Kultur, Nach(t)kritik

Zeitlos jung – Orquesta Buena Vista Social Club auf dem Tollwood Sommerfestival

Cornelius Zange

Es ist einer der ersten richtig heißen Tage des Sommers und die Hitze steht auf dem Tollwoodgelände. Am vergangenen Mittwoch sagte das Orquesta Buena Vista Social Club (eingetragene Marke) auf dem Tollwood Sommerfestival “Adiós”.

Foto: Alejandro-Gonzalez

“Kubanische Temperaturen. Die Musiker werden sich wohl fühlen“, sagt eine vor der Musik-Arena, in der Schlange stehende Frau. Etwas abseits der Schlange steht eine Zwei-Liter Colaflasche, in der nur noch ein paar geviertelte Lemonen auf Cuba Libré hinweisen. Perfekt, nur noch schnell das Blümchenhemd angezogen und los. Das Zeltdach der Musik-Arena dient für gewöhnlich beim meist eher feuchten Tollwood dazu, den Regen abzuhalten. Heute macht es sich sehr gut darin, die Hitze zu stauen. Und während auf deutschen Halbglatzen der Schweiß steht, kommen die coolsten Typen, die das Tollwoodzelt seit langem gesehen hat, auf die Bühne. Selbstverständlich im schicken Anzug, ein paar mit Hut, und alle bis obenhin zugeknöpft mit Krawatten beziehungsweise Fliegen. Selbstverständlich legen sie auch während des gesamten Konzerts kein einziges Kleidungsstück ab.

Den größten Applaus erhält die 85-jährige Omara Portuondo. Als sie ihre Stimmer erhebt, runzelt so mancher die Stirn. Es ist schon etwas verwunderlich, wie eine Frau ihres Alters eine so junge Stimme behalten kann. Wer die Augen schließt, sieht eine junge Frau, wer sie wieder öffnet, sieht sie plötzlich tanzen, als wäre sie noch blutjung. Sie ist beteiligt an fast allen Höhepunkten des Konzerts.

1999 brachte Wim Wenders die Geschichte der Musiker auf die Leinwand. Der Film dokumentiert, wie das Orquesta wiedervereint wird und ein Album aufnimmt. Dieses Album brachte die kubanische Musik in die ganze Welt. Plötzlich hörte man ihre Platte in jedem Café, Restaurant, Supermarkt und Wohnzimmer. Musik, die zu warmen Sommerabenden passt und selbst beim Abwaschen gute Laune macht. Sie birgt auch noch auf der Adiós-Tour eine enorme Energie. Dass manche Musiker schon auf die 90 zugehen, vergisst man schnell. Das Publikum ist bunt gemischt: Jung und Alt stehen Schulter an Schulter und tragen das gleiche Lächeln auf den Lippen. Diese Musik, die sie gerade hören, trägt so viel Seele in sich, dass sie eigentlich jeden berührt. So tanzt man Salsa, ohne je einen Schritt gelernt zu haben, raucht Zigarre, obwohl einem davon schwindelig wird und versteht Spanisch, ohne jemals eine Vokabel gelernt zu haben. Diese Musik ist zeitlos und bleibt für immer jung. Und so bleiben es auch die Musiker, die sie spielen, wenn auch nur im Geiste. Das nennt man dann: Mit Würde Adiós sagen.

PS. Nach dem Konzert stieg ich übrigens in ein Taxi und fuhr zum Flughafen. Dieser Beitrag wurde zigarrerauchend in Kuba verfasst.

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