Leben, Stadt, Wohnen trotz München

Draußen wohnen: Wie (un-)sexy ist Pendeln wirklich?

Anika Landsteiner

Geht! Geht nicht! Zwei Kolumnen, zwei Autoren. Draußen wohnen und in die Stadt pendeln? Und das täglich? Jan Rauschning-Vits und Sebastian Huber über die Frage, wie (un-sexy) – oder auch anstrengend, nervend, kostspielig – das Pendeln wirklich ist.

GEHT!

Von Jan Rauschning-Vits

Der Wohnungsmarkt hat sich zu einem Monster entwickelt, der natürlich mittellose Studenten und Geringverdiener, aber auch immer mehr junge Familien zu Sklaven ihrer Mieten macht. 500 Euro pro WG-Zimmer sind schon fast Standard.

Doch so muss es nicht sein. Wer sich von den gentrifizierten Hipstervierteln fernhält, zahlt oft bedeutend weniger. Der Rand der Stadt hat viel zu bieten. Und damit sind jetzt nicht die hässlichen Entlein Hasenbergl oder Perlach gemeint, sondern die Enden der S-Bahn Linien im schlimmsten Fall. Denn im Prinzip jammert man in München auf extrem hohem Niveau. Auch aus den Randgebieten braucht man nur 30-45 Minuten in die Innenstadt. Ein Berliner kann darüber nur lachen.

Wenn man die gesamte Reisezeit verrechnet, ist der Unterschied marginal im Vergleich zu den immensen Einsparungen bei den Mieten. Wer in Allach auf 20 Quadratmetern wohnt, spart im Schnitt fast 1700 Euro gegenüber einer vergleichbaren Wohnung in Schwabing. Das ist jedes Jahr genug Geld für ein neues fancy MacBook, das vielleicht ein bisschen die fehlende Hippness Allachs ausgleicht. Oder ein Flug nach Thailand, um dort neue Facebook Profilbilder zu shooten. Oder über 60 mal mit dem Taxi nach Allach fahren.

Der Vorteil einer Wohnung im Zentrum ist natürlich die wahnsinnige Szene um einen herum. Doch wie wichtig ist das wirklich? Nimmt man kulturelle Angebote in der Stadt öfter wahr, weil sie näher sind? Das muss jeder für sich selbst entscheiden. Doch bei den meisten Leuten beschränkt sich Kultur eh nur auf Kino und Saufen im Technoschuppen. Das gibt es unter Umständen auch am Rand der Stadt. Die kulinarischen Angebote sind im Vergleich zu den Randgebieten überwältigend, aber auch hinfällig, da nach 22 Uhr auch keine angesagte Kichererbsenrolle mehr zu erwerben ist.

Doch auf dem „Land“ lebt es sich auch viel gesünder. Weniger Lärm und gesündere Luft sind nur zwei große Pluspunkte. Natürlich wird nicht jeder gleich zum Fitnessfreak, nur weil er mehr Möglichkeiten zum Joggen oder Radfahren hat, aber die Anreize sind bestimmt höher als in der Innenstadt.

Bei der Frage wo man wohnt, geht es eigentlich – wie beim Auto – oft vor allem um eines: Status.

Die bewundernden Blicke, die man für ein Zimmer in der Amalien- oder Klenzestraße erhält, sind Balsam für das urbane Herz. Doch wer ohnehin monatlich nur einen schmalen Taler in der Geldbörse aufbewahrt, der kann ordentlich Geld und Nerven sparen, wenn er nur einen MVV-Ring nach Außen zieht.

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GEHT NICHT!

Von Sebastian Huber

Abends, halb zehn in München: Ich bin mit meinen Freunden unterwegs, wir laufen durch die Straßen und gehen in eine Bar. Man unterhält sich, wirft der heißen Person am Nebentisch ein paar schüchterne Blicke zu und trinkt ein kühles Bier. Kurzgesagt, die Stimmung ist gut, es scheint ein schöner Abend zu werden. Irgendwann schaut jemand auf die Uhr und meint, wir könnten langsam einen Club ansteuern. Ahhhhh – Fehler. Plötzlich ist die Stimmung im Keller und es bricht eine Debatte darüber aus, ob es sich überhaupt noch lohnt, 10€ Eintritt abzudrücken, wenn man spätestens um 2 Uhr eh wieder los muss, um die letzte S-Bahn zu erwischen.

Eines der grundlegendsten Probleme, außerhalb der Stadt zu wohnen, ist die S-Bahn. Selbst wenn man in der Nähe eines S-Bahnhofs außerhalb Münchens wohnen sollte, bleibt der rote Wurm ein Graus. Zum Beispiel die Fahrzeiten. 02:30 ist an einem vernünftigen Freitag- oder Samstagabend einfach zu früh, um nach Hause zu gehen. 05:30 in den meisten Fällen aber zu spät, besonders, wenn einen die Abfahrtszeiten dazu zwingen, bis in die Morgenstunden halb-komatös in einem Club herumzuhängen, obwohl man sich schon seit ein paar Stunden ins eigene kuschelige Bett wünscht. Die Reise-Lounge am HBF ist da auch keine Alternative. Ist man irgendwann trotz Stammstreckensperrung und Gleisbruch zuhause angelangt, verfolgen einen das elektrische Anfahrts-Stöhnen und die blauen Quadrate der Sitzbezüge in die schlimmsten Alpträume.

Darüber hinaus trifft man in der S-Bahn die skurrilsten Gestalten, die zwar immer gut für eine Anekdote sind, auf deren Bekanntschaft man aber trotzdem liebend gerne verzichten würde. Eine Freundin hat mir letztens erzählt, dass sich eine Frau in der S-Bahn ihr Handy ausgeliehen hat, um damit die Polizei anzurufen. Den Polizisten hat sie dann erzählt, wie gerne sie den Kindern an der Bushaltestelle hinterherschaut und dass die Jungen und Mädchen vom 960er-Bus die hübschesten sind. Was zum Teufel…

Pendeln ist leider nicht sexy und wird es in naher Zukunft leider auch nicht werden. Das spürt man auch, falls man sich für die erste S-Bahn entschieden hat und doch noch einen im Club drauf macht. Angenommen, man sieht Mr(s). Right, spricht sie/ihn an und kommt sich schließlich näher. Mit vorrückender Uhrzeit und steigendem Alkoholpegel wird der Tanz immer enger, alles läuft darauf hinaus, die Nacht zusammen zu verbringen und irgendwann steht die Frage im Raum: „Wo wohnst du eigentlich?“ „In Grafing. Du?“ „Nein, nicht wo du herkommst – wo wohnst du?“ „Ich wohne in Grafing!“ „Ouh… äh, warte mal. Ich glaub, ich muss mal kurz zu meinen Leuten rüber, wir sehen uns später.“ Oder auch nie wieder.
Es gibt kaum größere Liebestöter, als eine einstündige Heimfahrt.

und was ist eure Meinung?

Fotocredit: Unsplash via cc1.0 Lizenz

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