Kultur, Nach(t)kritik

Glücksgefühle in der Glockenbachwerkstatt – THE FEATHER, ein voller Erfolg

Alissa Muench

THE FEATHER war wie erwartet, nur irgendwie viel besser – ein Bericht über ein elektrisierendes Konzert, eine nette Band und die Tour-Kultur.

20:45 Uhr Unsere Trambahn hält an der Müllerstraße, es geht vorbei an all den Nachtschwärmern, die sich unter der Woche in der Innenstadt herumtreiben, auf der Suche nach Feierabendbier, guter Musik und Entspannung.

20:55 Uhr Wir haben diesen Ort für heute schon gefunden und verschwinden in der Glockenbachwerkstatt: erst einmal das ersehnte Bier holen und runterfahren. Gleich mal an den falschen Tisch im falschen Raum gesetzt, aber gegessen haben wir heute schon daheim.

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21:15 Uhr Gut, das wir nicht erwartet haben, es ginge tatsächlich um neun los. Stattdessen stehen wir im Durchgang herum und begutachten die Aquarellbilder an den Wänden: Münchner Dom, Winter und Sommer, Isar und Stadttristesse.

21:25 Uhr Vorgestellt und bekannt gemacht: Wir sitzen wieder am gleichen Tisch wie vor einer halben Stunde, nur diesmal mit der Band um uns herum, jeder isst und trinkt noch entspannt vor dem Auftritt. Anders das Solo-Album wird der Sänger bei LIVE-Auftritten von 5 Bandmitgliedern unterstützt, die nun Augustiner-schlürfend dasitzen und uns mit ihrem Französisch einen Knoten in den Kopf drehen.

21:35 Uhr Auch wenn sie behaupten, ihr belgische Bier sei besser als das Bayerische, lassen sie sich das Essen schmecken und loben die Glockenbachwerkstatt als das schönste Fleckchen Münchens – auch wenn sie noch nicht mehr als ihre Bühne und die Wohnung zum Schlafen gesehen haben. Das Englisch ist im Gegensatz zu dem von Franzosen beinahe akzentfrei und so schön einfach zu verstehen, zum Verlieben beinahe.

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Vor allem E-Gitarrist, Sänger und Keyboarderin sind besonders offen und erzählen von ihrer Tour. Das Mädchen kann am besten deutsche Städte aussprechen, der Gitarrist spricht unsere Sprache so oder so (aus der Schule, sagt er) und der Sänger freut sich wie ein Honigkuchenpferd über unsere Vorankündigung auf mucbook.de.
Jeder Ort in Deutschland sei so anders, ihnen gefallen das Land und seine Unterschiede. Sowohl Berlin als auch München werden gut in Erinnerung bleiben, ganz verschieden eben.

Problem ist nur: Sie bekommen eigentlich nicht wirklich etwas mit, wir werden nach guten Plätzen zum Feiern gefragt aber sie wissen selbst nicht, ob es nur etwas Bier oder eine durchgetanzte Nacht sein soll. Viel Zeit zum Erkunden bleibt nicht, sie übernachten alle in der Wohnung eines Veranstalters und nur in Berlin gab es mal einen freien Tag.

Die ganze Tour folgt einem straffen Programm, dem Bus wurde gleich am Anfang eine Charakter-Dulle verpasst und jeden Abend weiß niemand, wer am nächsten Tag fahren wird. Das Derjenige nicht bis früh morgens noch Bier trinken sollte, vergessen wir jetzt einfach mal.

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21:45 Uhr
Es geht über den Backstage-Bereich raus zum Rauchen, auch wenn der Sänger und Akustik-Gitarrist auch drinnen E-Zigarette pafft. Sie zeigen uns ihre Lieblingsapp zum Zeitvertreib während den langen Autofahrten: Unsere auf Deutsch gesagten Sätze werden automatisch zusammengemixt und über einen Beat gelegt – und plötzlich kann jeder singen.

22:00 Uhr Die Vorband ist fertig und die sechs Musiker mischen sich unter das Publikum, was genau sie noch machen weiß man nicht, aber es ist typisch und wichtig, immer und überall zu spät zu sein.

22:10 Uhr
Das erste Lied ist angestimmt – ab jetzt verschwimmt alles zu einer Aneinanderreihung von Tönen, Stimmen, Bewegung und Licht.
Das Publikum könnte der Band ins Gesicht spucken, so nah stehen wir, jeder hat etwas Platz um sich herum zum Entspannen und Tanzen. Jeder hat diesen Genießer-Gesichtsausdruck, den sich auch ältere Herren bei einem Schluck guten Whiskey stehen lassen.

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Die Musik geht unter die Haut, durch deinen Blutkreislauf direkt in Herz und Hirn: Mit einer Harmonie wie sie selten zu hören ist werden nach und nach die Nerven betäubt.
Die Stimmung ist weder aufgeladen noch lasch, viel eher voll und stimmig, man kommt sich etwas vor wie im Kino: Der Sound erinnert an Filmmusik, vielleicht Hans Zimmer oder Martin Todsharow.

Obwohl die Töne einfach und die meisten Zeilen von Normalo-Musikern gespielt werden könnten, passt bei dieser Truppe alles zusammen: Drei Männerstimmen und eine Frauenstimme harmonieren perfekt, wobei mir die Frau alleine schon wieder viel zu soft wäre. Aber durch die Tiefe des Bassisten und den vollen Klang der Gitarristen verbindet sich alles zu einem einzigen und doch vielschichtigen Klang.

Das irgendwie Außerirdische für die heutzutage maschinelle Musikindustrie bringt das Vibraphon – riesig und metallisch glänzend steht es in der hinteren Bühnenecke, ein 29-jähriger Belgier darüber gebeugt, der peppige Töne anschlägt und beweist, dass es auch ohne Computerprogramm möglich ist.
Und auch der Rest der Crew ist perfekt aufeinander eingestimmt, man fühlt sich wie in einem Fluss aus Tönen und Melodie, die jeden Zuhörer und vor allem die Band durch den Raum tragen und zum Schweben bringen.

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23:30 Uhr Nach zwei Zugaben betreten die Musiker den Zuschauerraum und freuen sich über ein paar Fans, die Plakate wollen oder Sticker mitnehmen und Fragen stellen.
Jeder hat gute Laune und bleibt ausgelassen noch etwas länger, dem Charme der sechs Musiker kann niemand entkommen. Auf unsere Plakate zeichnen sie Hunde und Kätzchen, bei denen sich Bassist, Keyboarderin und Sänger gegenseitig zu übertrumpfen versuchen.

23:40 Uhr
Nach ein paar letzten Gruppenfotos machen wir uns auf den Heimweg, während die Jungs am Kickern sind und das Mädchen uns verabschiedet.

Das Glücksgefühl, mit dem wir die Glockenbachwerkstatt verlassen hält noch den ganzen Heimweg an.

Es war eben wie erwartet und doch ganz anders – im perfekten Ambiente lieferten uns sechs junge Leute, statt dem einen erwarteten Solokünstler, einen wunderbaren Abend und ließen uns für ein paar Stunden vergessen, dass die Woche ja erst angefangen hat.

Fotocredit: Alissa Münch

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