Münchenschau, Stadt

Flüchtlingspolitik: „In absehbarer Zeit wird sich nichts ändern“

Sina Beckstein

Rebecca Kilian-Mason, Leiterin des Infobusses für Flüchtlinge,  berichtet im Mucbook-Interview über zwei-Klassen-Politik, humane Unterbringung und Chancen für Deutschland.

RebeccaRebecca Kilian-Mason leitet seit April 2011 den Flüchtlingsbus, eine Kooperation des Münchner Flüchtlingsrates und Amnesty International. Die Flüchtlingsberatung auf Rädern existiert seit 2002 und bietet Sprechstunden für Ratsuchende an. Rebecca berät dabei Flüchtlinge in rechtlicher Hinsicht, nimmt sich ihrer Probleme an, betreut Ehrenamtliche und kümmert sich um viele administrative Anliegen, wie zum Beispiel Behördenkontakte. Außerdem steht sie mit anderen Hilfsorganisationen im Austausch und kann vieles aus ihrer langjährigen Erfahrung mit verschiedenen Einrichtungen berichten.

MUBOOK: Der Beratungsbus steht zumeist vor der Bayernkaserne, das wohl populärste Beispiel für eine schlechte Unterbringungsmöglichkeit in jüngster Zeit. Die Zustände in der Kaserne wurden von den Medien stark rezipiert. Kannst du einen Überblick über die Situation in und um die Bayernkaserne geben?

Rebecca Kilian-Mason: Die Bayernkaserne war im letzten Jahr sehr stark in den Medien, da es enorme Probleme wegen starker Überbelegung gab und die Verwaltungsabläufe nicht mehr funktioniert haben. Es waren viel zu viele Menschen dort untergebracht und teilweise bekamen Leute keine Betten mehr, die dann auf dem Gras schlafen mussten. Inzwischen ist die Bayernkaserne nicht mehr so stark belegt und man muss sagen, dass es dort nun tolle ehrenamtliche Strukturen gibt. Es gibt Deutsch- und Yoga-Kurse, eine gute Kinderbetreuung und ärztliche Versorgung. Die Bayernkaserne funktioniert soweit gut, obwohl die hygienischen Zustände immernoch problematisch sind, die Essensversorgung oft nicht dem Geschmack der Leute entspricht und auch qualitativ nicht sehr hoch ist. Ich denke aber, es ist bei Weitem weniger problematisch, als all die Notunterkünfte, die jetzt geschaffen werden.

Wie sieht es denn in diesen Notunterkünften und in anderen Einrichtungen aus, die eventuell weniger im Medienfokus stehen?

Bis zu 200 Menschen müssen teilweise in Hallen zusammen schlafen, wo es keinerlei Privatsphäre gibt und auch all die Strukturen fehlen, die es in der Bayernkaserne jetzt glücklicherweise gibt. Es gibt inzwischen viele Turnhallen, die belegt sind und seit neustem auch Traglufthallen. Wenn man 200 Menschen verschiedenster Nationalität, die zum Teil traumatisiert sind und einen ganz unterschiedlichen kulturellen Hintergrund haben in einen Raum steckt, ist das keine gute Lösung und extrem belastend für die Personen. Insbesondere für Kinder oder angeschlagene Flüchtlinge ist das überhaupt nicht angemessen. Häufig sind Orte betroffen, die zum ersten Mal mit Flüchtlingen oder einer hohen Zahl von Flüchtlingen zu tun haben, bei denen die Erfahrung also fehlt. Trotzdem bin ich beeindruckt zu sehen, wie schnell sich Helferkreise bilden und was sie tolles auf die Beine stellen.

Vor kurzem hat der Oberbürgermeister Dieter Reiter den “Katastrophenfall” ausgerufen. Die Stadt versucht wegen der steigenden Zahl der Flüchtlinge neue Unterbringungsmöglichkeiten zu schaffen – beispielsweise in Form der neuen Zeltstadt am Ankunftszentrum im Euro-Industrie-Park sowie schnell aufstellbare Container und – wie vor kurzem im Stadtrat beschlossen – Leichtbauhallen. Was hältst du von diesen Unterbringungsarten?

Zum „Katastrophenfall“: das klingt erstmal schlimm, aber die eigentliche Katastrophe ist nicht, dass die Leute zu uns kommen, sondern das anscheinend weder unsere Regierung noch unsere Stadt in der Lage ist, sich rechtzeitig auf diese absehbaren Entwicklungen der Flüchtlingsthematik vorzubereiten. Ich halte solche Unterbringungsarten für extrem problematisch. Natürlich ist alles besser, als die Leute auf der Straße schlafen zu lassen, aber ich denke, es muss jetzt langfristig und professionell geplant werden. Es müssen Alternativen gefunden werden. Es ist in einer Stadt wie München nicht angebracht, die Menschen in Zelten oder Leichtbauhallen schlafen zu lassen, die keine menschliche Unterbringung darstellen. Die Leute sollten nach einer beschwerlichen, schlimmen Flucht nicht weiter in einem Zustand leben, der sie extrem unter Druck setzt.

Wie könnte eine ‘vorausschauende Planung’ aussehen?

Es muss Wohnraum für Flüchtlinge geschaffen werden und das nicht nur in Form von Gemeinschaftsunterkünften. Diese sind problematisch, weil die Menschen irgendwann ihre Anerkennung [d. Asylantrags; Anm. Autorin] oder ihre Auszugserlaubnis bekommen, danach aber wieder vor dem Problem stehen, eine Wohnung zu finden. Meiner Meinung nach wäre es sinnvoller, die Unterbringungen zu dezentralisieren, Flüchtlinge also gleich in einer Vielzahl von kleineren Wohnungen unterzubringen. Die Asylsuchenden könnten im Fall eines Bleiberechts dann eventuell direkt in den entsprechenden Wohnungen bleiben. Das wäre auf jeden Fall eine langfristigere, humanere Unterbringung, die die Menschen zusätzlich viel besser integriert. Wenn Einrichtungen geschaffen werden, die 800 Personen aufnehmen können, dann ist das eine Belastung für alle: für Flüchtlinge, für Anwohner, für jeden. Natürlich ist es schwer, den entsprechenden Wohnraum zu finden. Dieser muss aber einfach geschaffen werden: Leerstände sollten umgenutzt werden und die Bemühungen müssen sich in diese Richtung verstärken.

Häufig wird argumentiert, dass der Flüchtingszustrom nur eine ‚Ausnahmesituation‘ darstellt, die in drei oder zehn Jahren wieder abreißt. Die Fluktuation sei sehr hoch, was eine langfristigere Planung ausschließt. Wie schätzt du die Situation ein?

Ich arbeite bald fünf Jahre in diesem Bereich und seit fünf Jahren wird so geredet, als ‚wäre alles bald vorbei‘. Seitdem haben sich die Zahlen vervielfacht und ich glaube jeder Mensch, der einigermaßen kritisch die weltpolitische Lage betrachtet weiß, dass sich das auf absehbare Zeit nicht ändern wird. Ich denke, dass wir auch in langfristiger Zukunft immer Krisenherde und Kriege in dieser Welt haben. Wir haben eine Verantwortung die Leute zu schützen, die vor diesen Kriegen fliehen. Daher ist es überhaupt nicht sinnvoll, mit einem Ende zu rechnen, sondern eher mit einem Anstieg. Deswegen müssen langfristige Konzepte her, wie Menschen entsprechend untergebracht, integriert und unterstützt werden können. Wenn mit einer positiven Einstellung an die Sache heran gegangen wird, kann aus einer Notsituation und einem ‚Katastrophenfall‘ eine tolle Chance für Deutschland gemacht werden. Ich sehe das überwiegende Problem darin, dass eine sehr negative Stimmung herrscht, die das Ganze problematisiert anstatt es als Chance zu sehen.

Oftmals können Flüchtlinge ihre ‚Chance‘ nicht gleich nutzen. Ihre Asylverfahren können sehr langwierig und anstrengend sein, während des Wartens dürfen sie beispielsweise auch keine Arbeit annehmen. Was könnte gegen diese Wartezeiten unternommen werden?

Das ist auch eine Konsequenz aus der kurzfristigen Planung. Das Bundesamt [für Migration und Flüchtlinge; Anm. d. Autorin] stockt jetzt enorm auf, aber die Stellen reichen bei weitem nicht aus. Die Verfahren müssten viel schneller bearbeitet werden. Gerade wird eine zwei-Klassen-Politik praktiziert: die Anträge der Syrer werden sehr schnell bearbeitet und werden anerkannt, die Anträge der Kosovaren werden ebenso schnell abgelehnt. Alle anderen tragen die Last dieser schnellen Verfahren und warten noch viel länger. Das ist äußerst problematisch. Wenn jemand beispielsweise in zwei Jahren Wartezeit kein Anrecht auf einen Deutschkurs, keine guten Möglichkeiten zu arbeiten, keine freie Wahl in seinem Wohnort hat, ist dieser Mensch in seiner Entwicklung extrem eingeschränkt. Vielen Flüchtlingen wird der positive Antrieb, mit dem sie nach Deutschland kommen, genommen. Das ist verschwendetes Potential.

Hältst du es in diesem Kontext für sinnvoll, wie von der CSU gefordert, die Asylverfahren für Menschen, die eine geringe Chance auf ein längerfristiges Bleiberecht (z.B. Balkan-Flüchtlinge) in Deutschland haben, zu beschleunigen bzw. gesondert zu behandeln?

Nein, ich finde diese Form der Behandlung entsetzlich. Es ist unglaublich, dass solche Vorschläge tatsächlich durch kommen. Es muss bei allen Personen geprüft werden, ob sie ein Recht auf Asyl haben. Mittlerweile kann man sagen, dass dieses Recht bei den Kosovaren nicht mehr wirklich ernst genommen wird, also ihre Anträge nicht mehr ernsthaft geprüft werden. Auch bei den Kosovaren, Albanern und Mazedoniern gibt es Menschen, die ernst zu nehmende Gründe für Asyl haben. Wir haben in Deutschland das Grundrecht auf Asyl, dem wir auch nachkommen müssen. Auch wenn darunter eine Vielzahl an Personen ist, die ‚nur Wirtschaftsflüchtlinge‘ sind, müssen die Fälle im Einzelnen betrachtet werden.

Flüchtlingbus

Mit welchen Problemen sehen sich Neuankömmlinge in München am häufigsten konfrontiert?

Zum einen mit dem Durchschauen des Verwaltungssystems: also wie läuft das Asylverfahren ab, wer ist für mich zuständig, wohin bekomme ich meinen Transfer, warum ist etwas mit meinen Papieren schief gegangen usw. Das ist ein Riesenproblem, unter anderem weil diese Verwaltungsabläufe nicht reibungslos funktionieren und weil die Behörden auch keine guten Ansprechpartner sind. Teilweise sind zum Beispiel keine Dolmetscher anwesend, wodurch es sehr oft zu Missverständnissen kommt. In diesen Abläufen passieren viele Dinge, die zu Lasten der Leute gehen und die auch viele Kosten verursachen. Es gibt nicht ausreichend Personal, aber auch zu wenig Bereitschaft professionell zu arbeiten.

In jüngster Zeit ist ja immer wieder von der Münchner ‘Willkommenskultur’ die Rede. Andererseits haben auch rechtspopulistische Bewegungen wie Bagida Anhänger dazugeowonnen. Berichten viele Flüchtlinge auch von rassistischen Übergriffen oder Beleidigungen gegen sie? Haben sie Angst?

Da wir mit den Flüchtlingen ganz zu Anfang in Kontakt sind, ist es so, dass die meisten noch keine Erfahrungen mit Rassismus gemacht haben. Ich habe nicht den Eindruck, dass die Personen direkt Angst haben, aber sie spüren, dass sie von Behördenseite nicht wirklich willkommen sind. Häufig werden sie von den Behörden nicht respektvoll behandelt.

Wie sieht das bei den restlichen Münchnern aus?

Gerade im letzten Jahr, seitdem das Thema ‚Flüchtlingspolitik‘ in den Medien sehr präsent ist, war ich begeistert, wie viele Leute sich engagieren und einsetzen wollen. Meine Erfahrungen sind überwiegend positiv, es gibt sehr viele tolle Menschen, die sich prima einsetzen.

Beim Flüchtlingsengagement entsteht nicht nur der Eindruck, dass sich eine steigende Zahl an Privatpersonen engagiert, sondern auch viele neue Vereine aus dem Boden schießen. Flüchtlingshilfe ist sozusagen “in”. Wäre es sinnvoller, wenn alle an einem Strang ziehen würden, als eine zersplitterte Landschaft von Organisationen vorzufinden?

Das kommt immer darauf an. Es gibt tolle, innovative Ideen, deren Umsetzung super ist. Auf der anderen Seite macht es keinen Sinn, alles doppelt und dreifach aufzustellen, wenn es keine Kooperation untereinander gibt. Vernetzung ist hier das Stichwort. Außerdem ist es sehr wichtig, dass sich jeder nur dem widmet, womit er/ sie sich wirklich auskennt. Es gibt viele Menschen, die neu in der Thematik sind, die sich dann auf die Dinge konzentrieren sollten, die sie können, sich entsprechend fortbilden oder sich an jemanden halten, der schon Erfahrung in dem Bereich hat und nicht einfach ‚ins Blaue hinein‘ planen.

Was wären denn gute Möglichkeiten, um sich zu engagieren?

Auf der Seite der Stadt München gibt es eine Liste mit Organisationen und bei denen man sich engagieren kann. Der Münchner Flüchtlingsrat bietet auch eine Vermittlung für Ehrenamtliche. Dort kann man sich einfach melden und die jeweiligen Fähigkeiten bzw. Wünsche beschreiben, der Flüchtlingsrat vermittelt dann an eine passende Stelle weiter.

Wie passt dieses ansteigende, unterstützende Engagement mit den aufkommenden Ressentiments rechter Bewegungen (z.B. Pe-/ Bagida) zusammen? Muss man heutzutage eindeutig Position beziehen?

Ich denke, dass es umso wichtiger ist, eine aktive Gegenposition einzunehmen wenn Bewegungen wie Pe- oder Bagida aufkommen. Viele Menschen haben es eventuell davor nicht für nötig gehalten, sich aktiv zu äußern. Außerdem sollte man sich ausreichend informieren, es wird sehr viel mit falschen Informationen gearbeitet und dadurch Angst geschürt. Ich denke jeder Einzelne kann dagegen wirken, indem er mit Menschen spricht, mit Fremden spricht, oder sich auch aktiv einsetzt. In so einer Situation ist vor allem das Schweigen gefährlich.

Vielen Dank für das Interview!

Fotocredit: (1) Rebecca Kilian-Mason, (2) Sina Beckstein

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