Kultur, Live

„Du hast ein Bild von Rockstars im Kopf? Das zerschlagen wir!“

Birgit Buchart

uhlmannlive

Das zweite Soloalbum von Thees Uhlmann ist auf Erfolgskurs und er tourt mit seiner Band im Windschatten hinterher. Das Konzert am vergangenen Sonntag in der Muffathalle München war restlos ausverkauft. Wir haben mit Thees vor seinem Konzert über die Tour, sein Album, seine Gewohnheiten und sein „Rockstar-Dasein“ gesprochen.

Thees trägt einen blauen Zipper und eine passende blau-weiße Kappe, auf der „Linz“ steht. Die Stadt in der er den Abend zuvor gespielt hatte. Der 39-jährige nippt an seinem Weißwein während er es sich im Sessel gemütlich macht. Vor dem Raum herrscht Hektik, doch Thees wirkt sehr entspannt.

Thees, heute geht es in München auf die Bühne – das fünfte Konzert deiner Tour. Bist du denn noch nervös vor Auftritten?

Also angespannt ist man immer vor einem Konzert. Wir haben ja in Bremen angefangen, da habe ich wirklich nach 15 Sekunden erst einmal den Text vergessen und musste nochmals anfangen. Die Leute haben gelacht, meine Band hat auch gelacht, nur ich hab nicht gelacht. Da waren wir wie Hühner bei Gewitter, aber das wird jetzt natürlich immer besser. Aber das ist natürlich auch so ein bisschen der Kick, der Realitätscheck. Wenn ich jetzt sagen würde: (mit tiefer, gelangweilter Stimme) Ja neue Platte ist geil.. Wir spielen da jetzt mal die neuen Songs und so…“ Das würde nicht zu mir passen. Deswegen genießt man es, wenn man von der totalen Aufregung in die gesunde Anspannung reinkommt.

Habt ihr bestimmte Rituale vor Auftritten?

Ja das einzige ist, dass wir uns als Band noch einmal zusammenstellen und dass jeder halt irgendetwas sagt. Wenn‘s ein wichtiges Konzert ist, sagt man so: „Hey, heute alle konzentrieren!“, oder jemand erzählt eine schöne oder witzige Geschichte aus der Stadt. Das hilft uns allen zur Konzentration, bevor es dann los geht.

Wenn du heute mal zurück denkst an deine lange Karriere, auch an die Zeiten mit Tomte, was war denn das Verrückteste, das du auf Tour erlebt hast?

Das Verrückteste? (überlegt) Als ich erst so fünf oder sechs Jahre Musik gemacht habe, haben wir in Münster gespielt. Wir machten damals so Indie-Rock mit gefühlvollen Texten und es waren nur Punks im Publikum. Wir fangen so an zu spielen und plötzlich steht da ein Punk vor mir, zeigt mir den Mittelfinger und spuckt mich mit Bier an. (lacht) Und ich fand das so witzig… Oder nicht witzig, aber ich sah das im Endeffekt auch als Ansporn, weil Punks in meiner Welt das Härteste sind und dann machst du Punks so nervös, dass sie dich mit Bier bespucken müssen. Das fand ich verrückt, ich habe dem das auch gar nicht übel genommen.

Deshalb umso schöner, dass sich das jetzt geändert hat. Ich erinnere mich an das Frequency Festival diesen Sommer, da hast du die Punks im Publikum angesprochen und dich gefreut, dass sie dabei sind.

Genau! Ja, die Leute die Musik hören, sind wesentlich offener geworden. Wenn ich das vergleiche mit meiner Jugend, da waren die Lager viel separierter und man hat Techno einfach gehasst! Oder Hippies… wie scheiße! Das ist heute alles aufgeweicht und das finde ich total angenehm. Für mich ist natürlich das Verrückteste, dass ich bei den Toten Hosen im Vorprogramm gespielt habe. Die Toten Hosen waren mein allererstes Rockkonzert, die haben mich auf eine bestimmte Art und Weise süchtig gemacht nach Musik machen. 20 Jahre später steht Campino auf der Bühne und sagt so: „Hier, gute Freunde von uns, die Band heißt “Thees Uhlmann & Band“, hört euch das mal an“. Das ist für mein Gehirn einfach verrückt. Das ist romantisch und so Good-Will-Hunting-mäßig – auch der Dumme kann was werden.


Ja aus dem ist aber richtig was geworden. Dein aktuelles Album verkauft sich top. „#2“ knüpft ja nahtlos an den Vorgänger an, da hat sich musikalisch nichts verändert. Hast du die neuen Songs alle zwei Jahre später geschrieben oder sind da noch Titel dabei, die damals im Zuge des Debütalbums 2011 entstanden sind?

Nein, ich habe einfach weitergeschrieben. Da sind keine Altlasten drauf. Wenn Bands ihre Promokampagnen damit starten: „Wir haben uns auf unserem neuen Album neu erfunden!“ Dann ist das meistens echt eine Lüge! Das hört sich natürlich gut an und es verkauft sich auch wahnsinnig gut. Aber wenn man sich die Musik anhört, merkt man: Ihr habt euch neu erfunden? Nein! Ihr habt einfach nur ein Keyboard mit dazu genommen. Das ist nicht neu erfinden, neu erfinden ist, wenn man eine Glühbirne oder den Dieselmotor erfindet. Klar, es kommt immer irgendetwas neues, wenn man Musik macht. Aber ich erwarte von Bruce Springsteen oder Element of Crime keine Neuerfindung! Das ist wie mit dem Greyerzer Käse. In der Greyerzer Käserei kommt auch keiner: „Wir haben den Greyerzer Käse neu erfunden!“ „Vielen Dank, er hat uns 200 Jahre wahnsinnig gut geschmeckt, aber klar, erfindet ihn neu! Wir hoffen er schmeckt nach HotDogs!“
Es kommen neue Einflüsse dazu, aber das war‘s. Ich habe alle Songs neu geschrieben.

Auf dem neuen, wie auf dem alten Album spielen Orte oft eine tragende Rolle. Ist die örtliche Umgebung für dich persönlich besonders wichtig?

Persönlich ist mir das nicht wichtig. So ein Ort ist eine wahnsinnig gute Leinwand zum Bemalen. Es geht ja auch darum, bei den Zuhörern „Bilders“ zu erschaffen…
Habe ich „Bilders“ gesagt? Ich glaube ich rede zu viel Englisch auf der Tour. Einer der uns auf Tour hilft, kommt aus Kanada und wir sprechen die ganze Zeit so wahnsinnig schlechtes deutsches Englisch.
Also, zurück. Im Endeffekt war ja jeder schon einmal in Wien. Oder hat ein Bild von der Stadt. Dann finde ich es immer toll, sich selber so einer Stadt hinzugeben und zu versuchen auch beim Zuhörer den Fokus auf bestimmte Dinge zu lenken. Der Titel des Wien-Songs „Zerschmettert in Stücke im Frieden der Nacht“, steht in Wien ja auf einem Flakturm und ich habe einfach von vielen Wienern schon gehört, dass ihnen das noch nie aufgefallen wäre. Das ist dieses Phänomen der Heimblindheit. Freunde kommen zu dir zu Besuch und sagen: „Mann, ist diese Lampe hässlich!“ Und du denkst dir nur so: „Die.. war doch schon immer da… Die sieht doch ganz normal aus…“ Kennst du oder? So etwas finde ich immer interessant. Und Orte sind auch einfach inspirierend.

Hat dich Wien ganz besonders inspiriert oder wieso hast du dich gerade für Wien entschieden?

Also ich habe in meinem Leben glaube ich schon fünf Lieder über Städte geschrieben und irgendwie wollten Tobias und ich auf jeden Fall wieder einen Stadt-Song. Dann fand ich es einfach witzig als Norddeutscher einen Love-Song über Wien zu schreiben. Die ganzen Sachen, die im Song vorkommen sind alle so passiert. Ich verbinde mit Wien wahnsinnig viele Geschichten. Ich war bestimmt schon 15 Mal in Wien und aus all diesen Besuchen sind Erlebnisse eingeflossen. Ich war einmal mit meiner Tochter in Wien, da war sie vier oder fünf. Wir gehen also so zusammen durch Wien und dann kuckt sie mich so an und sagt: „Das gefällt mir hier!“ Und ich so: „Hä? Warum das denn?“ Und sie antwortet: „Hier ist alles alt“. Das finde ich Hammer! Wenn so ein kleiner Mensch sich sein eigenes Leben erschafft und anfängt so Bewertungen abzugeben.

Vom Ort zur Zeit: In einem Visions-Artikel (August 2013) hast du erwähnt, dass du den Jetleg in Kalifornien genossen hast, weil du um vier Uhr morgens wach warst und gearbeitet hast während sonst jeder schlief. Bist du so ein „Situations-Kreativer“ und brauchst eine gewisse Stimmung um zu arbeiten oder kommen deine Ideen irgendwann im Alltag?

Die Ideen kommen irgendwann im Alltag aber es macht mir dann Spaß, das alles um vier Uhr morgens in Los Angeles fertig zu ballern, so zack, zack, zack! Ich muss ja sonst arbeiten, hab´ eine Tochter und wenn man dann Zeit für Kreativität hat, freut sich der Körper schon so sehr, dass man einfach zu sich selbst sagt: „Alter, du bist gerade wegen Musik in Kalifornien! Ist das abgedreht? Du bist aus einem Bau aus Norddeutschland! Fuck off, genial! Lass einen Songtext schreiben!“ Also vielleicht hast du sogar recht damit, dass ich Situations-Kreativer bin.

Wenn du dann kreativ bist, was entsteht bei dir zuerst: Musik oder Text?

Im Endeffekt ist das ein Wust, in dem das entsteht.
Also es gibt schon so zwei verschiedene Situationen. Die eine Situation ist: Ich sitze am Klavier, spiele so rum und denke mir irgendwann: „Oh das ist irgendwie ganz hübsch, das behalt ich mal“. Es gibt auch so Situationen, wenn ich durch die Gegend gehe und denke: „Oh das ist eigentlich ein guter Satz um eine Sache zu beschreiben“. Das sind also die beiden Initialzündungen, aus denen dann entweder der Text oder die Musik entsteht.

(Die Tür geht auf, Thees blickt hoch, lächelt und sagt: „Fritz, we are doing an Interview here!“ Fritz schließt die Türe ohne Antwort und Thees blickt mich kurz nachdenklich an bevor er sich die Hand an die Stirn klatscht: „Der ist gar nicht aus England! Oh Gott!“ Kurz peinlich berührt, kommt er aber schnell wieder auf das Thema zurück)

So, das ist nur das eine Prozent. Dann ist oft ganz viel nebenbei: Mehrere Texte gleichzeitig schreiben, mehrere Songs gleichzeitig schreiben. Also das Wort Wust trifft das am besten.

Du hast ja nicht nur Songtexte geschrieben. Du hast auch schon mal für diverse Magazine geschrieben. Ist die Musik an sich und das Texten eine gleichwertige Leidenschaft für dich?

Ne, das bestimmt nicht! Das Musik machen ist das, was ich tue. Was ich vor Kurzem geschrieben habe, war der Blog zum Album Release auf Facebook. Mir ist dann auch klar, dass ich es für das Internet schreibe, deshalb soll es nicht tief sein. Bei der Musik bin ich wahnsinnig akribisch. Ich möchte zum Beispiel keine Scheiße singen! Ich möchte nur Texte durchlassen, für die ich mich in zehn Jahren nicht schäme. Wenn ich für das Internet schreibe ist mir das alles scheißegal. Die Verweildauer für einen Text im Internet ist wahrscheinlich 36 Minuten und deshalb will ich damit nur entertainen. Die Leute sollen lachen oder mit dem Kopf schütteln. Das Schreiben mache ich wahnsinnig gerne aber da steht für mich der Entertainment Charakter im Vordergrund.

Dabei war dein Album-Release-Blog schon fast literarisch hochwertig. Viel zu schade für das Internet.

Das Schreiben ist bei mir auch so punk-mäßig: „Hi, ich habe die 1LIVE Krone gewonnen und ich hab´ echt Erfolg mit meiner Musik…“ – (zwei Mittelfinger in der Luft) FUCK OFF! Hier, peinliche Geschichte- raus damit! Egal! Raus mit der Geschichte! Hier ist eure Blaupause für Rockstars, drauf hauen! Hier, ein Foto vom Weihnachtsschmuck bei meiner Mutter zuhause. Kuck mal hier, ich rauche mit meiner Mutter vor dem Kamin! Du hast ein Bild von Rockstars im Kopf? Das zerschlagen wir!
Das kriegen vielleicht nur zwei oder drei Leute mit und schnallen das so, wie ich das möchte, aber das ist egal.

Wenn man Interviews von dir sieht, deine Texte hört oder dich, wie heute, als Mensch kennen lernt, merkt man schon, dass du ein sehr kreativer Kopf bist. Gibt es für dich einen Unterschied zwischen Musikern und Künstlern, oder gehen diese beiden Begriffe immer Hand in Hand?

Das geht schon Hand in Hand. Das hat auch etwas mit dem deutschen Kunstbegriff zu tun. Ich sage gerne, dass ich Musiker bin und dass das bei mir ziemlich viel mit Arbeit zu tun hat. Weil ich es ablehne, dass dieses Musiker-Dasein irgendetwas Sphärisches sein soll. Dass man irgendwie ausgewählt wurde durch eine höhere Macht oder, dass man auf jeden Fall in die Provence fahren muss um gute Texte zu schreiben. Ich bin auch so erzogen, dass ich das „getting-shit-done-mäßig“ sehe. Ich habe mich für Arbeit nie geschämt und offensichtlich ist es so, dass die meisten Leute arbeiten müssen. Selbstverwirklichung kommt da manchmal erst an zweiter oder dritter Stelle.

Das war‘s dann auch von meiner Seite, du musst schließlich gleich an die besagte Arbeit.

Ja dankeschön, war toll. Was war ich, Situations-Kreativer, oder? Das Wort merke ich mir!

Pünktlich um 21:00 Uhr erlöschen die Lichter in der Muffathalle und das bisher sehr zurückhaltende Publikum kommt endlich in Stimmung. Thees Uhlmann & Band beginnen den Abend mit dem Song „Weiße Knöchel“. Da hat uns Thees zuvor noch vom ersten Tourabend erzählt, an dem er nervös war und gleich zu Beginn den Text vergessen hatte. Vielleicht ist er an diesem Abend doch nervöser, als gedacht. Nach nur wenigen Sekunden passiert es erneut. Aber mit einem sympathischen Lächeln überspielt er den Patzer charmant und offensichtlich nimmt ihm den Fehler niemand übel. Der Rest des Konzertes verläuft dann nahezu perfekt: Die Band hat sichtlich Spaß und das Publikum macht mit. Thees kommuniziert ständig mit dem Publikum, erzählt Geschichten und ruft zu friedlichen Fußballfans und zum Erhalt des Atomic Cafés in München auf.

Fazit: Ein wunderschöner Konzertsonntag und ein unfassbar sympathischer Thees Uhlmann in einem unterhaltsamen Gespräch.

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Bilder: Marcus Schwarzbach & Birgit Buchart

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