Kultur, Nach(t)kritik

Wirtstanzhauswahnsinn

Im Rahmen der Österreich Spezialwoche im Fraunhofer bildeten die Tanzhausgeiger aus Wien das Schlusslicht, doch handelt es sich hier regelrecht um ein Flutlicht. Nach der galaktischen Unterirdischkeit des Eröffners Manfred O. Tauchen, führte das Ensemble die Woche zu einem vielbeklatschten und – betanzten Ende.

Foto: Mario Steigerwald.

Foto: Mario Steigerwald.

Tritt man durch die Feuertüre in die Kulisse im Fraunhofer ein, meint man, einen gewaltigen Zeitsprung getätigt zu haben. Eine schöne, ausgesprochen helle Stube mit grün abgeblätterter Patina, alten Plüschsofas und spartanischen Holztischen empfängt einen und auch das, was an jenem Samstag Abend auf und um die Bühne geschieht, ist wohl ein Kleinod aussterbender Musik- und Tanzkultur.

Die Tanzhausgeiger geigen, beziehungsweise blasen, beziehungsweise bassistieren und eine beachtliche Zahl an Paaren erhebt sich schon beim ersten Lied, um in der leergeräumten Vorstube zu tanzen. Polka, Walzer, Foxtrott. Alles echt und handgemacht, unverstärkt, nicht perfektionistisch, aber in ungehobelter Ehrlichkeit außergewöhnlich berührend.

 

 

Foto: Mario Steigerwald.

Foto: Mario Steigerwald.

 

Frontmann Hermann Haertel führt mit profund-charmanter Textunsicherheit und österreichischer Gemächlichkeit durch den Abend, daneben geigt Violinistin Johanna Kugler ebenso furios wie ihre Stiefel rot sind, Erni Ströbitzer streicht ernst und bestimmt das Kontra (dreiseitige Viola, trad. ungarisch), Daniel Moser an Saxophon und Flöten spielt bestechend unprätentiös und Lokalauswechselbassist Simon Ackermann überzeugt trotz überlegenden Blicken durch die Spontaneität seines Einspringens. Wie immer. Oder er ordert Schnaps.

Foto: Mario Steigerwald.

Foto: Mario Steigerwald.

Ein Abend von ganz woanders. Ein Refugium von Kulisse im Hinterhof des Fraunhofer Wirtshauses, ein Wunschkonzert.

Tatsächlich darf sich jeder der Musikanten ein Lied wünschen, reihum. Da geht dann schon mal ein Csárdás in eine klezmerartige Melodie über, die in einen Boarischen mündet. Oder in eine Polka. So genau nehmen das die Tanzhausgeiger nicht. Dazwischen sind Jodler flankierende Maßnahme, dreistimmig und mit waghalsiger Melodieführung.

Nicht verwunderlich, dass einem Zuschauer das entfährt, was sowieso alle denken: „Ihr seid doch alle wahnsinnig!“

Foto: Mario Steigerwald.

Foto: Mario Steigerwald.

Um 2 Uhr macht die Wirtin dem Wahnsinn leider ein Ende. Nach einer ausgedehnten Jam-Session wirft sie alle raus; genug musiziert, getanzt und gesoffen.

Schließlich müssen die Tanzhausgeiger am nächsten Tag um 11 noch einen zivilisierten Frühschoppen im Wirtshaus spielen.

Es bleibt also vorwärts zu blicken und wachsam zu sein, wann die Wiener Nachbarn das nächste mal einen gemütlichen Platz in München bespielen.

Foto: Mario Steigerwald.

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