuspielen.

Eine Integrationsgeschichte?

Ich hab immer gesagt, es geht eigentlich um Integration und hab mich danach immer ziemlich krass geschämt, weil natürlich ist es so ein reißerisches Thema, aber klar, die Metageschichte ist eine Integrationsgeschichte. Aber die Geschichte stellt sowohl die Frage: Wie bin ich als Deutscher in Deutschland, als auch: Wie bin ich als Ausländer in Deutschland. Es geht allgemein um jemanden,  der sich nicht wohl fühlt in einer Gesellschaft und nach Möglichkeiten sucht, dieser zu entgehen.

Also mehr ein Identitätsproblem, wie es in einer klassischen Coming-of-age-Story verhandelt wird?

Im Prinzip natürlich. Es geht darum, Fragen zu stellen, die der Identität dienen und klar, Tobias ist 18, er hat gerade sein Abitur gemacht und weiß nicht, was er will.

Und dein Protagonist findet dann seine Identität in Kroatien oder muss das zwangsläufig scheitern?

Es muss natürlich zwangsläufig scheitern. Denn er hat ja keine Ahnung, er spricht ja nicht mal die Sprache. Er kommt naiv dahin und denkt, er ist jetzt was und merkt sehr schnell, dass er überhaupt nichts weiß, weil er abhängig von allen ist. Aber das wird ihm erst nach und nach bewusst. Das kann auch nur scheitern, weil er auf eine Weise auch einfach Deutscher ist und keinen richtigen Bezug mehr zu Kroatien hat. Er weiß nichts von diesem Land.

Und am Ende…?

… findet er raus: Dass er auch dort nicht aufgehoben ist.

Wir wünschen Stefan Vidovic viel Erfolg und hoffen, dass das Projekt mit der kleinen Unterstützung der Stadt München bald realisiert werden wird.

Fotocredit: Volker Derlath

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