Kultur, Nach(t)kritik, Was machen wir heute?

Kunst in Codes: Die Frage nach der Wolke und der Pfütze

Ella Tiemann

Unter dem Titel „Codes – Geheimnisse und Botschaften“ findet vom 8. August bis 27. September die 2. Biennale der Künstler im Haus der Kunst statt. Die vom Künstlerverbund veranstaltete Ausstellung fragt nach der Präsenz von Zeichen und ihrer Dechiffrierung.

Die „Große Kunstausstellung“ die seit 1948 im Haus der Kunst veranstaltet wurde, wird seit 2013 vom Künstlerverbund mit einem neuen Konzept als Biennale der Künstler weitergeführt. In diesem Jahr sind im Westflügel des Haus der Kunst Werke verschiedenster Medien von über 40 zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern, mit Schwerpunkt “Kunst aus Tschechien” zu sehen.

comprom-lang(2)

Lucia Dellefant: The time for compromise is over, 2013

 

Die Ausstellung will der Frage der Zeichenhaftigkeit nachgehen und die Annahme widerlegen, Kunstwerke seien simple Nachrichten, die auf einer gemeinsamen Schnittmenge der Verständigung von Sender und Empfänger beruhen.

Wer nun die Ausstellung betritt, sieht sich gleich im ersten Raum mit der Arbeit The time for compromise is over von Lucia Dellefant konfrontiert. Konfrontation deshalb, weil der erste Blick des Besuchers unweigerlich auf ein dreidimensionales Banner-ähnliches 3×6 Meter großes Werk trifft, dass eben diesen Titel in grellen Farben trägt und wie ein Fremdkörper auf der gegenüberliegenden Seite eine Türöffnung versperrt. Die Künstlerin will an den Betrachter appellieren, seine Denkmuster zu hinterfragen, heißt es in der begleitend zur Ausstellung herausgebrachten Zeitung. Verblüffende Perspektive oder subversive Zeichenhaftigkeit? Weder noch. Schade, doch dieser erste enttäuschte Eindruck wird zwei Räume weiter besänftigt: In einem zunächst äußerlich der Norm entsprechenden Automaten, konstruiert von Maximilian Bayer, werden Keramik-Schalen dem Verkauf angeboten. Ist das Geld eingeworfen und der Bezahlvorgang abgeschlossen, fällt das Porzellan herunter und zerbricht im Ausgabefach. Der Konsument steht vor den Scherben des Objekts seiner Begierde.

PorzellanautomatHdK1

Maximilian Bayer, Porzellanautomat, 2015

 

Vergangenheit ereignet sich im Jetzt

Veronika Veit führt in ihrer Video-Arbeit Die Faust den Konsum auf eine höhere Ebene. Eine Frau und ein Mädchen sitzen an einem gedeckten Tisch. Das Zimmer versetzt den Betrachter durch Einrichtung und Ausstattung in die 60er Jahre zurück. Gesprochen wird nicht. Mutter und Kind rollen ein Garn auf und sind stumm in ihre Arbeit vertieft. Mit einem Knall wird die betuliche, zwanghaft wirkende Stille durchbrochen: Ein Fisch entspringt der Mitte des Tisches und fällt zappelnd zwischen das Porzellan. Es ist eine unangenehme Situation. Die Frau löst sie, in dem sie aus ihrer Starre erwacht und den lebendigen Fisch verschlingt.

Veits Arbeit zeigt eine komplizierte Mutter-Tochter-Beziehung. Die symbiotische Tätigkeit der Beiden wird gewaltsam gestört. Der Fisch steht metaphorisch für einen Konflikt, eine Krise und wird von der Mutter aufgegessen. In einem Loop kehrt die Situation immer wieder, Frau und Kind – Mutter und Tochter – gefangen in einem sich unendlich wiederholenden Rhythmus.

veit_die_faust

Veronika Veit: Die Faust, 2010

 

WasserKreislauf

Oliver Westerbarkeys Arbeit Horizont befasst sich mit einem natürlichen Kreislauf: „Die Frage nach der Henne und dem Ei tritt in den Hintergrund angesichts der Frage nach der Wolke und der Pfütze“. Tatsächlich, Horizont ist eine in Harz gegossene und bemalte Pfütze, die sich wie zufällig auf einer auf dem Boden liegenden Plakatwand gebildet zu haben scheint. Beim genaueren Hinsehen und Umrunden der Arbeit wird die Pfütze lebendig. Licht reflektiert, Wolken und Blattgrün spiegeln sich in ihr. Automatisch hebt man den Kopf und blickt nach oben – eine Illusion. Über den Köpfen der Besucher spannt sich noch immer das Dach des Gebäudes.

Zartsinnig und poetisch ist die Arbeit: Die offenkundigen Zeichen, die in Form von großen neonfarbenen Lettern auf den Plakaten eine vergangene Erotikmesse ankündigen, schimmern hier und da durch die Mimesis des Wassers und werden neu codiert.

SONY DSC

Oliver Westerbarkey: Horizont, 2011

 

Werk und Betrachter

Mit Werken wie Die Faust und Horizont aber auch vielen anderen hat der Künstlerverbund für die 2. Biennale interessante Arbeiten und Künstler gewinnen können. So dehnbar wie der Titel gefasst werden kann, verhält es sich allerdings auch mit der Zusammenstellung der Arbeiten. Die Veranstaltung gleicht eher einer heterogenen, bunten Schau denn einer wohl kuratierten Ausstellung.

Ob Installation, Video oder Skulptur – die Künstler bringen in ihren genreübergreifenden Arbeiten natürlich subjektive Codes hervor, diese erscheinen jedoch unterschiedlich evident. Eines haben die Werke dennoch gemeinsam: Im Sinne ihrer Zeichenhaftigkeit werden sie autonome Botschaften – ausgestellt um mit dem Publikum in Dialog zu treten. Der Betrachter ist dabei als Rezipient mit seinen eigenen Erfahrungen wesentlich an der Konstruktion dieser Werke beteiligt und hat damit auch die Freiheit, vor manchen ein wenig länger stehen zu bleiben. Denn gerade wenn nicht alles sofort begreifbar oder benennbar ist, lohnt es sich vielleicht!

 

Die 2. Biennale der Künstler im Haus der Kunst München geht vom 08.08. – 27.09.15

Öffnungszeiten: täglich 10 – 20 Uhr, jeden Donnerstag bis 22 Uhr

 

Photocredits: Biennale der Künstler im Haus der Kunst München

Titelbild: Herbert Nauderer, DIE HAND, 2012/13, Videoanimation – zwei Projektoren

No Comments

Post A Comment

Simple Share Buttons
Simple Share Buttons