Mucbook: Rückblick auf das 1. Erzähl-Mahl in München, Gründerin Katrin mit Hupe
Essen, Leben

Fremde oder Freunde? Das 1. Erzähl-Mahl im Rückblick

Sabine Sikorski
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Da sitze ich also. In einem Restaurant. An einem Samstagabend. Es ist heiß. Draußen hat es bestimmt noch immer 30 Grad. Ich schwitze und frage mich, ob dieser Abend eine gute Idee war. Mir gegenüber: Ein Fremder. Links und rechts von mir, ebenfalls Fremde. Ihnen gegenüber, auch alles Fremde. Als Freunde sollen wir gehen, oder zumindest bereichert um viele Geschichten, und um Selbsterkenntnis. Das zumindest ist die Absicht der Macherinnern hinter dem Erzähl-Mahl, das zum ersten Mal an diesem Samstagabend im Nudo in der Maxvorstadt stattfindet.

Rund 20 Teilnehmer haben sich eingefunden. Vielleicht ein/zwei Frauen mehr, ansonsten hält sich das Geschlechterverhältnis einigermaßen die Waage. Teils sind sie alleine gekommen, teils zu zweit. Freunde, Paare, Singles – es spielt heute Abend nur eine untergeordnete Rolle. Im Mittelpunkt stehen allein ihre Geschichten.

Während ich mich noch an der langen Tafel umgucke, ersten Smalltalk mit meinem Gegenüber mache, ertönt eine Hupe. Alle verstummen. Katrin und Barbara, die Gründerinnen des Erzähl-Mahls, stellen sich und das Konzept vor. Zu jedem Gang wechseln die Gesprächspartner, zu jedem Gang bekommen wir zwei neue Fragen, mit denen wir unser Gegenüber besser kennenlernen sollen. Ein Netz aus Beziehungen soll mit den Erzähl-Mählern gewebt werden. 20 Minuten Zeit haben wir pro Gang. Idealerweise hat jeder zehn Minuten Redeanteil. Obwohl es nicht darum geht, frage ich mich, ob Speed-Dating ähnlich abläuft. Und wie viele auf die “anderen Liebesgeschichten” hoffen, die neben Freundschaften an diesem Abend beginnen sollen.

Mucbook: Rückblick auf das 1. Erzähl-Mahl in München, Gründerin Katrin mit Hupe

Doch bevor wir mit dem ersten Gang und den ersten Fragen starten, erzählt uns Fabian eine Geschichte. Fabian arbeitet für eine Literaturzeitschrift und ist der Anheizer an diesem Abend. Er trägt seine Geschichte im Slam-Stil vor. Sie ist gut, hinterlässt mich aber leicht verstört. Das Bild eines 14jährigen Mädchens mit Zahnspange, das im Stacheldrahtzaun einer Kuhweide festhängt und von Wespen zerstochen wird, regt bei mir erstmal nicht den Appetit an. Die anderen lachen.

Erster Gang: Kindheit und Urlaub

“Welcher Urlaub aus deiner Kindheit ist dir in besonderer Erinnerung geblieben?” Denk an “Geruch”, “Aussehen”, “Essen”, “Urlaubsbekanntschaften”, “Stimmung”.
“Was war dein erstes Reiseziel ohne Eltern?” Denk an “Zwischenmenschliche Kontakte”, Autonomie”, “Heimweh”.
Ich stelle diese Fragen Robert, er ist Biologe. Robert erzählt mir von seinem Auslandsaufenthalt als Jugendlicher in den USA. Wie sein Selbstbewusstsein in dem Jahr gewachsen ist. Wie er zum typischen Footballer wurde, und wie er es endlich geschafft hat, mit Mädchen zu sprechen. Es ist spannend, ihm zuzuhören. Ich merke, wie bei mir die leichte Beklemmung abfällt, und die entspannte Atmosphäre einsetzt, die entsteht, wenn man sich mit netten Leuten unterhält und das Gefühl hat, sie wenigstens ein bisschen zu kennen.
Die Hupe ertönt, und Robert wechselt den Platz, noch bevor er mir die Fragen gestellt hat. Ich sitze alleine da, keiner rückt auf. Leichte Verwirrung entsteht, denn es war wohl erst das Signal für den Fragenwechsel. Also setzt sich erstmal Sia zu mir, Entwickler. Er lacht viel und erzählt. Frauen sind wieder ein Thema. Das steht zwar so nicht auf den Zetteln, die mit jedem Gang gereicht werden, aber ich finde es spannend. Sia wirkt super offen und kommunikativ. Kaum zu glauben, dass er von sich selbst sagt, er habe früher nicht mit Frauen reden können, und überhaupt nicht mit Menschen.
Wieder ertönt die Hupe, ohne dass ich von mir erzählt habe.

Mucbook: Rückblick auf das 1. Erzaehl-Mahl in München, zwei Männer sitzen sich gegenüber und unterhalten sich

Zweiter/dritter/vierter Gang – Träume und Ereignisse während der Jugend, Wünsche, Dankbarkeit

Joachim kommt zu mir. Und bleibt für die nächsten drei Gänge einfach sitzen. Er geht zunächst auf die zweite Frage des zweiten Ganges ein und erzählt mir von einem besonderen Ereignis aus seiner Jugend. Wie er mit seinem Vater in Afrika im Urlaub war, wie sie Schauplätze besucht haben, die der Vater aus seiner Kriegszeit kennt. Kriegsgeschichten sind dabei, von Joachims Großvater aus beiden Weltkriegen. Von seinem Vater, der als junger Bursche in Afrika einem Engländer gegenüberstand, beide vor Schreck erstarrt, beide beschließen, nicht zu schießen. Die Worte seines Großvaters, die bei der aktuellen Weltenlage besonders eindringlich wirken: Bua, nie wieder Krieg!
Wir reden über sein Verhältnis zum Vater, die Beziehung seiner Kinder zu ihm, reden über die ehemalige DDR, den Fall der Mauer, und – wie konnte es anders sein – Frauen. Er erzählt von seiner gescheiterten Ehe, seiner jetzigen Beziehung. Dann der Apell an mich: Bekomm Kinder, den richtigen Zeitpunkt gibt es nicht, den richtigen Typen dafür auch nicht, mach es trotzdem.
Bevor ich jedoch spontan einen öffentlichen Aufruf nach einem Vater für meine ungeborenen Kinder mache, beantworte ich lieber eine der offiziellen Fragen: “Wünsch dir was… Jenseits von Zeit und Geldzwängen”. Ich nenne Weltfrieden, Joachim lacht, hält es für unwahrscheinlich, wie ich auch, nennt es aber einen guten Wunsch. Und sagt mir zum Schluss, dass ich sehr nett sei.Mucbook: Rückblick auf das 1. Erzähl-Mahl in München, Frau am Tisch

Mucbook: Rückblick Erzähl-Mahl München, Mann und Frau sitzen sich gegenüber

Fünfter Gang – Freie Fragen

Zum Dessert verlässt Joachim mich dann doch. Eigentlich sollte ich jetzt zum ersten Mal eine Frau als Gegenüber bekommen. Doch sie ist so in das Gespräch mit meiner Nebensitzerin vertieft, dass ich erstmal alleine da sitze. Im Raum steht Sia und guckt sich um. Viele der anderen sind auch nicht aufgerückt, zu anregend sind die Unterhaltungen, wollen noch nicht beendet werden. Wir gucken uns an, zucken mit den Schultern, und er setzt sich zu mir. Ich frage ihn erstmal, wie er den Abend findet, die Gespräche. “Super”, ist seine Antwort. Wir kommen schnell wieder in eine Unterhaltung rein, stellen ein paar der Fragen aus den anderen Gängen, z.B. “Wofür bist du dankbar?”, und reden über alles Mögliche. Wieder lacht er viel, verrät mir Details aus seinem Leben. Wir sprechen über Ängste, darüber, wie man sie überwinden kann. Ich erzähle ihm von 100 days without fear und wie großartig ich es finde, wie offen er mit seinen Ängsten umgeht. Und wieder reden wir über Männer und Frauen, ohne dass ich das Thema aufbringe.

Mucbook: Rückblick auf das erste Erzähl-Mahl in München, lachende Frau am Tisch

Ich merke, wie ich langsam müde werde vom vielen Reden und Zuhören. Merke, dass ich mehr gefragt und zugehört habe als selbst zu erzählen. Merke, dass der Anspruch, durch die Geschichten auch etwas über sich selbst zu erfahren, funktioniert. Ich verspüre den Wunsch, mit Leuten zu reden, die ich schon kenne. Damit ich nicht mehr so aufmerksam sein muss, denn nach drei Stunden wird das anstrengend. Also verabschiede ich mich von Sia und gehe zu Florian, den ich von der Failnight kenne, das einzige vertraute Gesicht in der Runde. Er ist mit seiner Freundin da, findet das Konzept großartig und sagt, dass selbst der ein oder andere Gesprächspartner, mit dem er unter anderen Umständen wahrscheinlich nicht geredet hätte, sehr interessant war. Er will beim nächsten Erzähl-Mahl auf jeden Fall wieder dabei sein.

Fazit:
Fragen funktionieren sehr gut, um ein Gegenüber kennenzulernen und sich miteinander vertraut zu machen. Seien es die 25 Fragen von Max Frisch, seien es die 36 Fragen zum Verlieben, die 36 Fragen zum Entlieben oder eben die acht Fragen des Erzähl-Mahls, aus denen so viele weitere resultierten. Ich habe meine Gesprächspartner deutlich besser kennengelernt, als ich es bei einem normalen Networking-Event getan hätte. Auch hatte ich das Gefühl, dass alle richtig Lust hatten, zu erzählen und selbst aufmerksam zugehört haben. Das Essen hat dabei eine eher untergeordnete Rolle gespielt, liefert aber den passenden Rahmen und sollte unbedingt beibehalten werden.
Die Fragen fangen locker an und werden von Gang zu Gang intimer. Wenn man, wie ich, nur drei Gesprächspartner hatte, baut sich so langsam eine interessante Beziehung auf. Hätte ich in der letzten Runde jedoch ein neues Gegenüber gehabt, wäre es mir wohl deutlich schwerer gefallen, eine Frage wie “Was bereust du?” zu beantworten.
Manche der Fragen hätte ich einfacher formuliert. Ehrlich, ich bin mir nicht sicher, ob jeder den Begriff “Adoleszent” kennt, Jugendlicher dafür garantiert.
Schön war, dass zu den Fragen immer noch Anregungen gegeben wurden, an die man im Zusammenhang denken soll. Insgesamt hatte ich den Eindruck, dass alle Teilnehmer den Abend super fanden, und wieder teilnehmen wollen. Und wer weiß, vielleicht haben ja auch “Freundschaften oder andere Liebesgeschichten” ihren Anfang gefunden.

“Wer auch immer dir gegenüber sitzt, es ist der richtige Mensch”, lautete einer der Ansagen zu Beginn. Ein schöner Spruch, denn jeder hat etwas zu erzählen. Hören wir zu.

Mucbook: Rückblick auf das erste Erzähl-Mahl in München

Das nächste Erzähl-Mahl findet am Mittwoch, den 30. September statt, dann mit neuen Fragen. Über die Facebook-Fanpage bleibt ihr auf dem Laufenden.

Anregungen fürs nächste Gespräch gesucht? Hier alle Fragen des Erzähl-Mahls. Wer sie uns beantworten möchte, gerne in den Kommentaren.

1. Welcher Urlaub aus deiner Kindheit ist dir in besonderer Erinnerung?
Think about: Geruch, Aussehen, Essen, Urlaubsgekanntschaften, Stimmung…

2. War war dein erstes Reiseziel ohne Eltern?
Think about: Zwischenmenschliche Kontakte, Autonomie, Heimweh…

3. Was hattest du für Träume als Adoleszent?
Think about: Berufsziel, Familienplanung, Lebensort, Lebensstil…

4. Ein besonderes Ereignis deiner Adoleszenz?
Think about: Eine besondere Begegnung, ein besonderes familiäres oder romantisches Ereignis…

5. Warum tust du, was du tust?
Think about: Deine Werte, deine Ziele, dein Job, deine Herkunft…

6. Wünsch dir was… Jenseits von Zeit und Geldzwängen
Think about: Die einsame Insel, Gutes tun, Selbstverwirklichung…

7. Wofür bist du dankbar?
Think about: Beziehungen, Elternhaus, Schulbildung…

8. Was bereust du?
Think about: Ausbildung, ein Fehltritt, ein Manko, eine falsche Entscheidung…

Fotocredit: Erzähl-Mahl

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