Kultur, Nach(t)kritik

Prag im Strom: Der Regen bleibt aus

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Gerade erst gelesen: „Das Flüstern des Kein-Ohr-Hasen“ – keine Ahnung, wie man auf so eine Überschrift kommt. Denn Prag haben mit dem Blockbuster von Knautschgesicht Til Schweiger so gar nichts zu tun und sie sind auch weit davon entfernt, eine Nora-Tschirner-Band zu sein.

Prag
Strom, München, 27. März 2015

Live noch weniger als auf den zwei Alben, die sie bislang eingespielt haben. Ganze neun Leute nämlich versuchen sich den spärlichen Platz auf der Bühne des Strom zu teilen, neben Erik Lautenschläger und Tom Krimi auch noch Geige, Cello, Trompete, Keyboard, Bass und Schlagzeug – ein stattliches Ensemble. Ja, und eben auch Nora Tschirner. Entertainerin, Schauspielerin, Sängerin und Musikerin, all das ist sie und zwar genau in dieser Reihenfolge. Man möchte ihr nicht unrecht tun, aber am sichersten und entspanntesten wirkt sie tatsächlich, wenn sie zwischen den Liedern mit launigen Ansagen die melancholische Stimmung brechen kann, wenn sie als begnadete Ulknudel, die sie nun mal ist, über Menschenpyramiden, Linedance und die unvermuteten Qualitäten des Wuppertalers quasselt. Ihren zurückhaltenden, manchmal etwas linkisch wirkenden Bandkollegen tut sie damit einen großen Gefallen, dem Publikum, das auch deshalb gekommen ist, sowieso.

Am Instrument fehlt es ihr offensichtlich etwas an Vielseitigkeit und Professionalität, man sieht ihr an, wie sehr sie sich konzentrieren muss, um mitzuhalten und wie gern sie mal richtig in die Saiten hauen würde, wo sie doch die Mimik eines verruchten Gitarrengirls locker draufhätte. Auch stimmlich sind die Grenzen eher eng gesteckt, so richtig in den Vordergrund gelangt sie weder solo und noch in Begleitung, dafür fehlt es am nötigen Volumen. Genug davon, all das ist erfreulicherweise gar nicht so wichtig, die Stücke der drei (bis neun) funktionieren in diesem Rahmen ganz wunderbar, die Band wirkt eingespielt und schafft es so, jedem Song eine schöne, eine eigene Klangfarbe zu verpassen, der das Publikum bereitwillig und phasenweise begeistert folgt. Man hatte ja befürchtet, die mehrheitlich doch recht grüblerische, traurige Grundstimmung des zweiten Albums würde sich nachteilig auf den Abend auswirken, sicherheitshalber wollte man schon einen Indoor-Regenschirm einpacken. Aber der Niederschlag blieb aus, kein bedröppeltes Rumstehen, keine in sich gekehrten Klageweisen, sondern kraftvolles Zusammenspiel.

Schon auf den Platten kann man hören, wieviel Mühe und Sorgfalt die drei in die Texte gesteckt haben, wahrscheinlich würden sie auch als bloße Gedichte funktionieren. Die schwelgerische, raumgreifende Instrumentierung (auf der Konserve wird aus Geige und Cello ein ganzes Orchester) bringen sie aber noch besser zur Geltung, hier bekommen sie die Leidenschaft, die dem bloßen Wortlaut noch fehlt. Auch Leichtigkeit – Stücke wie „Sophie Marceau“ und „Einfach“ sind ja fast schon Klassiker und dürfen natürlich nicht fehlen. Aber auch „Morgentau“, bislang nur auf der Deluxe-Version des neuen Albums zu haben, kann schnell überzeugen und mitreißen. Erstaunlich genug, aber für eine Band, die sich auf die Schwermut eines Leonard Cohen beruft, können sich Prag doch oft ziemlich locker machen. Tee trinken, ein Späßchen hier und da, ein bisschen an sich selbst berauschen und nebenher auch noch gut unterhalten, viel mehr kann man von/an einem Abend nicht erwarten. Prag sind sicher nicht die angesagteste Berliner Band der Stunde, wohl aber eine der am meisten unterschätzten.

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