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Kultfabrik: Sammelbecken der Verlierer und Loser

Magdalena Beck
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Ende des Jahres könnt ihr die Flyer vom Boden kratzen und die letzten Konfetti aus eurem Haar pflücken … die Kultfabrik schließt und mit ihr geht eine Ära zu Ende. Magdalena Beck, die mit ihrem Text “Sammelbecken für Verlierer und Loser” bei der Puls-Lesereihe 2013 ins Finale kam, hat uns ihre Hommage an die Kultfabrik zur Verfügung gestellt. Einmal Zeitreisen, bitte.

“Und der Beat tanzt. Und wir tanzen mit. Deine Nacht, meine Nacht, das ist unsere Nacht, man! Zwischen Happy Hour und der Zeit unseres Lebens verlaufen wir uns. Gefangen im Social Network , vorbei an den iPhones der Anderen. Diese Nacht entschädigt uns für einiges. Und wenn ich einiges sage, dann meine ich einiges. Das Geld reicht diesen Sommer wieder nicht für einen Tag am Meer, aber so toll ist es da angeblich gar nicht. Du und ich – wir kennen uns zwar erst seit kurzem, einer Achtelsekunde vielleicht, aber wir sind seelenverwandt. Da bin ich mir ganz sicher! Der Mensch ist ein Rudeltier, hast du vorhin gesagt. Die Clubs hier haben ihre beste Zeit gehabt, wann die war ist fraglich. Heute zahlen wir fünf für alle und dann gibt es auch noch Wodka for free. Wodka for free! Lass uns ein Foto machen, am besten auf der Toilette vor dem Spiegel. Soll die Welt doch sehen, wie hipster wir sind! Ich will mich erinnern können, an das. Später. Lass uns rausgehen, eine rauchen! Du hast keine Kippen mehr? Ja, scheiße. Na ich hab keine, ich bin ja nur Partyraucher. Und jetzt? Kleingeld suchen und beim Kiosk welche zocken. Stooooppppp! Lass uns reingehen, das ist unser Lied! Diese Farben, diese Lichter, unglaublich! Hast du schon mal so etwas Wahnsinniges gesehen? Ich war schon lange nicht mehr so glücklich. Du willst nicht wirklich ein Dancemove-Battle oder? Mein Favorit ist „I forgot my locker code“, man tut so, als würde man wie wild einen Zahlencode in ein Schloss eingeben, aber der Code ist immer falsch.

Wir lassen uns durch die Menge treiben, deine Hand hält meine. Warum ist nicht ganz klar. Ich dachte, du hast eine Freundin. Ich dachte, das mit uns wäre längst vorbei. Aber es ist zu laut hier, um das zu dis…dis…be-sprechen. Ich seh dich nicht, ich seh mich nicht, ich kann uns nicht sehen. Und der Beat tanzt. Frei sein, ich will frei sein! Aber was heißt das, frei zu sein? Gott, das war philosophisch. Alter, war das philosophisch. Cuba Libre! Lass uns das trinken, hab ich ewig nicht mehr getrunken. Es geht mir gut, ehrlich. Semesterferien, bald Bachelor, dann Master und dann unendlich viele Möglichkeiten. Soziologie und Nebenfach Philosophie. Und frag jetzt bitte nicht, was man später damit macht. Aber nach der Uni würde ich gerne eine Ausbildung zur Zumbalehrerin machen, Zumba befreit. Was ist, wenn ich der Welle, die auf mich zukommt, nicht standhalten kann? Dann kann ich wenigstens behaupten, ich hätte meinen Spaß gehabt. Heute Nacht feiere ich mein Leben. Auch die Sachen, die man gut hätte vermeiden können, die ich aber trotzdem gemacht habe. Dazu gehören Dinge wie Leihbuchfristen überschreiten, mit Exfreunden befreundet bleiben, nach Hause gehen, wenn es am Besten ist und Rechnungen aus Faulheit nicht bezahlen. In fetten schwarzen Buchstaben ICH LIEBE DICH an die Toilettentüre schreiben gehört definitiv zu den Dingen, die man getan haben muss. Daneben steht „ Bad descsions make good storys.“

Mir ist so schlecht, aber das muss so sein. Ich drehe mich im Kreis, aber das machen alle anderen auch. Irgendwann dreht man sich so lange im Kreis, bis man es nicht mehr merkt. Dann denkt man, das muss so sein. Ich kann wahnsinnig gut Geschichten erzählen, aber um das zu erkennen, müsstest du mir im Zweifelsfall zuhören, bevor du mir deine gepiercte Zunge in den Hals steckst. Dafür hast du leider keine Zeit.

Geh noch nicht, wenn du jetzt gehst, dann bist du für mich gestorben. Da sitzen wir, du und ich, mit dem Rücken zur graffitibesprühten Wand. Wie romantisch. Wo sind die anderen? Kurz eine WhatsApp-Nachricht touchscreenen. Ich wollte immer weg von hier. Und jetzt sind alle in Berlin und ich bin immer noch hier. Aber das ist schon okay so. Was bedeutet dieses Tattoo auf deinem linken Oberarm? Chinesisch für Glück? Aha. Ne du, ich find das geil. Dir steht das. Ich erwähne nicht, dass ich erst letztens wieder von jemandem gehört habe, dessen vermeintliches China-Glücks-Tattoo sich als etwas ganz anderes entpuppt hat. Ich lache in mich hinein, denn ich finde es sehr lustig, dass auf deinem Oberarm wohlmöglich das Zeichen für „Weihnachtsmann“ abgebildet ist. Wir werden zum Parkplatz gespült, weg vom Bass. Ich laufe ein bisschen vor dir her, wackel mit meinem Hintern. Dann dreh ich mich um, unberechenbar. Ich zieh mein Top hoch, danach hast du nicht gefragt, aber ich kann gedankenlesen. „Du bist echt so heiß wie alle sagen“, höre ich dich lallen. Das wollte ich nicht hören. Fuck, jetzt hast du die ganze schöne Stimmung versaut. Ich ziehe mein Shirt wieder runter, und laufe in Schlangenlinien zurück zum Club und dann rein in den Ozean. Put your hands up! Mir ist so schlecht, aber das muss so sein. Ich drehe mich im Kreis, aber das machen alle anderen auch. Irgendwann dreht man sich so lange im Kreis, bis man es nicht mehr merkt. Dann denkt man, das muss so sein. Ich kann wahnsinnig gut Geschichten erzählen, aber um das zu erkennen, müsstest du mir im Zweifelsfall zuhören, bevor du mir deine gepiercte Zunge in den Hals steckst. Dafür hast du leider keine Zeit. Dafür hast du leider keine Zeit.

Einmal in meinem bisherigen Leben war ich unsterblich verliebt, in einen Barkeeper. Alle meine Freunde wussten davon und mussten jedes Wochenende mit mir in diese Bar und jeden noch so kurzen Blick von ihm interpretieren. Wir nannten ihn irgendwann nur noch HOTTES BARBOY EVER. Ich schwärmte wirklich lange für seinen Eight-Pack-Oberkörper und irgendwann bekam ich sogar den dazugehörigen Namen heraus. Dann ging alles sehr schnell mit uns, ich stalkte ihn bei Facebook und fand heraus, dass HOTTEST BARBOY EVER auch die passende HOTTEST BARBOY FREUNDIN hatte. Damit war unsere tiefgründige Beziehung leider zu Ende. Gerade bin ich so froh, betrunken zu sein. Vielleicht, weil beim Betrinken die Angst vom Ertrinken kurz untergeht. Ich will so unglaublich viel, so viel, dass ich es mir gar nicht alles merken kann. Ich weiß nur, dass sich das Viele ganz schön schwer anfühlt und mich wie Blei nach unten zieht. Plötzlich bist du wieder da und versuchst mir tief in die Augen zu sehn. Jedenfalls nehme ich das an, denn du trägst deine Sonnenbrille im Club. Du bist wirklich alles andere als cool. Aber so was interessiert mich nicht, ich bin nämlich ganz anders als die Anderen. Für mich zählt dein Innerstes. Also los, lass uns wieder knutschen! Das Beste Mittel gegen Lebenskummer ist Sex. Glaub jetzt bloß nicht, ich strippe für dich. Es geht dich nichts an, wie ich bin. Ehrlich gesagt, so genau weiß ich das auch gar nicht. Ich bade gerade noch in meiner diffusen Identität, als das Licht angeht. Die Party ist zu Ende, der DJ will nach Hause. Hallo, ich bin noch nicht bereit! Keine Reaktion auf mein SOS in Sicht.

Auf dem Weg noch einen Cheeseburger kaufen, eine Gute-Nacht -Zigarette rauchen und dann in Jeans einschlafen. Kein Beat mehr, kein du. Aber wenn man sich eine Muschel ans Ohr hält, dann kann man das Meer hören. Ganz bestimmt.

Zurück ans Festland, die Sonne wacht gerade auf und doch scheint alles farblos. Was hier so stinkt? Das ist die frische Luft. Wenn du die Augen zu machst, dann kommt dir der salzige Schweißgeruch um uns herum vielleicht sogar wie eine Meeresbrise vor. Mal wieder hältst du meine Hand, warum ist leider immer noch nicht klar. Ich geh jetzt, mach’s gut! Abschiedskuss. Begeistert bist du nicht, du wolltest heute nicht alleine nach Hause gehen. Aber nur weil man sich bemüht, heißt das leider nicht automatisch, dass man Erfolg hat. Das hab ich von einem Professor aufgeschnappt. Du bleibst zurück mit dieser zugegeben ernüchternden Lebensweisheit. Auf dem Weg noch einen Cheeseburger kaufen, eine Gute-Nacht -Zigarette rauchen und dann in Jeans einschlafen. Kein Beat mehr, kein du. Aber wenn man sich eine Muschel ans Ohr hält, dann kann man das Meer hören. Ganz bestimmt.”

 

Fotocredit: Volker Derlath

Zum Nachhören geht es hier entlang.

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