Kultur, Nach(t)kritik

Das Boyband-Prinzip

Nicolas Freund
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Transatlantic sind eine Art Boyband für Rockfans: Vier unterschiedliche Typen, jeder für sich schon eine Ein-Mann-Show – und die Fans sind blind vor Bewunderung. Der Anführer ist scheinbar ziemlich unangefochten Mike Portnoy. Der ehemalige Drummer von Dream Theater reaktivierte Transantlantic nach sieben Jahren Auszeit, kurz nachdem er bei seiner Hauptband halb ging, halb gegangen wurde. Weil er als total legendär gilt, hat er eigentlich bei jedem Konzert die größte oder zumindest, wie es sich für einen Schlagzeuger gehört, die lautesten Fans am Start.
Neal Morse, der Keyboard spielt und viel singt, ist der Machertyp. Weniger cool als der Chef, aber interessanter. Kann irgendwie alles und ist wahrscheinlich der eigentliche Bandboss. Wenn er nicht mit Transatlantic unterwegs ist, nimmt Neal Morse stapelweise, oft überraschend brauchbare, Alben mit christlicher Rockmusik auf, die aber teilweise nur in Amerika erscheinen.
Roine Stolt könnte der süße Schönling sein: Lange Haare, oft mit cooler Sonnenbrille und in München mit Sakko auf der Bühne. Spielt Gitarre und singt auch ziemlich gut. Ist so etwas wie die schwedische Antwort auf alle guten Gitarristen, die nicht aus Schweden kommen (und Yngwie Malmsteen). Kann an diesem Abend musikalisch am meisten überzeugen.
Den Bass bedient Pete Trewavas von Marillion. In einer Boyband wäre er wohl der schüchterne, ein bisschen geheimnisvolle Typ. Bis auf ein kurzes, eher überflüssiges Bassolo kriegt man an diesem Abend von ihm wenig mit.
Diese Burschen bespielen nun also nach einem knapp viertelstündigen Dudel-Intro die Muffathalle. Das Publikum ist eine wenig bunte Mischung aus Familienvätern im Karohemd, älteren Rock- und Metalfans und ein paar Fitnessstudio-Typen. Geschätzte sieben Frauen waren auch anwesend. Die Erwartungen an diese All-Stars-Band sind groß, werden aber bereits während dem ellenlangen Intro gedämpft und dann nicht ansatzweise erfüllt.
Die Songs von Transatlantic dauern auf CD auch mal über eine Stunde („The Whirlwind“). Und funktionieren ganz gut. Live wird das Ganze eingedampft, aber die Band nimmt sich noch immer sehr, sehr viel Zeit. Man muss ja alles mal ausprobieren. Die überlangen Songs wirken plötzlich ziemlich willkürlich zusammengestellt. Da werden sämtliche Melodien, die mehr als einmal verdächtig simpel daherkommen, gedreht und gewendet, auseinandergenommen. Jeder darf das Thema mal anspielen, dann kommt die nächste Kindermelodie und so geht das an die zweieinhalb Stunden weiter. Alles zwar technisch völlig einwandfrei – die Band erlaubt sich auch die eine oder andere Spielerei –, aber die gleiche Musik haben andere vor 40 Jahren schon spannender gemacht.
Sogar die Leute am T-Shirt-Stand der Band spielen mehr mit ihren iPhones als auf die Bühne zu schauen. Verständlich: Die Beamershow, die inzwischen auch jede Band am Start hat, sieht aus wie ein Windows 95-Bildschirmschoner. Dann lieber ohne. Die musikalischen Fähigkeiten aller, die an diesem Abend auf der Bühne stehen, sind über jeden Zweifel erhaben, inklusive Gitarrist und Sänger Ted Leonard, der die Band bei dieser Tour live unterstützt. Abgesehen von der einwandfreien musikalischen Präsentation und dem Ticketpreis von 40 Euro an der Abendkasse kommt aber alles andere bei diesem Konzert ziemlich billig rüber.
Fazit des Abends: Vier Egos auf der Bühne, die ihr Handwerk verstehen, aber nur mittelmäßige Musik abliefern. Obwohl sie anders können. Außerdem überzogene Preise und ganz viel Selbstgefälligkeit. Bei Boybands geht es ja meistens um Sex und coole Typen. Bei Transatlantic geht es nach außen hin um Musik und coole Typen. Die Schönlinge in den Boybands sind reiner Selbstzweck und so ist auch die Musik von Transatlantic, wie man sie an diesem Abend erlebt, in erster Linie dazu da, die Virtuosität und Egos der Musiker zu präsentieren. Sie ist reine, reproduzierte Fassade, hinter der sich nicht viel mehr verbirgt.

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