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Magnetische Tropfen

Philipp Bovermann
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Miet Warlop_1

Ein zugleich farbgrelles und finsteres Märchen, in dem kein Wort gesprochen wird: Mystery Magnet der belgischen Künstlerin Miet Warlop, am Freitag und Samstag im Rahmen des „Spielart“-Festivals aufgeführt, berührt den magnetischen Kreis der Bühne mit der Tangente der Bildenden Kunst. Deren Statik übersetzt sie in eine quietschbunte Bewegung im Stillstand, eine Welt aus laufenden Hosen und ständigen körperlichen Farbausflüssen, die schließlich in die materiale Härte der Leinwand zurückkehrt, der sie entsprungen war.

 

Tatsächlich nimmt als zentrales Requisit eine in separate„Panels“ untergliederte Leinwand die Bühne ein, die auf die Logik und Formsprache des Comic anspielt. Die Künstlerin hat sich nach eigener Aussage von Animationsfilmen und Cartoons inspirieren lassen. Warlops szenische Sprache aber bildet in bestürzender Unbefangenheit ein Karussell der Gewalt ab, das diesen Traum aus Farbe und Körpern latent zu durchdringen scheint. Ein dicker Mann liegt reglos auf der Bühne, als man den Saal betritt, so als wäre vorderhand ein Verbrechen geschehen, während ein metallischer Herzschlag bedrohlich aus dem Off wummert. Als er aussetzt, wuchtet der Mann sein Kostüm-Körperfett hoch. Das Stück beginnt.

Die „butchery in beauty“, mit der Warlop die Ästhetik ihrer in Regenbogenfarben blutenden „comic cuteness“ bezeichnet, lässt sich auf zwei Arten lesen. Als die sich ins rein Bildhafte und Suggestive entfernende Ästhetik einer formalisierten, sozusagen vollständig bekleideten Gewalt einerseits, einer Gewalt in der Silhouette; und als mit dem Messer gezogene Schnittmenge zweier unbekannter Größen, zweier Körper, die zusammen, einer auf den Schultern des anderen, und dann einen golden glänzenden Mantel darübergeworfen, ein hybrides Fabelwesen bilden. Stolz trabt es über die Bühne und betrachtet, ohne ein Wort zu sagen, den „dicken Mann“. Mit seinem Polster aus künstlicher Körpermasse, der zu viel Bühnenraum einnimmt, bildet er die Mitte dieses Irrsinns – ein menschlicher Luftballon, schwerelose Scham.

Das Unbewusste sei strukturiert wie eine Sprache, schreibt Jacques Lacan. Was aber bereits Sprache ist, kann sich nicht mehr selbst wiederum einer Sprache bedienen. Insofern könnte man sagen, dass die Bühne von Mystery Magnet stumm ist, weil in ihr alles spricht, und zwar ständig. Jedes Glied des Stücks ist in einer durch und durch gehenden Bewegung erfasst, überall dampft, blubbert und knallt es, gesichtslose Figuren mit farbgetränktem Pinselhaar übergeben sich aufeinander, plötzlich regnet es Dartpfeile. Jede Szene fließt selbstvergessen hinüber in eine erneute paradoxe Synthese, „die Welt kehrt zurück in eine Tasche“, wie es im Manifest des Surrealismus heißt – die Welt verpufft als ein rosa Wölkchen, und über allem schwebt ein Luftballon-Hai.

Dass er bei aller Künstlichkeit trotzdem beißen kann, dieser Hai, zeigt der Tod des „dicken Mannes“ nach etwa zwei Dritteln des Stücks. Unbeweglich steckt er in der Leinwand fest, der er als lebendige Figur entstiegen schien. Die Welt kehrt zurück – als farborgastisch vollgekotzte Bühne kehrt sie mit dem Ende des Stückes zurück, nachdem alles schon gelaufen ist. Dann nämlich setzt der mechanisch wummernde Herzschlag vom Anfang wieder ein und die Performer, unter ihnen die Künstlerin selbst, räumen die erkalteten Überbleibsel in einem gewaltigen Kater-Abwasch weg, vor sich leerenden Zuschauer-Rängen.

Man hat ja bereits gesehen, was es hier zu sehen gab. Es ist der letzte und gewalttätigste Ausfluss des Mystery Magnet, nämlich das kollabierte Magnetfeld des künstlerischen Raums selbst. Der Müllcontainer, in dem das entsorgte Kunstblut glänzt, nimmt es auf.

Miet Warlop_2

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Fotorechte: © Reinout Hiel

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