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Vier Frauen, vier Bars, vier Stunden – vier Selbstversuche

Anika Landsteiner

Was passiert, wenn eine Frau alleine am Tresen sitzt? Unsere Autorinnen haben einen Selbstversuch gewagt.

Vorab wagen wir den Selbstversuch mit dir. Schließe mal bitte die Augen und stell’ dir nun vor, wie eine Frau alleine in einer Bar am Tresen sitzt. Sie hat kein Buch in der Hand und tippt auch nicht in ihr Handy. Was denkst du? Ist die hier, um jemanden aufzureißen? Hat sie keine Freunde? Wurde sie vielleicht versetzt? Ertränkt sie Liebeskummer in Whiskey Sour?

Männer in Bars sind keine Seltenheit. In die Kneipe ums Eck gehen manche alleine auf ein Bier. Und gerade auf Reisen trifft man oft den einsamen Wolf am Tresen, der schweigsam in sein Glas blickt oder mit dem Barkeeper in ein Gespräch vertieft ist.

Vier Autorinnen unserer Redaktion dachten sich – warum eigentlich nur Männer? Sie wollten es selbst ausprobieren und vor allem wollten sie Antworten auf folgende Fragen: Hängt der Verlauf des Abends von der Atmosphäre der Bar und dem Klientel ab? Ist es schwierig, im Nachtleben mit mir alleine klarzukommen, ohne einem Schutzschild einer Begleitung?

Stefanie ist eine von ihnen, die sich im Sommer dem Selbstversuch gestellt und für das aktuelle MUCBOOK Printmagazin ihre nächtliche Erfahrung aufgeschrieben hat.


Absturz vom Prittstifthocker
von Stefanie Manna

Ich gehe die Türkenstraße entlang Richtung Sausalitos, drehe mich des Öfteren um, ob mich jemand beobachtet. In meinen zwei Jahren, die ich nun schon in München lebe, habe ich es immer vermieden, in solche „Ballermann-Bars“ zu gehen.

Ich nehme so galant wie möglich auf einem der Barhocker platz. Das Restaurant ist halb gefüllt und an der Bar sitze nur ich.

Irgendwie hatte ich mir das alles etwas anders vorgestellt: Wo sind die wetttrinkenden Australier, die peinlichen Junggesellen in pinken Prinzessinenkleidern und die eimersaufenden Abiturienten?

Wieso wird hier KEINES meiner Kopfkinoklischees erfüllt? Meine Traumvorstellung, heute Nacht noch spontan mit einer Gruppe Junggesellen nach Malle zu fliegen, zerplatzt. Peng! Ich versuche, meine Enttäuschung zu verbergen, schaue auf die Uhr – noch vier Stunden alleine an der Bar.

Ich hebe den Kopf und blicke in die grinsenden Gesichter der vier netten Barkeeper und schon steht der erste Cocktail „That´s Amore“ vor meiner Nase. Weil meine mathematischen Kenntnisse mit jedem Drink sinken, mache ich – wohlwissend, dass der Abend nicht nüchtern enden wird – von jedem Getränk ein Foto. Von den Barkeepern erfahre ich, dass normalerweise am Wochenende hier wirklich Partyhochburg ist, nur heute vor einem Feiertag ist nichts los. Nada. Niente. Das Gute daran, die Jungs hinterm Tresen haben entspannt Zeit, sich (einer nach dem anderen) mit mir zu unterhalten. So vergeht die erste Stunde, so leert sich der erste Cockail, so verschwindet der erste Kurze und so röten sich meine Wangen. Die Sausa–Boys sind so erleichtert, dass ich keine 40-jährige Restaurantkritikerin bin (das hatten sie nämlich befürchtet), dass sie mir vor Glück schon den nächsten Drink „Bahama Mama“ vor die Nase stellen, bevor der andere überhaupt leer getrunken ist.

Steffi_GM87487Es schlägt 23 Uhr und plötzlich explodiert förmlich die Bon-Maschine. Die Happy Hour ist eingeläutet und das lassen sich die Gäste nicht zweimal sagen. An dieser Stelle möchte ich jeden Personalleiter dazu auffordern, sich ein Beispiel an diesem Bar-Team zu nehmen. Ein solches Teamwork und Miteinander habe ich selten beobachtet. Jeder Handgriff sitzt, jeder greift dem anderen unter die Arme. Erstaunlich! Ich sitze wie gebannt auf meinem Hocker (stehen fällt mir mittlerweile eh zu schwer) und starre (im Nachhinein glaube ich sogar mit offenen Mund) 20 Minuten lang auf das Uhrwerk in Menschenform. Bis zu 80 Cocktails mixt jeder von ihnen an einem Abend und das im Akkord. Dann ist der große Run vorbei und zur Feier gibt es einen Shot Liquid Cocaine (Espresso mit Wodka) für alle Barleute und mich (ich gehöre zum Inventar, da dank kurzer Hose die nackten Beine unangenehm am Barhocker kleben bleiben – egal, darf ja eh nicht weg!).

Der nächste Cocktail „Bacardi Razz Mojito“ kommt und die darauffolgende Stunde vergeht wie im Flug, denn genauso fühle ich mich bereits – Turbulenzen in meinem Kopf … alles dreht sich! Die Cocktails sind aus Preis-Leistung-Sicht wirklich gut und dank viel Zucker und süßen Säften auch schnell leer getrunken. Mein Magen klebt von innen, meine Beine am Stuhl von außen und mein Gehirn (fühlt sich zumindest so an) überall – ich brauche frische Luft. Mit einem lauten raatsch löst sich meine Haut vom Barhocker und ich stolpere ungalant Richtung Türe.

Bei einer Zigarette erzählt mir Aki, der Türsteher, Näheres über seinen Job als Privatdetektiv. Ich bin beeindruckt und betrunken.

Cem, einer der Barkeeper, macht bereits um halb 12 Feierabend und gesellt sich zu mir. Neben uns haben nun auch vier junge Frauen Platz genommen und rufen wild durcheinander, flirten mit den Jungs und mir. Ich schließe Freundschaft mit einem der Mädchen, an deren Namen ich mich leider nicht mehr erinnere. Mittlerweile kann ich alle Mainstream-Lieder, die der DJ spielt, auswendig und schäme mich nicht dafür.

Es ist 1:00 Uhr, ich stehe mit den anderen Kollegen draußen hinter der Küche und rauche. Ohne, dass ich groß mitentscheiden darf, steht bereits fest, dass ich mit der Crew nach Feierabend noch weggehe. 089 Bar … mir schwant Böses! Naja, zumindest die Playlist werde ich voraussichtlich mitsingen können.

Zurück an der Bar wartet Cocktail #6 und ein weiterer Liquid Ecstasy bereits.

Meine Blase meldet sich zu Wort. Leider befindet sich die Toilette im Keller, das heißt Treppe … alles dreht sich. Ich schicke ein Stoßgebet Richtung Innenarchitekten, denn es gibt ein Geländer für Menschen wie mich! Vorsichtig wage ich mich in die Tiefen des Sausalitos und finde mich in einem schönen Bad wieder. Da ich alleine bin und nicht mit meinen betrunkenen Freundinnen Konversationen auf der Toilette führen kann, lausche ich dem Gespräch fremder betrunkener Freundinnen auf der Toilette.

„Hey, du hast voll Recht, ich bin eine starke Frau und außerdem heiße ich nicht Sandra. Tobi muss das einfach verstehen, ich bin ich und nicht Sandra!“

Ich wasche mir die Hände und nicke anerkennend für diese weisen Worte zu fortgeschrittener Stunde in Richtung der zwei lallenden Mädchen. Dann ziehe ich mich am Geländer entlang wieder die Treppen hoch auf meinen Prittstifthocker.

Mittlerweile kenne ich die halbe Belegschaft und die gesamte Cocktailkarte. Der Laden schließt, der Stuhl bleibt stehen und ich sitz-klebend auf ihm. Gemeinsam werde ich nun mit ein paar Leuten feiern gehen – dass der Abend so endet, habe ich nicht erwartet und dass solche netten Menschen hier arbeiten auch nicht.

Die Jungs vom Sausalitos haben einer einsamen, uneleganten Dame an der Bar so nette Gesellschaft geleistet und mir keine Sekunde das Gefühl von Einsamkeit gegeben, dass ich auch immer wieder gerne alleine kommen werde – dann mit langer Hose!

 


 

Vier Selbstversuche in vier Münchner Bars, die außer dem ersten Buchstaben wenig gemeinsam haben: die Schumann’s Bar, das Sausalitos, die Hotelbar des Sofitels und der Sunshine Pub. Wenn ihr wissen wollt, wer von den anderen Ladys Pep Guardiola traf, den Abend allein verbrachte und frühzeitig den Versuch abbrechen musste, könnt ihr in der aktuellen Ausgabe lesen.

Fotocredit: Gunnar Menzel

 

1Comment
  • Luis Bauer
    Posted at 18:09h, 24 Oktober

    Vielen lieben Dank für den interessanter Beitrag!
    Toller Blog.

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