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Ersan Mondtag vom KAPITÆL ZWEI KOLEKTIF: Drei Fragen, drei Thesen

Sebastian Huber

Ersan Mondtag ist ein junger Regisseur und bespielt mit seinem KAPITÆL ZWEI KOLEKTIF den Münchner Stadtraum. In diesem Interview geht es um sein neues Projekt: Sinfonie #3 Scham. Ich habe eine Performance begleitet, zu der nun das Video erschienen ist und in Kürze auch eine Bilderstrecke auf mucbook.de zu sehen sein wird.

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Drei Fragen

1. Willst du mit deinen Arbeiten provozieren? Wenn ja, wen?
Nicht unbedingt jemanden, aber etwas, eine Situation, eine Reaktion oder auch Konfrontation, in der beide Parteien mobil werden. Das sieht man ganz gut in dem Video. Wenn die Jungs mit ihrem Verhalten eine Reaktion auslösen, entsteht eine neue Situation, die neues Verhalten erfordert.

2. Wie viel dessen, was wir im Video sehen, war im Voraus so geplant und was ist spontan entstanden?
Geplant war tatsächlich nur, dass wir einen Spaziergang von der Pforte der Münchner Kammerspiele bis zum Oktoberfest machen. Alles was im Video passiert, entstand spontan.

3. Was erwartet uns, die Sinfonie #3 Scham betreffend, noch?
Wir fahren zweigleisig. Die dritte Sinfonie hat Premiere am 16. April 2015. Bis dahin wird es noch einige Videos und Fotostecken geben, die im Stadtraum entstehen. Mode interessiert uns in diesem Kontext sehr und mit der Maximilianstraße haben wir eine tolle Bühne für unsere Späße. Ab dem 16. April möchten wir uns dann zusammen mit unserem Partner, dem MMA, in der Stadt als neuen Ort für freie Kunst aus München platzieren. Wir wollen alle freien Künstlerinnen der Stadt München bei einem Dinner zusammenführen, vernetzen und überlegen, wie man eine alternative und impulsgebende freie Szene in München aufbaut und das Monopol von Pathos & Co. aufbricht. Die Stadt München stellt für die freie Szene nicht viel Geld zur Verfügung und das, was strukturell gefördert wird, ist im besten Fall ein guter Witz. Das hier ist vielleicht auch eine Kampfansage. Die Stadt hat wirklich coole Leute mit guten Ideen. Dieses Potential muss gefördert werden.

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Ersan Mondtag und seine Performer. Foto von Sebastian Huber.

Drei Thesen

1. „Der Islam gehört zu Deutschland.“, jedenfalls laut Ex-Bundespräsident Christian Wulff. Wie ist deine Sicht auf ein Deutschland, in dem deinen Darsteller von einer Gruppe Jugendlicher auf dem Oktoberfest „Achtung, Achtung Bombe, Schariapolizei!“ hinterhergerufen wird?
Ich bin muslimisch sozialisiert und auch beschnitten. Ich bin selbst zwar nicht religiös und vertrete auch keine Religion, gehöre aber zu der betroffenen Minderheit. Ich stelle mir die Menschen wie Lemminge vor. Da brüllt ein Journalist „Achtung Scharia!“, und die Lemminge schreien ihm im Chor nach, ohne zu wissen, was das eigentlich ist. Ich denke, die Frage „gehört der Islam zu Deutschland?“, ist das Problem. Hier wird eine Kategorie geschaffen, um sich im nächsten Moment von ihr abzuspalten. Sprach man früher vom christlichen Abendland, um Juden auszugrenzen, spricht man heute vom christlich jüdischen Abendland, um Muslime auszugrenzen und das auf dem Oktoberfest pöbelnde Volk ist nur das Ergebnis des öffentlichen Diskurses über dieses Thema.

2. „Kleider machen Leute.“ Wie identitätsstiftend ist Kleidung für dich? Kann Mode auch entmenschlichen?
Mode kann jedenfalls ausgrenzen. Mode ist ein gesellschaftlicher Code und Privileg. Über die Kleidung kann ich in der Regel Stilvorstellung, Geschmack, sozialen Status oder Bildungsgrad ablesen. Natürlich ist das heute nicht mehr so klar zu trennen wie noch vor 300 Jahren.
Ich selbst verkleide mich sehr gerne, trage große Hüte und lange Mäntel und laufe herum wie ein Intellektueller, dann im nächsten Moment mit Nike Airmax und einem Batman Basecap wie der Türke, so wie man ihn sich halt vorstellt. Und du kannst mir glauben, dass ich komplett anders behandelt werde, je nach Verkleidung. Wo da die Identität liegt, ist schwer zu sagen. Ich glaube weniger, dass sich die Identität in der eigenen Kleidung manifestiert. In bestimmten Kreisen kann ich vielleicht durch Kleidung meine Zugehörigkeit symbolisieren, aber Identität ist heute ein viel komplexerer Begriff, der nur noch bedingt optisch erklärbar ist.

3. Kant sagt, „Ekel erzeugt Distanz.“ Erzeugt Distanz umgekehrt auch Ekel? Wie siehst du das Verhältnis zwischen Ekel und Scham?
Ekel und Scham sind zwei Gefühle die uns schützen sollen vor etwas. Eigen-Scham setzt eine Schuld voraus, Ekel nicht. Ich kann mich vor dir ekeln, weil du stinkst, um keinen engeren Körperkontakt zu dir zu haben. Dadurch schütze ich meinen Körper vor üblen Gerüchen. Schämen müsstest du dich dafür, dass du stinkst. Angenommen, ich erkenne mich selbst in dir, so kann ich mich bestenfalls für dich schämen (Fremdscham). Du könntest dich auch vor dir selbst ekeln (Eigenekel). In diesem Fall entstünde Scham aus Ekel.

Lieber Ersan, vielen Dank für das Interview! Wir sind gespannt, wie es mit eurem Projekt weitergehen wird.

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