Anzeige, tagebook von Talal und Amjad

Talal und Amjad: Libyen und die Sahara

Unsere beiden Flüchtlinge Talal und Amjad haben ihre Heimat verlassen. Sie sind schon seit einem Monat unterwegs und kommen in Länder, in denen sie nicht erwünscht sind und an Orte, an denen sie keine Hilfe erwarten können. Amjad befindet sich, zusammen mit seinem Bruder schon in Libyen. Talal hat es nach einigen Wirren wenigstens aus dem Kriegsgebiet geschafft und befindet sich in der sudanesischen Hauptstadt Khartoum. Wie es weitergeht mit den beiden, jetzt im zweiten Teil unserer Reihe “Talal und Amjad”.

Foto: Christoph Kürbel

Foto: Christoph Kürbel

Amjad

Nach der Ankunft in Bengasi merken Amjad und sein Bruder schnell, dass sie in ein Land kommen, das nach dem Sturz des Diktators Muammar al-Gaddafi im Jahr 2011 noch zu keiner wirklichen Ordnung gefunden hat. Milizen beherrschen ganze Stadtviertel, machen ihre eigenen Gesetze und betreiben sogar Gefängnisse. Als Flüchtlinge, die sich illegal im Land Arbeit suchen und dort leben wollen, sind sie Zielscheibe und Spielball dieser Milizen. Sie können so gut wie keine Rechte einfordern und müssen sich fast immer versteckt halten.

Sie klopfen an fremde Haustüren, bitten um eine Bleibe und kommen bei Familien unter, die ihnen Gastfreundschaft gewähren. Dabei erfahren sie, dass sie in Tobruk Arbeit finden können. Per Anhalter fahren sie in verschiedenen Autos nach Tobruk und gehen dort von Baustelle zu Baustelle, um nach einem Job zu fragen. Amjad findet eine Stelle als Elektroinstallateur. Es gibt keinen Arbeitsvertrag, sondern nur eine Vereinbarung mit dem Mann, der ihn angeheuert hat. Für fünfzehn Tage soll er umgerechnet 400$ bekommen. Ein Lohn, mit dem man in Libyen gut auskommen kann.

Doch die Bezahlung ist unregelmäßig, manchmal gibt es auch überhaupt kein Geld. Eine Beschwerde einzureichen kommt für Amjad allerdings nicht in Frage, denn auf der Baustelle, auf der er auch schläft, laufen ständig bewaffnete Männer umher. Passt jemandem etwas nicht oder will er abhauen, wird er erschossen. Der Mann, der ihn bezahlt, lässt sich selten blicken. Zwei Monate zieht er den Job so durch, wechselt unter demselben Arbeitgeber sogar zweimal die Baustelle. Als wieder einmal eine Zahlung ausbleibt und er jeden Tag bei seinem Chef anruft, um nach seinem Lohn zu fragen, gibt ihm dieser eine umissverständliche Antwort: “Wenn du mich noch einmal anrufst, komme ich und entleere ein Magazin in dir”.

Für Amjad ist damit klar, dass er hier in Libyen nicht bleiben kann. Früher oder später würde er hier entweder getötet oder verhaftet werden. Er hat bereits von Leuten gehört, die Flüchtlinge an die Küste bringen und auf Boote nach Italien setzen. Er hat sich aber mangels Vertrauen zu diesen Leuten bisher nicht dazu entschlossen. Jetzt muss er weg. Es bleibt ihm nichts als zu vertrauen. Durch Mundpropaganda findet er heraus, welcher Schlepper einigermaßen vertrauenswürdig ist. Er besorgt sich die Handynummer. Als sie zehn Leute beisammen haben fahren sie in einem Minivan die Küste entlang nach Tripolis.

Die Schlepper haben ein Wohnhaus gemietet, dort werden die Flüchtlinge gesammelt. Es gibt kein fließendes Wasser und sie werden nur spärlich mit Lebensmitteln versorgt. Bewaffnete bewachen das Haus, das keiner verlassen darf. Die Schlepper wollen nicht auffallen, deshalb wird jeder erschossen, der aus dem Haus tritt. Hier lernt Amjad Talal kennen. Die beiden sind ungefähr gleich alt. Talal ist bereits seit vierzehn Tagen in diesem Haus.

 

Bild via Flickr/©Ellie O. Photograpy

Bild via Flickr/©Ellie O. Photograpy

Talal

Im Sudan ist es heiß. Im Frühjahr steigt das Termometer schnell über vierzig Grad an. Talal ist in Khartoum gelandet. Eine Millionenstadt am weißen Nil. Rundherum nichts als Wüste. Und durch eben diese Wüste will Talal hindurch. Er muss jemanden finden, der ihn durch die Sahara nach Libyen bringt. Er weiß, es gibt einen Weg. Viele Flüchtlinge nehmen diese Route Jahr für Jahr. Es muss also irgendwen in Khartoum geben, der ihm weiterhelfen kann. Erst nach einer Woche, einer Woche in einem Hotel, das ziemlich teuer ist, lernt er einen Mann kennen. Er ist Schwarzafrikaner und scheint nett zu sein. Seinen Namen verrät er Talal aber nicht. Er will 350$ für die Fahrt durch die Wüste. Für den Preis soll Talal aber auch eine Decke, Essen und Trinken bekommen.

Als es losgeht überreicht man ihm lediglich eine Plastiktüte voll Wasser. Es geht nach Dongola, eine grüne, vom Nil gespeiste Stadt. Kurz vor der Stadt befindet sich ein Sammelpunkt, an dem sie eigentlich nur einen Tag bleiben sollen. Daraus werden fünf Tage und das Wasser wird knapp. Endlich sind genügend Flüchtlinge zusammengekommen und sie werden auf einen LKW verladen. Alle sitzen breitbeinig auf ihren Habseeligkeiten und haben ihren Vordermann zwischen den Beinen. Auf diese Weise finden ca. 80 Menschen Platz auf der nach oben offenen Ladefläche. Die Sonne verbrennt ihnen die Gesichter und Wasser gibt es auch keines. Durch die Sahara führen keine Straßen und so muss ein ortskundiger Fahrer mit einem Kompass die Strecke finden.

In kleinen Ortschaften nehmen sie immer neue Flüchtlinge mit, die entweder von einem anderen Laster gefallen sind oder sich zu Fuß auf die Reise gemacht haben. Sie werden einfach zu den anderen auf die Ladefläche geworfen. Nach ungefähr zwanzig Stunden erreichen sie eine kleine Oase mitten in der Wüste. Talal weiß nicht wie der Ort heißt. Sie haben immernoch nichts zu Trinken bekommen und werden mit einer Peitsche vom Lastwagen getrieben. Die Beine sind taub, sie müssen sich schon wieder auf den Boden hocken und dürfen nicht reden. Einer hält es nicht aus, er ist kurz vorm Verdursten und fleht nach Wasser. Einer der Schlepper geht auf ihn zu und schießt ihm in den Kopf. Es gilt Redeverbot. Das macht der Mann, der kein arabisch spricht, auch Talal mit Handzeichen deutlich.

Foto: Christoph Kürbel

Foto: Christoph Kürbel

Der Todesschütze, so stellt sich heraus, ist ihr neuer Fahrer. Er hat eine Peitsche und schreit Befehle. Sie werden auf kleinere Wägen aufgeteilt, mit denen man bei der Überquerung der libyschen Grenze nicht so leicht entdeckt wird. Beim Start fallen zwei Menschen von der Ladefläche. Und werden zurückgelassen. Talal hofft, dass der zweite Wagen die beiden aufsammelt. Er selbst verliert jegliches Zeitgefühl, hat permanent Durst und sein Gesicht schwillt wegen der Verbrennungen durch die Sonne an. Bei einem Halt füllt der Fahrer Wasser in einen alten Benzinkanister und gießt es in eine Schüssel auf dem Boden. Vor der Schale kniend trinken sie das schmutzige Wasser wie Hunde und behalten einen starken Benzingeschmack im Mund. Nachts wird es empfindlich kalt, deshalb graben sie sich Löcher im Sand, um darin vor dem Wind geschützt zu schlafen.

Noch immer wird nicht geredet. Wer den Fahrer anspricht bekommt Peitschenhiebe. Nach einer weiteren, sehr langen Fahrt kommen sie in Ajtabia in Libyen an. Dort gibt es eine neue Sammelstelle. Talal wird in eine Lagerhalle gebracht, in der ungefähr 5000 Flüchtlinge auf dem Boden ausharren. Hier zahlt er dem Schlepper 1000$ für die Überfahrt nach Italien und bekommt eine Schwimmweste. Über Misrata und Bani Waled soll er nach Tripolis gebracht werden. Der neue Fahrer ist Libyer und spricht arabisch. Bei keinem Stop dürfen sie aussteigen und die einzige Zuwendung des Fahrers sind kleine Wasserflaschen, die er alle halbe Stunde nach hinten auf die Ladefläche wirft. Unter den Passagieren brechen Kämpfe um die Flaschen aus.

In Tripolis kommt die gesamte Ladung Flüchtlinge in eben jenes Haus, in dem Talal zwei Wochen später Amjad kennenlernen wird. Das Haus ist in desolatem Zustand. Es gibt keine sanitären Einrichtungen und Talal kann nicht duschen. Essen und Trinken bekommen sie nur sporadisch, rausgehen dürfen sie auch nicht. Den Rest ihrer Reise werden Talal und Amjad gemeinsam auf sich nehmen.

Autoren: Sophie Mathiesen & Christoph Kürbel

Hier geht’s zu den vorangegangenen Teilen:

Talal und Amjad: Wege in die Bayernkaserne

Talal und Amjad: Die Heimat verlassen

 

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