Kinogucken, Leben

Caulfield und die Hoffnung müssen sterben

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FINSTERWORLD©MarkusFoerderer_Alamode_BaerZehrfeld

In Frauke Finsterwalders Finsterworld sind die Figuren getrieben von einer Angst vor Leere – und finden sich in einer artifiziellen Hochglanzwelt wieder, in der immer die Sonne scheint.

„Dieses ‚Fiderallala’… irgendwie ekelt es mich, das auszusprechen, man kann aber auch nicht aufhören das zu sagen!“, ereifert sich Fußpfleger Claude über ein deutsches Volkslied so sehr, dass ihm das Bonbon aus dem Mund fällt. „Wie wenn man an ein bisschen Schorf an seiner Wunde kratzt“, beschreibt er dieses Gefühl zwischen Ekel und Heimeligem, das gleichzeitig auch das Verhältnis der Filmfiguren zu nationaler Identität und Vergangenheit beschreibt.

Das „Ekelgefühl mit dem Schorf“ geistert seit dem Kinostart des Episodenfilms Finsterworld am 17.10. durch sämtliche Feuilletons, wird von der ZEIT als „großartiges Spielfilmdebüt“ in den Himmel gehoben und vom Tagesspiegel als „prätentiös“ abgetan, während die SZ meint, dass Finsterworld „eine zersetzende, skandalöse Farce über ein nationalistisch-narzisstisches Deutschland“ hätte sein können, stattdessen aber als „überdeutliche Satire“ enttäuscht. Ob Lobeslied oder Verteufelung, Finsterworld ist ein Film, der, für eine deutsche Produktion, erstaunlich viel Beachtung erhalten hat.

Abhobeln von „eingetrockneten Schmierschichten“

Ein Grund mag sein, dass das HFF-Abschlussprojekt der Dokumentarfilmerin Frauke Finsterwalder „deutsche“ Neurosen in nahezu unerträglicher Seidl-Manier seziert und ausstellt. Co-Drehbuchautor Christian Kracht sagte im ZEIT-Interview, es ginge darum, „eingetrocknete Schmierschichten“ abzuhobeln, wie es Claude mit seiner kleinen Fußschleifmaschine tut. Das Slogan-hafte und die überdeutliche Sprache der Dialoge gehören zu dieser Strategie und ergänzen das Artifizielle und Werbungshafte der oft gleißend leuchtenden Bilder. In seiner Hochglanzästhetik erinnert Finsterworld dabei besonders in seinen Totalen an Gemälde von Edward Hopper.

Alle Bewohner der Finsterworld, die auch Lumberton heißen könnte, leben in ihrem eigenen privaten Kokon aus Illusionen. Polizist Tom fühlt sich nur im Plüschkostüm richtig wohl, wenn er sich mit gleichgesinnten Fellfetischisten in weichen, pastellfarbenen Slow-Mo Bildern zur Musik wiegt. Das Ehepaar Sandberg verschanzt sich in seinem amerikanischen Geländewagen („bloß kein Naziauto!“) vorm hässlichen Deutschland, und Franziska Feldhoeven, die Dokumentarfilmerin mit den bedeutenden Initialen, schwärmt von Antonioni, Seidl und Haneke, will Liebe und Schönheit zeigen, während ihre Beziehung an der eigenen Stumpfheit scheitert.

Die Verführung des Bösen

Außenseiter Dominik flüchtet vorm KZ-Klassenausflug und den Schikanen seines sadistischen Mitschülers Maximilian, vertraut sich als Holden Caulfield-Imitation im menschenleeren Feld einem Käfer an: „Man wird geboren und ist neugierig, dann wird man älter und erlebt Enttäuschungen und stumpft ab“. Ausgerechnet durch einen Fausthieb in die Magengrube von Maximilians Vater, Georg Sandberg, wird Dominik von der Erwachsenenwelt eingeholt. Im Cadillac sitzend ergeht er sich in Weltverbesserungsvisionen – „Vegetarier werden“… „sich entschuldigen“ – und kann gerade noch „Natalie“ hauchen, da trifft ihn bereits die Kugel, und Blut läuft durch den blütenweißen Hemdsärmel hinunter in die geöffnete Hand, in der eine Rapsblüte liegt. Caulfield und die Hoffnung müssen sterben.

Die engelsgleiche Natalie wird währenddessen im KZ von Maximilian und seinem Handlanger in den Verbrennungsofen gesperrt – bestraft wird Nickel, Gutmensch und Geschichtslehrer, während Natalie auf die Seite des Bösen hinübergelockt wird. Eine der letzten Einstellungen zeigt sie als Sportlerfreundin, die ihr Comic-Heft, letzte Erinnerung an Dominik, achtlos ins Gras wirft, um dem siegreichen Maximilian entgegenzuschweben.

„Es kann nicht sein, dass wir in einem toten Universum so vor uns hinleben“

Die vielleicht naivste Figur des Films, Fußpfleger Claude, wird an einer Stelle gefragt, ob er an Gott glaube. Nachdem er ein bisschen herumstottert, sagt er schließlich: „Man muss an etwas glauben, es kann nicht sein, dass wir in einem sinnlosen und toten Universum so vor uns hinleben.“ So wie Claude da in der Ecke sitzt und sich zögerlich offenbart, so legt er auch die Angst vor der Leere frei, die alle anderen Protagonisten in ihre privaten Illusionsräume treibt.

Es mag dieselbe Angst sein, die so viele Kinozuschauer dazu veranlasst, bei jeder skurrilen Szene, und davon gibt es einige, dankbar loszulachen. Es ist ja auch eine Herausforderung, das bunte Filmposter zu sehen, erwartungsfroh das Popcorn im Schoß zu halten, und auf einmal damit konfrontiert zu werden, wie jegliche Möglichkeit von Hoffnung auf mehr als Leere und Nichtigkeit ins Lächerliche gezogen wird. Glück ist eben nur als Illusion in den Kokons der Kindheit, des Plüschfells, oder des Geländewagens möglich – solange keine Gewehrkugel von draußen hindurchfliegt.

Hier gibts den Filmtrailer.

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Bildrechte: © Markus Foerderer & Malte Wandel

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