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Gaming-Gala ohne Gamer: Der Deutsche Computerspielpreis 2016

Florian Reiter
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Immer wenn der Deutsche Computerspielpreis – oder DCP, wie wir guten Freunde ihn nennen – verliehen wird, prallen zwei Welten aufeinander, die sich gegenseitig zwar brauchen, aber einander immer noch fremd sind. Auch bei der achten Ausgabe der Preisverleihung am Donnerstag in der BMW-Welt traf wieder zelebriertes Nerdtum aus der Gaming-Ecke auf fernsehtypischen Award-Show-Glamour – aber dazwischen befindet sich ganz viel Politik. Wodurch am Ende alles ein wenig aufgesetzt wirkt.

Was man beim DCP nämlich im Hinterkopf behalten muss: Die Auszeichnung ist eine Erfindung der Politik, 2007 beschlossen und 2009 ins Leben gerufen, um Deutschland als Standort für Computerspiele zu fördern. Das unterscheidet den Computerspielpreis von vergleichbaren Galas wie dem Echo oder dem Deutschen Fernsehpreis, an denen sich der DCP eindeutig orientiert.

Doch ein stetig wachsender Jahresumsatz in mittlerweile zweistelliger Milliardenhöhe führte die interaktiven Unterhaltungsmedien aus den deutschen Kinderzimmern bis in den Plenarsaal des Bundestags – einen derart lukrativen Wirtschaftszweig ignoriert kein Ministerium, das etwas auf sich hält.

Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, unter dessen Schirmherrschaft sich der DCP mittlerweile befindet, hat also ein ganz vitales Interesse daran, die gesellschaftliche Akzeptanz von Computerspielen als Kulturgut zu stärken. Dass eine der ersten Maßnahmen dazu die Ausrichtung einer typisch selbstgefälligen Award-Show ist, bei der sich alle Beteiligten gegenseitig versichern können, wie toll sie doch sind, mag da erstmal seltsam erscheinen. Aber um die eigene Bedeutung in einer desinteressierten Außenwelt zu verankern, gibt es wahrscheinlich tatsächlich keine bessere Methode als zwei Stunden lang “Wir sind wichtig!” in einem medienwirksamen Mantra zu wiederholen.

Das ganz große Missverständnis des Deutschen Computerspielpreises ist daher der Glauben, dass er für die Gaming-Community da wäre. Das ist er nicht. Der DCP ist knallharte Wirtschaftsförderung, und die Initiatoren sind auch ehrlich genug, das zuzugeben. Viele der Preise sind an Fördergelder geknüpft, um Spieledesigner und ihre Firmen zu unterstützen. Und Verkehrsminister Dobrindt darf in seiner Eröffnungsrede vom Spielestandort Deutschland schwärmen, der sich vor niemandem verstecken müsse.

“Der Highscore der deutschen Gamesbranche”

Die deutschen Spieleentwickler hätten nämlich ein “digitales Selbstbewusstsein”, so Dobrindt, durch das sie lösungsorientiert Probleme angingen, statt sich über sie zu beschweren. Innovieren statt jammern also. Was bleibt ihnen auch übrig, möchte man dazwischenrufen, angesichts einer Politik, die den Ausbau des Breitbandnetzes jahrelang verschlafen hat und die mobiles Internet ungefähr so stark fördert wie die anerkannten Wirtschaftsgroßmächte Bulgarien und Ungarn es tun (nämlich gar nicht). Das ist nicht unbedingt Dobrindts Schuld, aber dadurch klingt er dennoch ein wenig zynisch.

Dennoch: Das Bemühen zur Förderung ist ehrlich gemeint. Der DCP fungiert auch als Symbol an die Gaming-Community – ihr werdet gehört, wir nehmen euch ernst, eure Anliegen sind unsere Anliegen. Dass mit der Akzeptanz dieser Subkultur jedoch nicht unbedingt Verständnis einhergeht, macht der Abend anschließend an vielen kleinen seltsamen Momenten deutlich.

Denn die Blöße einzuräumen, dass man von der Thematik eigentlich keinen blassen Schimmer hat, möchte sich natürlich kein Beteiligter geben. Die Folge sind seltsame Sprachbilder und Fremdschäm-Momente en masse: Etwa als Verkehrsminister Dobrindt in seiner Eingangsrede den DCP als “Highscore der deutschen Gamesbranche” bezeichnet, denn im Jahr 2016 funktioniert jedes Computerspiel noch exakt wie Donkey Kong am Arcade-Automaten.

Carcassone ist bestimmt auch super – nur halt analog

Oder als Frontsängerin Mieze vom musikalischen Gast Mia beantworten soll, ob sie denn auch eine Gamerin sei – und dann ganz euphorisch von Carcassone erzählt, einem Gesellschaftsspiel. Oder als die bayerische Wirtschaftsministerin Ilse Aigner in ihrer Rede die Bedeutung von Games in der medizinischen Ausbildung hervorhebt – und dann kurz die Stirn runzelt, so als könnte sie selbst nicht glauben, was sie da gerade vom Blatt abliest.

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Und wenn Alexander Dobrindt so begeistert, wie ein Alexander Dobrindt halt klingen kann, von seiner Vorliebe für das Rennspiel Mario Kart berichtet, dann nimmt man ihm das einfach nicht ab. Sorry. Fast wünscht man sich, dass jemand auf der Bühne einfach mal sagt: “Hey Leute, wir haben zwar keine Ahnung von dem, was ihr da tut, aber ihr bringt Geld rein, also könnt ihr auf uns zählen.” Das wäre wenigstens ehrlich. Aber auch so ist das schon längst das implizite Motto des Computerspielpreises.

Wenigstens die Parlamentarische Staatssekretärin Dorothee Bär ist da ein Lichtblick. In ihrer tatsächlich witzigen, beinahe schon anarchischen Rede entlarvt sie das Phrasen-Gedresche ihrer Kollegen und Vorgesetzten als “Bullshit-Bingo” und legt generell eine ehrliche Begeisterung an den Tag, die außer ihr und Comedian Kaya Yanar kein Laudator zu vermitteln weiß. Schön auch, wie Bär sich während ihrer Laudatio mit der Live-Regie anlegt, weil sie ihre beiden Kategorien in einer anderen Reihenfolge vergeben möchte als eigentlich vorgesehen: “Ich will das aber anders machen! Und ich hab gelernt, wer das Mikrofon hat, der hat auch recht.” Als einer der Hauptinitiatoren des DCP weiß Bär eben: Ihr gehört der verdammte Laden. Nach einem kurzen Disput spurt auch die Regie und stellt die Verleihung der beiden Kategorien kurzerhand um.

Was dem DCP außerdem zugute gehalten werden muss: Seine Jury agiert klug und geschmackssicher. Vor allem im Vergleich zum parallel in Berlin stattfindenden Echo-Musikpreis ist die Auswahl der Kandidaten und Preisträger wohltuend. Blockbuster wie das Strategiespiel “Anno 2205” (“Bestes Deutsches Spiel”) zählen ebenso zu den Gewinnern des Abends wie der grandiose Indie-Titel “Shift Happens” (“Bestes Game Design”, “Bestes Kinderspiel”) von dem Münchner Entwicklerstudio Klonk. Und mit dem polnischen Rollenspiel “The Witcher 3”, das in den internationalen Kategorien kräftig abräumt, ist sogar ein vergleichbar brutaler und erwachsener Titel unter den Preisträgern.

Generell ist der DCP zu Recht darauf bedacht, eine möglichst große Bandbreite deutschen Gaming-Schaffens abzubilden. Was den angenehmen Nebeneffekt hat, dass auch Universitätsprojekte in der Konzeptphase oder pädagogische Kinderspiele ihre Würdigung erfahren. Nicht viele Preisverleihungen machen sich diese Mühe.

An den richtigen Stellen ist das Fachwissen also durchaus vorhanden – aber nach außen hin fehlt halt einfach der Zugang zu diesen zehntausenden Gaming-Fans, die vor ihren Laptops den Livestream verfolgen. Symbolhaft fehlt dieser Zugang auch zu den paar Dutzend Cosplayern, die vor der Show auf dem roten Teppich ihre Kostüme präsentieren, sonst aber augenscheinlich nicht viele Anweisungen bekommen haben und deswegen ganz oft einfach nur unsicher herumstehen. (Und die, so nebenbei bemerkt, auf Betreiben einer spezialisierten Model-Agentur für eine mickrige Aufwandsentschädigung aus ganz Deutschland angereist sind. Den Enthusiasmus junger Leute auszunutzen, bleibt eben ein brilliantes Geschäftsmodell.)

Und so ist der vielleicht bezeichnendste Moment des Abends, als während der Musik-Einlage von Mia nicht nur einige wenige Cosplayer zum Tanzen auf die Bühne kommen, wie anscheinend vorgesehen – sondern gleich alle. Was den minutiös geplanten Ablauf der Show komplett zum Einsturz bringt.

Moderatorin Annett Möller bemüht sich auch sofort, den geladenen Gästen zu versichern, dass diese schiere Menge von Cosplayern auf der Bühne eigentlich nicht beabsichtigt war.

So als wolle sie sagen: Eigentlich wollten wir ja unter uns bleiben. Die Community soll bitte draußen warten. Der DCP täte gut daran, nicht zu vergessen, wo das Geld eigentlich herkommt, um das man sich so bemüht.

Fotos: Gisela Schober/Getty Images

Video: Florian Reiter

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