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Lichterkette von München nach Berlin: Freundliche Flammen

Christina Maria Bauer
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Eine am Samstag privat organisierte Lichterkette von München nach Berlin umfasste weit weniger Menschen und Kerzen als erhofft. Doch die, die dabei waren, leuchteten mit viel Wärme. In München waren es etwa 4.000. Weinstraße cmb Weihnachten ist Kerzenzeit, und stehen Menschen und Kerzen in großer Zahl in einer Reihe, wird ein Symbol für Frieden daraus. So geschehen am vergangenen Samstagabend mit Startpunkt am Münchner Marienplatz, genauer, an der Ecke zur Dienerstraße. Zu der Aktion aufgerufen hatte Horst Fallenbeck, ein Privatmann aus dem baden-württembergischen Bad Waldsee. Er hatte einige Wochen im Vorfeld über eine Website und Social Media für seine Veranstaltung geworben. Nicht ganz unehrgeizig, seine Idee der Lichterkette von der Mitte Münchens bis zum Brandenburger Tor in Berlin. Dafür hätten mindestens 650.000 Teilnehmer mitmachen müssen, und die jeweils am richtigen Standort.

Davide Martello Odeonsplatz cmbDie Online-Anmeldeoption wurde jedenfalls reichlich genutzt. So kursierten allein für München im Vorfeld teilweise fünfstellige Anmeldezahlen. Entlang der Strecke durch Deutschland wurden abschnittsweise Organisationsteams gebildet, für München war eine engagierte Frauengruppe am Start. Mit den großen Teilnehmerzahlen klappte es letztlich nicht. Allerdings wurden von offizieller Seite immerhin 4.000 Beteiligte hier in der Stadt gemeldet, womit sie gegenüber etwa 700 Personen in Berlin noch ein wenig mehr „glänzen“ durfte. Zum Auftakt der Veranstaltung um 19.00 Uhr spielte am Marienplatz Pianist Davide Martello, der dann mit seinem Radanhänger-Reiseflügel für den Rest des Abends an den Odeonsplatz wanderte.

Entlang der Strecke standen viele Menschen aus anderen Ländern oder mit multikultureller Herkunft, auch Flüchtlinge. Eine Flüchtlingshelferin, gebürtige Brasilianerin, war eigens aus dem Allgäu angereist, um ihre Flamme hochzuhalten. „Wir möchten darauf aufmerksam machen, in welcher Gefahr wir alle sind, dass unsere Demokratie mit ihren Werten bedroht ist“, bekundete sie. „Wir wollen zeigen, dass die Menschen hier wachsam sind.“ Drei pakistanische Männer, die sie derzeit betreut, waren gleich selbst mitgekommen und streckten neben ihr ihre Kerzen aus. Weiter vorn in der Kette hatten sich noch einige Syrer aus der Gruppe aufgestellt.

Gegenüber dem Marienhof stand Daleya mit ihrem Sohn und zwei Freundinnen. Auch ihr war es ein Anliegen, ein Zeichen für Frieden zu setzen. Manchmal könne man sich sonst allzu leicht hilflos fühlen, angesichts von Gewalt und Hetze. Die junge Frau kommt aus Australien, ihre Herkunftsfamilie ist multikulturell, die eigene ebenfalls. In Berlin, erzählte sie, stehe ihre Mutter am anderen Ende der Lichterkette. Ihr selbst war es wichtig, an diesem Abend in München dabei zu sein. „Das ist das Mindeste, was ich tun kann, hier mit einer Kerze zu stehen.“

Residenz cmbViele weitere Menschen waren der gleichen Meinung, und so standen sie, entlang der Diener- und Residenzstraße bis zum Odeonsplatz, Frauen und Männer, Kleinkinder, Senioren, mit Teelichten in Glas- und Papierlaternen, Tafel-, Grab- oder Stumpenkerzen, einige mit LED-Leuchten. Streckenweise flackerten Kerzen auf dem Gehweg, wo sie von weitergezogenen Teilnehmern aufgereiht worden waren. Vom Odeonsplatz, wo der international tourende Straßenpianist Martello in die Tasten seines klangverstärkten Flügels haute, klang den Ankommenden Musik der Beatles entgegen. Wenig später folgte „Imagine“, John Lennon – klar, was würde besser passen. Erst vor Kurzem war es auch Martello, der diesen Song unweit des Konzertsaals Bataclan in Paris spielte, ein Friedenszeichen nach den dortigen Anschlägen.

Nun lauschte ihm in München eine dichte Menschentraube. Ab und an lösten sich Zuhörer, um ihre Kerze nahe dem Flügel auf das Pflaster zu stellen. So hörte der Kreis aus Flammen um Piano und Pianist nie ganz auf zu leuchten. Musikveranstalter Marcel Fischer hielt den Musiker indes mit kleinen Snacks bei Kräften. Auch er macht sich Gedanken über die Lage der Demokratie in Europa. Wenn die Lichterkette an diesem Abend auch längst nicht vollständig war, war nach seiner Information andernorts ein komplettes Dorf auf der Straße. Zwar können das 25 Einwohner schon schaffen. Dennoch ist es eine schöne Geschichte entlang der Strecke.

Weniger schön war indes, dass sich im Vorfeld der Veranstaltung offenbar Mitglieder einer rechtsgerichteten Gruppe in das Berliner Organisationsteam hatten mischen wollen. Vermutetes Ziel war eine Unterwanderung mit eigenen Inhalten. Fallenbeck hatte daraufhin das komplette Organisationsteam ausgetauscht. Doch die große Mehrheit der Teilnehmer wollte unterstützen, wofür die Lichterkette initiiert worden war: Ein gemeinsames Zeichen für Frieden und Toleranz. In München wurde gebietsweise auch etwas weniger zentral von reger Teilnahme berichtet, etwa entlang der Ludwig-, Leopold- und Ingolstädter Straße.

Auch sonst leuchteten zumindest Teile der Strecke bis Berlin – und abseits der vorgesehenen Route, im Süden etwa in Fallenbecks Heimatort Bad Waldsee mit 500, im Norden in Hamburg mit 200 und Lübeck mit 150 Teilnehmern. Mancherorts, etwa im kleinen Ort Bad Düben, stellten sich wackere Kerzenhalter ganz allein mit ihrer Flamme auf. Auf der von Fallenbeck eingerichteten Social-Media-Seite reihten sich im Lauf des Abends Kerzen-Selfies mit Grüßen aus ganz Deutschland – vereinzelt gar aus dem Ausland. Im Münchner Zentrum waren die entlang der Gehwege zurückgelassenen Kerzen gegen 21.00 Uhr erloschen und vollständig abgeräumt. Die Symbole sind weg, die Idee ist es nicht.

 

Fotocredit: (1) Flickr/Christian Schnettelker via CC BY 2.0 Lizenz (2) (3) (4) Christina Maria Bauer

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