Leben, Nach(t)kritik

Die Blutküche und der Himmel auf Erden.

Wie sieht der Himmel auf Erden aus? Genau danach fragt der neu gestaltete Weltsalon des diesjährigen Winter-Tollwoods. Eine Küche ist schon einmal ein guter Anfang, denke ich mir und steuere beim ersten Tweetup des Tollwoods zielsicher mit meinem Handy in der Hand in die kleine Einbauküche rechts hinten im Zelt an. So auch die Gruppe von circa 30 Twitterwütigen, die über eineinhalb Stunden Nachrichten im Umfang von 140 Zeichen absetzen werden, während Stephanie Weigel, die Tollwood Umweltabteilungsleiterin, eine Führung durch die verschiedenen Bereiche des Weltsalons gibt. Alles, was man für einen Tweetup braucht, ist ein gemeinsamer Hashtag – #Toolwood, und schon kann es los gehen. Beim Näherkommen fallen mir mit roter Masse gefüllte Gläser, Töpfe, Babyflaschen, ja sogar ganze Bierkästen auf, die in der kleine Küche herum stehen. Weiße unauffällige Schildchen verkünden keine neuen Rezepte für Erdbeermarmelade, sondern dass die unterschiedlichen Mengen von Kunstblut für verstorbene Menschen stehen.

Copyright: Ronja Lotz

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Menschen, die Kriegen oder Terroranschlägen zum Opfer gefallen sind und so verschiebt sich auf einmal meine Perspektive und mit ihr die komplett westlich ausgerichtete Nachrichtenerstattung. Auf einer kleinen Messerspitze sind symbolisch die Opfer des Terroranschlags auf die Twin Towers in New York dargestellt, im Maßkrug daneben der Afghanische Bürgerkrieg von 1990 bis 2000 mit 1 Mio. Toten. Abgesehen vom zeitlichen Rahmen, ist es erschreckend, wie dank ausgewählter massenmedialer Berichtserstattung das eine Ereignis viel präsenter zu sein scheint als das andere. Stephanie Weigel erklärt indes der Gruppe, dass es bei allen zwölf Stationen – den so genannten Baustellen – des Weltsalons nicht nur um eine Sichtbarkeit gehe, sondern auch um aktives Handeln. Und so muss ich nur in die aufgezogene Schublade der Küche blicken um ein Rezeptbuch für den Frieden zu finden, bei dem die Besucher aufgerufen sind, ihre Rezepte zu hinterlassen. Es füllt sich langsam aber stetig, berichtet Weigel stolz. Sie arbeitet seit Anfang 2014 mit ihrem Team an der Neugestaltung des Weltsalons und verfolgt stets die Frage, „wie hinterlasse ich bei den Besuchern einen möglichst dicken emotionalen Fußabdruck?“ Ist Ihnen definitiv gelungen, denke ich mir, und sehe mich weiter um. Der Kontrast von der Blutküche zur benachbarten Baustelle könnte extremer nicht sein.

WeltsalonTwitter_TauschenstattKaufen

Copyright: Tollwood

In großen Lettern über dem Eingang steht „TauschTraum“. Wie in einem Geschäft, reihen sich feinsäuberlich Gebrauchsgenstände in weißen Regalen aneinander. Weigel verrät mir Wochen nach dem Tweetup, dass sich tatsächlich auch ein „Fanclub“ zu dieser Baustelle gegründet hat, um hier regelmäßig Dinge einzutauschen. Denn genau das ist die Idee – statt ständig verpackungsfrisch zu konsumieren, soll man Dinge, die man selbst nicht mehr braucht, eintauschen können. Und so machen es die Besucher auch – sie sackeln nicht nur fleißig ein, sondern bringen auch, wie angedacht, immer wieder neue Sachen mit. Das Konzept der aktiven Teilnahme im Weltsalon ist voll aufgegangen, meint Weigel, die zuvor bei Greenpeace in Hamburg tätig war. Mehr braucht man zum Weltsalon eigentlich auch nicht den 1,6 Millionen Menschen zu sagen, die unserer Twittertour an diesem Abend folgen. Und auch jetzt fällt mir dazu nichts anderes ein, außer: Hingehen und selber sehen und – vor allem – machen! Programm des Weltsalons: www.tollwood.de/winterfestival-2014/weltsalon Eintritt frei Besonderer Tipp: Die Treppengespräche im Weltsalon

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