Kultur, Live

banal, radikal, plakativ. diePest2o14

“Engagierte Kunst ist immer plakativ”, sagt Jan Struckmeier, Regisseur… nein, “Leitung” der letzten Studiobühnenproduktion an der Theaterwissenschaft München für diese Sommersemesterspielzeit. diePest2014 nennt er sein “Herzensstück”, eine motiv-fragmentarische Polit-Theater-Tetris-Collage.

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Wer auf politisches Theater steht und kein Problem damit hat, dass er die politischen Implikationen nicht erst suchen muss, sondern sie auch mal holzhammerartig erst präsentiert und dann auch noch kommentiert bekommt, der ist an diesem Abend mehr als bedient. Wer von Theater mit Feuilleton-Schlagzeilen inzwischen genervt ist, aber kein Problem mit permanenter Reizüberflutung hat, und auch nicht zu sehr am Text hängt, der kann sich zumindest an der qualitativ hochwertigen Ästhetik erfreuen. “Irgendwann löst das visuelle das auditive ab.” (J.Struckmeier) Denn eines muss man objektiv dem Abend zugestehen: er hat Längen, verliert aber nicht an Spannung.

Zwei Stunden Pest im Kurzlauf: Wenn sich die Türe zur Studiobühne öffnet, dann werden sich für wenige Minuten Bühnenvolk und Publikum bespiegeln, beide laufen redend und Plätze suchend durch die Gegend. Wenn das Publikum dann geordnet in Reihen sitzt, stehen auch die fast 20 Schauspieler in Reih und Glied da und beginnen mit…
PEST – ZEITANGABE… im Wechselchor wird über 1900, 2000 oder das Jederzeit der geschehenen Ereignisse diskutiert oder das Egal-Sein des “wann?” und die Möglichkeit des “Immer wieder”.
PEST – ORTSANGABE Der original Camus-Text kommt über Lautsprecher zum Sprechen. Die Entstehung der Pest, die ersten Todesopfer, auf einmal kriegt jeder die Pest… direkt und metaphorisch.
PEST – SCHAUSPIELER “Ich glaube nicht an den veristischen Schauspieler” im Chor. Was ist der veristische Schauspieler? Einer der sich in seine Rolle hineinfühlt. Der hat bei Struckmeiers Inszenierung aber keinen Platz mehr. Er braucht Schauspieler, die auf Fingerschnipp in eine andere Rolle switchen. Der einzige veristische Schauspieler im historischen Kostüm liegt bereits seit wenigen Minuten verpestet, tot in der Ecke und wird für den Abend nicht mehr gebraucht.
PEST – FREIHEIT Drei aus den nicht mehr veristischen Schauspielern, die einzigen mit mehr Text als nur einzelnen Sätzen, unterhalten sich über die Freiheit und die Freiheit als Gefängnis in Verbindung mit Moral und Verantwortung und was nicht Feuilleton und Habermas alles dazu zu sagen hätten.
PEST – MASSE Dass die Pest von damals nun ihre Wiederentstehung erst im Nationalsozialismus, dann in echten und nachgeahmten Studentenrevolten, jetzt im Mainstream erhalten, hat man schon erahnen können.
PEST – KUNST Was dem Mensch als Ausdruck seiner Freiheit in Massengemeinschaft bleibt, ist Tanz. Und Tanz ist Kunst. Aber viel Kunst nebeneinander wird nicht mehr zu unterscheidende, unverständliche Konkurrenz.

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 dann kommen sie wieder: drei schwarzen Gestalten, die einst ein Theaterstück machen wollten, aber nie durften, kommen dabei nach einigen Hitler-Anspielungen über die Möglichkeit eines Nazistücks, was man heute ja aber nicht mehr machen könne, zu dem Schluss, dass jede Ideologie eine Pest, die Pest, Pest sei

Nach über einer Stunde kommt man dann zu dem, worum es Struckmeier vermutlich eigentlich geht:
PEST2.0 Nationalsozialismus. Seine Schauspieler gehen hinter einer Hitler-Figur (gespielt von einem Schauspieler mit Migrationshintergrund) von rechts nach links und begründen ihre politische Wanderung mit der nicht auszuhaltenden Lektüre von “Mein Kampf”. Geredet wird viel, handeln tut dann nur einer…
PEST2o14 – 3.WELT …oder wir alle, aber falsch. Ausbeutung wird in Videoclips überschnitten mit Lampedusa-Flüchtlingsszenen, diese wiederum mit Fairtraide- und Bio-Sigeln. Während im Film ein Junge das schaulustige mit den Armen wegscheucht, imitieren die Schauspieler vorne das Fairtradelogo. Vorne gruppieren sich die Schauspieler erneut. Dann wird noch Sisyphos eingespielt, Camus bekannteste Stelle ist damit abgehandelt und das “Wiederholen” noch einmal visualisiert. Eine Schauspielerin ergreift eine Maske mit dem Gesicht des Regisseurs, nein Leiters Jan Struckmeier: “Verbrennt mein Werk. Die Ratten kommen wieder. Die Ratten sind immer da.”

PEST – ZEITANGABE. Die Pest wiederholt sich. immer wieder.

ENDE

…und wer nach zwei Stunden immer noch nicht die Quintessenz verstanden hat, dem wird sie in einer einfachen Gleichung vor die Augen projiziert:
Pest = Ideologie
Ideologie = Pest
Pest – Ideologie = 0

Dernière:
Karten zu 7Euro/5Euro, Reservierung unter diepest2014@gmx.de
heute Abend, 10. Juli, um 20:00 Uhr
auf der Studiobühne der Theaterwissenschaft München
Ludwigstraße 25, 80539 München
U 3/6, Haltestelle Universität

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