Kultur

Eine Schublade mehr – ebow & Michael Pfitzner im Interview

Jan Rauschning-Vits
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«Vay» ist der Titel der neuesten Ausstellung von Fotograf Michael Pfitzner. Seine Protagonistin ist Rapperin ebow. Michael Pfitzner ist ein junger Fotograf, der mit seinen 20 Jahren schon sechs Jahre Berufserfahrung mitbringt. Er hat assistiert, unter anderem bei Dirk Bader und Johannes Graf. Seine Arbeit erfindet er immer wieder neu – von perfekt inszenierter Modefotografie zu spontan wirkenden Schnappschüssen. Er steht auf Wandel, mag keinen Stillstand und will sich weder auf einen Stil festlegen noch durch sein Auftreten in irgendwelche Schubladen stecken lassen. Auch ebow, eine Münchner Sängerin und Architekturstudentin mit türkischen Wurzeln widerstreben Klischees. Ihre Musik ist wie Hip-Hop auf einer türkischen Hochzeit. Was die beiden zusammenbrachte und wie die Fotostrecke entstand, erzählten sie mir eines Nachmittags im Marais im Westend.

Schubladendenken scheint Tabu für euch. Ist es nicht einfach ein menschliches Bedürfnis zu kategorisieren? Denkt ihr denn nicht auch manchmal in Schubladen?

ebow: Ich denke wir haben alle Schubladen im Kopf – durch die Medien, unsere Gesellschaft, unsere Normen und Werte. Wir haben diese schon verinnerlicht. Mir geht es darum nicht weiter damit zu arbeiten, sondern darüber hinaus zu denken.

Michael: In Kategorien zu denken ist natürlich, vielleicht sogar überlebenswichtig. Es ist einfach, schnell und bequem. Es kann gefährlich sein aber es gibt einem auch Spielmaterial. Das wirklich Interessante findet dann auf anderer Ebene statt.

Für deine Bilder hast du ebow in den türkischen Läden am Hauptbahnhof inszeniert. Wie entstand die Idee dafür?

Michael: Ich habe ebow kennengelernt und wusste gar nicht, dass sie die ebow ist.

ebow: Er hat mich in einem Café angesprochen und gemeint, bist du nicht Dena?

Dena ist eine bulgarische Sängerin. Ich fand das lustig.

Michael: Peinlich, ja. Ich habe dann in ihre Musik reingehört und wollte sie gerne fotografieren. Ich dachte sie als Türkin, die Deutsch singt, erfüllt eben nicht die typischen Klischees, die man so im Kopf hat. Den Hauptbahnhof fand ich als Location super interessant. Die Läden dort haben Charme und ich finde den Kontrast zwischen München und Türkei ganz spannend. ebow spiegelt diesen Kontrast ja auch gut wieder.

ebow: Die Gegend um den Hauptbahnhof ist mein Lieblingsviertel. Es widerspricht sich selbst. Hier eine Moschee und nebenan ein Stripclub. Diese ganzen Rotlichtläden neben türkischen Supermärkten – alles läuft parallel. Und das ist es auch, was mir daran gefällt. Der Mensch ist ja auch widersprüchlich.

Die Fotos sind an einem Nachmittag entstanden. Wie haben die Leute und Ladenbesitzer darauf reagiert?

Michael: Ultra easy. Normalerweise muss ich mich auf ein Nein gefasst machen, wenn ich in einem Café fotografieren möchte. Ist der Chef nicht da ist, ist es immer sehr kompliziert.

ebow: Wir waren auch in einem türkischen Männercafé mit verdunkelten Scheiben, in der Männer Karten spielen. Die einzigen Frauen dort, sind die Bedienungen. Es ist eine echte Männerdomäne. Deshalb wollte ich ursprünglich auch nicht rein. Aber da der Laden meinem Onkel gehört, war es kein Problem. Er hat alle Männer gezwungen bei den Fotos mitzumachen. Eine skurrile Situation – Michi gab ihnen Anweisungen mich anzuschauen und sie folgten. Das war schon komisch, weil die Präsenz von Frauen dort zwar nicht verboten, aber unüblich ist.

Michael: Generell wurden wir freundlich empfangen. Wir waren sicher in 10 Geschäften an dem Tag und keiner hat je Nein gesagt. Das Einzige, was sie in einem dieser Supermärkte nicht wollten war, dass ebow sich in den Wagen setzt.

ebow: Sie hatten ein wenig Angst davor, wie das Bild nach außen wirken würde. Sonst nichts. Die Leute, die dort einkauften, haben sich überhaupt nicht für uns interessiert.

Es war fast so, als ob es alltäglich ist, dass man dort steht und Fotos macht. Die gleiche Erfahrung habe ich schon einmal gemacht, als ich vor einem dieser Läden ein Musikvideo gedreht habe. Es interessiert die Leute Null. Sie machen ihren Einkauf und kümmern sich um ihre eigenen Sachen.

Michael, wie stehst du zu deinen Bildern, sind sie eher Kunst oder Statement?

Michael: Das Hauptbild der Serie, das mit dem verschränkten Armen, die das Gesicht ein bisschen wie mit einem Schleier verbergen, ist sicher künstlerisch. Das ist mir aber erst im Nachhinein aufgefallen. Die Serie ist auch Statement. Es drückt diesen Zwiespalt aus zwischen dem was man denkt und dem was ist.

Was bedeutet eigentlich der Titel der Ausstellung – «Vay»?

ebow und Michael (gleichzeitig): Wow!

Nein, der Titel…?!

ebow (lacht): «Vay» heißt «Wow» – auf türkisch.

In ein paar Tagen ist die Vernissage von «Vay». Wie denkt ihr werden die Reaktionen auf die Bilder sein?

Michael: Ich finde es immer recht interessant, wie schnell man Leute provozieren kann. Es ist nicht meine Absicht das zu tun. Also ich überlege mir das nicht vorher, damit möglichst viel darüber geredet wird. Es entsteht einfach so. Die Leute werden sicher darüber diskutieren, was die Bilder aussagen wollen. Ich habe nie wirklich Aussagen hinter meinen Bildern. Es ist vielmehr eine Idee, die ich verfolge. Ich kann auch erklären, was diese Idee ist, aber ich will mit den Bildern nichts Spezielles aussagen. Ich hoffe einfach, dass es geteilte Meinungen geben wird.

ebow: Die Leute sagen, was sie sagen, das kann man dann nicht mehr beeinflussen. Für mich drücken die Bilder einfach Vielfalt aus.

Apropos Vielfalt. Wie empfindet ihr den Wandel der Stadt München? Wird durch den luxuriösen Bauboom nicht die Vielfalt aus der Stadt getrieben?

Michael: Ja, gerade junge Kunst wird aus München abgedrängt. Seitdem ich als Fotograf arbeite, hat bereits die Hälfte der Studios dicht gemacht. Ich finde München wird ihrem Anspruch als Kulturhauptstadt Deutschlands nicht gerecht. Klar, es gibt viele gute Galerien, aber die Stadt schafft kaum Platz für junge Kunst.

ebow: Für junge Musiker bietet München hingegen schon viele Auftrittsmöglichkeiten, wie z.B. das Musikfestival Munich Rocks. Das ist also kein Problem. Was aber schwierig ist, sind Probenräume zu finden.

Michael: Ja, die Glockenbachwerksatt ist noch so ein Refugium. Die Frage ist wie lange sich so etwas noch hält in der Lage. Berlin ist da schon kunstorientierter, aber die Bezahlung ist eher schlecht.

ebow: Es ziehen viele Künstler aus München weg in andere deutsche Städte – nach Hamburg, Berlin, Köln. Das finde ich sehr traurig, aber auch verständlich, da ihnen dort mehr Raum geboten wird. Es scheint so, als ob Dinge in München erst angesagt sind, wenn sie wo anders für cool befunden werden.

Michael: In München war das Import Export ein guter Laden. Solche Räume gibt es kaum bis gar nicht mehr. Das ist sehr schade, denn genau so etwas würde ich mir wünschen: Einen Ort, an dem sowohl bekannte als auch noch unbekannte Künstler die Möglichkeit haben aufzutreten. So würden junge Künstler besser gefördert.

Und was wünscht du dir für die Kunstszene in München, ebow?

ebow: Ich wünsche mir auch mehr Raum. Mehr Raum für Austausch, wo Künstler verschiedener Genres zusammenkommen und einfach Connections knüpfen können.

Interview Mamé Gamamy
Vay

Vernissage 28. Februar 2014

ab 18 Uhr

Künstlergespräch

Konzert von Ebow

Ausstellung

28. Februar – 28. März 2014

im

Klartext e.V. Zentrum für Sprache, Kultur und Beruf

Augustenstraße 77

80333 München

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