Kultur, Nach(t)kritik

“Scheherazade unserer Zeit”: Salman Rushdie im Cuvilliéstheater

front:text, Albert Ostermaiers Textreihe, die sich mit Flucht, Gewalt und Zukunft literarisch auseinandersetzt, eröffnete gestern Abend im Cuvilliéstheater mit einem Paukenschlag: Salman Rushdie.

Dieser stellte seinen neuen Roman Two Years Eight Months and Twenty-Eight Nights (Zwei Jahre, acht Monate und achtundzwanzig Nächte) vor. Wer zwei Jahre, acht Monate und achtundzwanzig Nächte addiert, kommt schnell auf eine literarisch hochkonnotierte Zahl: 1001. Nächte!
Wohl kein anderer als Salman Rushdie selbst kann von 1001 Nächte schreiben. Albert Ostermeier begrüßte ihn als die “Scheherazade unserer Zeit”, ein Literat, der zwar nicht gegen, aber trotz seines Todesurteils, das über ihn 1988 in Folge seiner Satanic Verses verhängt wurde, Geschichten erzählt.

Magisch ist sein Roman, lässt eine sichernde Membran zwischen Welt und Anders-Welt durchlässig werden, Geister von Ibn Rush (in Europa besser bekannt als Averroes) und Ghazali geraten über Jahrhunderte hinweg in theologisch-philosophische Streitigkeiten, lassen wieder einmal Vernunft und Religion aufeinander prallen, ein Dschinn wird heraufbeschworen, der über die Welt Hass und Intoleranz sähen soll… und zuletzt steht nichts weniger auf dem Spiel als die Existenz der Welt. Denn die Gegenwart dieser 2000jährigen erzählten Zeit ist die unsere. Doch trotz aller gewaltigen Märchen- und Sagen-Elemente, wird man aber das Gefühl nicht los, als wäre der Roman wieder von unheimlicher Aktualität. Rushdies Roman liest sich als Echo auf unsere verrückte Welt.
Eine Stunde vor der Lesung sagt Rushdie mit einem leichten Lächeln auf den Lippen im BR-Interview:

“I’m really sorry, my novels always seem to come true”

Geradezu programmatisch stellt Rushdie daher seinem Buch Francisco de Goyas berühmte Radierung “El sueño de la razón produce monstruos” (Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer). Seinen Lesern eine klare Ansage.

Denis Scheck, Literaturkritiker und Inkarnation dessen, was Literatur ist, moderierte den Abend und diskutierte mit Rushdie über Struktur und Inhalt seines neuen Werkes. Das Märchen, die literarische Gattung, mit der der Mensch zu allererst und immer wieder in Berührung kommt, ist gleichzeitig die Gattung, die Wahrheit und Weisheit am besten transportiert. Seine Inspiration zieht Rushdie vor allem aus der deutschen Märchentradition, denn in deutschen Wäldern (forrest) entsteht das Unheimliche, das Gewaltige, wo Hexen Kinder zubereiten, etc.; im Gegensatz dazu ist der englische Sagenwald (wood) ein Wäldchen, wo kleine Feen in Blütenkelchen schlafen, da ist nichts, was die Phantasie anregt.

Norman Hacker, Ensemblemitglied des Residenztheaters liest (leider viel zu kurz) aus der deutschsprachigen Übersetzung von Sigrid Ruschmeier.

“What would Salman Rushdie wish?” – “of course, what you should not wish: more wishes”


Mehr Infos zum derzeitigen Literaturfest gibt es hier.

 

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