Kultur, Live

Bitch Business. Aufs Zimmer mit dem Schauspieler.

Sebastian Huber

Ein schickes Hotel am Mittleren Ring, die Gäste des Abends haben sich im Hotelrestaurant versammelt, als die Geschäftsführerin der fiktiven Eventagentur zu sprechen beginnt und den Abend einleitet. Es gäbe heute exklusive Angebote, eine face to face experience mit echten Menschen zu ersteigern. Eines nach dem anderen werden die buchbaren Eventmodule, ergo Menschen vorgestellt, die einen heute Abend für den bezahlten Eintrittspreis mit aufs Zimmer nehmen.

Die angebotenen Erlebnisse werden von Schauspielern der Neuen Münchner Schauspielschule vermittelt, die Performer sind großteils aus dem ersten Jahrgang der Schule und somit noch relativ grün hinter den Ohren, was ihre Bühnenerfahrung angeht.

Im Stück verkörpern sie Persönlichkeiten wie ein Wannabe-Starlet, eine Insassin einer russischen „Irren“-Anstalt im 19. Jahrhundert oder eine nymphomanische Flugbegleiterin. Überhaupt geht es sehr viel um Sex. In der ersten Runde, bei der jeder Zuschauer alleine mit einem Performer aufs Zimmer geht, entsteht eine überraschende Intimität, die den Zuschauer völlig überrumpelt. Meine erste Runde verbrachte ich bei einem Pärchen. Der Mann war von einer Geschäftsreise zurückgekommen, beide schienen das Alltagsleben wieder aufnehmen zu wollen, als ein intensiver Streit zwischen den beiden losbrach – sie hatten sich in der Abwesenheit des jeweils anderen betrogen. Großartig daran war der theatralische Raum, der in einem einfachen Zimmer geöffnet wurde und so extrem anders funktioniert, als eine herkömmliche Bühne. Dass auch vor harter Sprache nicht zurückgeschreckt wurde, könnte auf den ersten Blick als plakativ und effekthascherisch gesehen werden, in diesem privaten Rahmen eröffnet sich daraus jedoch eine ganz andere Bedeutung. Ich hatte das Gefühl, meine Eltern würden streiten, ich verschwände völlig aus dem Raum, weil die zwei Performer nur noch mit sich selbst beschäftigt waren und zwischen sich eine unheimliche Energie entfalteten, was jedoch im Rahmen der Vorstellung natürlich nur für mich als einzigen Zuschauer geschah.

Zimmer2 - Manuel Feneberg, Anita Eichhorn Copyright bei Marie Navarre

Zimmer 2 – Manuel Feneberg und Anita Eichhorn. Copyright bei Marie Navarre.

 

In dieser Einzelvorstellung liegt das große Potential des Konzepts. In drei darauffolgenden Runden wurden jeweils 4-5 Zuschauer auf die Zimmer gebeten, was sich sofort bemerkbar machte. Plötzlich waren da nicht nur mehr man selbst und der Schauspieler (bzw. in den meisten Fällen die Schauspielerin), sondern noch 3 weitere Augenpaare. Unter diesem Blick der Anderen krempelte sich die Funktionsweise der Szenen völlig um und man war schon zu Beginn vom Geschehen distanziert. Das ist einerseits sehr schade, andererseits war das die einzige Möglichkeit, jeden möglichst viele Vorstellungen sehen zu lassen, ohne die Aufführungsdauer auf 8 Stunden zu dehnen. Hier fand auch ein kleines Spiel mit dem Zuschauer statt, der über diese Funktion der beschränkten Zeit selbst in ein ökonomisches Spiel verwickelt wurde. Dieses Spiel, das für die Schauspieler in ihrem späteren Berufsleben bittere Wahrheit ist, war letztlich auch Thema des Stücks, das es schaffte, einen Abend lang eine kapitalistische Utopie zu erzeugen.

Auch wenn es bei manchen Blicken, Texten oder Konzepten kleine Schwachstellen gab, bot der Abend eine überraschend neue Theatererfahrung mit einem unheimlich interessanten Konzept.

Zimmer 1 bis 10.
Eine Inszenierung der Neuen Münchner Schauspielschule.
Mit StudentInnen des ersten, zweiten und dritten Jahrgangs.

Weitere Infos unter neuemuenchnerschauspielschule.de

Letzte Vorstellung Freitag, 15. Mai, 20 Uhr

im Hotel Arcona Living, Nymphenburgerstr. 136

Karten unter karten@nms-schule.de

Mit: Ursula Berlinghof, Anna Dietmann, Janine Friedrich, Peter Lichteneber, Karoline Schragen, Alena von Aufschnaiter, Bilal Zaid Aswad, Anita Eichhorn, Manuel Feneberg, Sarah Giebel, Sebastian Schindler, Eva-Maria Spiegelhauer und Johannes Weikl.
Künstlerische Leitung & Regie: Vincent Kraupner.
Mitarbeit Regie: Matthias Rehrl und Angelika Sedlmeier.

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