Mucbook: Tambosi, München
Aktuell, Leben, Stadt

Servus, Tambosi!

Sabine Sikorski
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Wenn ich ihn suche, weiß ich, wo ich ihn finde. Um 17 Uhr sitzt er da, auf einem der aufgereihten Holzstühle und guckt. Guckt auf seine Lieblingsstadt, auf die Menschen, vor sich ein Lola Montez.

Er braucht keine Gesellschaft, aber ich setze mich trotzdem manchmal dazu und dann gucken wir. Gucken auf die Stadt, auf die Menschen.

Wir sitzen immer nur vorne, nie hinten. Weil hinten, da sieht man die Stadt nicht und nicht die Menschen.

München, seine Lieblingsstadt, an seinem Lieblingsplatz, den Blick nach vorne gerichtet, auf die Menschen, die vorbeigehen. Vorbeigehen an den Stühlen in Reih und Glied. Alle nach vorne gerichtet, nicht zueinander. Die Kommunikation findet im Blick satt, im Blick auf die Stadt und ihre Menschen.

200 Jahre. 200 Jahre steht es schon, noch länger sogar, ein halbes Menschenleben länger. Er kommt noch nicht so lange her, ist zu jung dafür, aber gefühlt schon immer und wollte es doch eigentlich sein ganzes restliches Menschenleben lang tun.

Wenn ich ihn suche, weiß ich, wo ich ihn finde. Hier, auf den aufgereihten Stühlen, mit einem Lola Montez vor sich.

Hier war es auch, wo er mir zum ersten Mal die Geschichte erzählt hat. Die Geschichte des kleinen Jungen, der von seinem Vater geschlagen wurde, weil er nicht so war wie sein Vater ihn haben wollte. Zu zart, zu musisch, zu künstlerisch veranlagt. Der kleine Junge, der dem Mann so ähnlich sah, dem Mann, der ein Wirtshaus hatte, direkt neben dem Königshaus, das einen Thronfolger brauchte. Der Mann, der einst der Kammerdiener des Königs gewesen war, die Haare so schwarz wie die des kleinen Jungen.

Es wird der Zeitpunkt kommen, wenn ich nicht mehr weiß, wo ich ihn finde. Wenn die Stühle leer bleiben, weil es keine mehr gibt. Ich werde nicht mehr wissen, wo er nachmittags sitzt, wo er auf die Stadt guckt und auf die Menschen, wo er seinen Lola Montez trinkt, den Blick nach vorne gerichtet, nie auf die Sitznachbarn. Er selbst weiß es auch noch nicht. Denn bald wird es diesen Platz nicht mehr geben. Das Kaffeehaus mit den aufgereihten Stühlen, ausgerichtet nach vorne, damit ihre Sitzer gucken können: auf die Stadt und auf die Menschen.

Servus, Tambosi, du wirst uns fehlen.

 

 

Fotocredit: Sebastian Lehner

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