Kultur, Nach(t)kritik

Einatmen, ausatmen, lange atmen.

Anika Landsteiner

Wenn etwas schon längst vergessen scheint, dann ist oftmals auf gute Literatur Verlass, die uns wieder wachrüttelt und erinnert. So auch “Der lange Atem” von Autorin Nina Jäckle. Ihr Roman wurde gestern mit dem “Tukan-Preis” der Stadt München ausgezeichnet.

Sie hat versucht, eine Katastrophe in Worte zu fassen. Und es scheint ihr gelungen zu sein. Der Roman “Der lange Atem” mit seiner poetischen Sprache wurde gestern vom Kulturausschuss München mit dem diesjährigen Tukan-Preis ausgezeichnet. In die Auswahl des mit 6.000 Euro dotierten Preises kommen alle belletristischen Veröffentlichungen von Münchner Autorinnen und Autoren.

Und warum nun dieses Jahr dieser Roman, der eineinhalb Jahre nach dem Unglück in Fukushima spielt und sich mit den Auswirkungen der Tsunami- und Nuklearkatastrophe beschäftigt? Die Jury begründet ihre Wahl damit, dass “Jäckle in klarer, am französischen Nouveau Roman geschulter Sprache vom Danach erzählt. Es ist eine Sprache, die – wie der Erzähler – zeichnet, skizziert und nicht ausmalt, die Gefühle erzeugt, gerade indem sie nicht von ihnen spricht.”

KLM_141_LAY_Jaeckle.indd

Und worum geht es nun? Ein Inspektor, der früher dafür zuständig war, Phantomzeichnungen für gesuchte Kriminelle anzufertigen, zieht nach der Katastrophe in seinen zerstörten Heimatort zurück. Dort erstellt er anhand der Fotos von entstellten Gesichtern der Tsunamiopfer erneut Phantomzeichnungen, allerdings diesmal, um den Angehörigen die Identifizierung der Verstorbenen zu erleichtern und diese Aufgabe vor allem zumutbar zu machen. Mit sanften Worten, ähnlich den Wellen des Meeres, die vor- und zurückschwappen, entwickelt sich eine leise, aber starke Hoffnung, die Welt der Hinterbliebenen ein bisschen besser zu machen und ein neues Leben mitzugestalten.

»Es war der elfte März, und das Meer atmete aus, ins Land hinein atmete es aus und dann atmete es tief wieder ein. Das Meer sog in sich auf, wer da saß, wer da spielte, wer da schlief, wer da lachte oder schwieg, wer da noch jung war oder bereits alt, übermütig, einsam oder in einer Umarmung. Das Meer ließ eine Kante zurück. Eine Kante, die nun auf ewig markiert, wo das Glück sich aufhielt, an jenem elften März um vierzehn Uhr sechsundvierzig, und wo das Glück in diesem Moment nicht war. Das Meer hat einen langen Atem, sagt meine Frau, auch du wirst langen Atem beweisen müssen.«

Nina Jäckle, “Der lange Atem” (erschienen bei Klöpfer und Meyer).

Die öffentliche Preisverleihung durch Bürgermeisterin Christine Strobl findet am Donnerstag, 11. Dezember 2014, um 19.00 Uhr im Literaturhaus statt.

 

No Comments

Post A Comment

Simple Share Buttons
Simple Share Buttons