Aktuell, Kunst

“All the world’s a stage” – über Rollenspiel und Inszenierung

Anna-Elena Knerich

Mit verfaulten Zähnen und provozierendem Blick grinst die als Clown geschminkte Cindy Sherman dem Betrachter aus dem großformatigen Selbstporträt entgegen. Die amerikanische Fotografin ist Meisterin der Selbstinszenierung und der Verwandlung, ständig schlüpft sie in neue Rollen und Maskeraden. Ihre Fotos waren in der französischen Modezeitschrift Vogue abgedruckt – dass sie “zwischen all den erhabenen Frauen schrecklich aussehen würde”, machte die Künstlerin nach eigenen Worten “überglücklich”.

Die ganze Welt ist Bühne. Und alle Frauen und Männer bloße Spieler.
- Shakespeare, 1599

Auch die anderen zeitgenössischen Künstler, deren Werke in der Ausstellung “Inszeniert!” der Sammlung Goetz und der Kunsthalle zu sehen sind, setzen sich mit der Rolle von Fiktion und (Selbst-)Inszenierung, Spektakel und Rollenspiel auseinander. Die Welt als Bühne – diese Idee formulierte schon Shakespeare in “Wie es euch gefällt”, und auch in Renaissance und Barock inspirierten Bühnenspektakel die bildenden Künstler.
In der Gegenwartskunst ist es selbstverständlich, dass Künstler das Inszenierte, Darstellende in ihr Werk integrieren. Dabei fragen sie nach Identitäten und der Rolle des Zuschauers im Kunstwerk; sie spielen mit dem Illusionismus der Bühne – und werfen gleichzeitig einen Blick hinter die Kulissen unserer Gesellschaft.

In den über 90 Installationen, Filmen, Fotografien und Skuplturen der Ausstellung geht es um das heikle Verhältnis von Sein und Schein. Ein hochaktuelles Thema in der heutigen Zeit, in der wir uns in den sozialen Netzwerken selbst inszenieren und exponieren, ja (un)bewusst bestimmte Rolle spielen.

Der letzte Auftritt

Durch ihre provokativen Maskeraden bricht sie mit unseren gesellschaftlichen Klischees, sie fragt kritisch nach unserer Vorstellung von einem “wahren Ich” und unseren Realitätswahrnehmungen, die zunehmend durch die Massenmedien geprägt werden.

Untitled #299

Ein weiteres Selbstporträt von Cindy Sherman als "Anti-Heldin": Untitled #299

Eine weitere Selbstinszenierung von Cindy Sherman als “Anti-Heldin”.

Neben Cindy Sherman oder auch Jürgen Klauke, deren Fotografien sich mit Identitätssuche und Geschlechterrollen beschäftigen, thematisiert auch das skandinavische Künstlerduo Michael Elmgreen und Ingar Dragset das Rollenspiel. Ihre performativen Installationen eröffnen die Ausstellung und machen den Betrachter direkt zum Akteur. “Der letzte Auftritt” heißt ein Werk, das einen Garderobenspiegel zeigt. Davor befinden sich: ein Schminkpinsel, eine verwelkte Rose, eine rote Pappnase, ein umgefallener Stuhl und – eine von der Decke hängende Schlinge. Dieses Szenario steht für Ruhm und Scheitern, Applaus und Einsamkeit in der ambivalenten Theaterwelt. Komödie und Tragödie sind nicht nur die zwei Seiten des Theaters, sondern auch des Lebens selbst.
Von diesen zwei Seiten erzählen auch die von ihrer eigenen Biografie geprägten Bilder der Fotografin Nan Goldin: Sie zeigen selbstbewusste Drag Queens auf der Bühne und ihre fragilen Identitäten hinter der Bühne.

In den großformatigen Farbaufnahmen von Candida Höfer wird das Theater selbst zum Gegenstand der Kunst: Sie fotografiert menschenleere Opern- und Theatersäle und thematisiert so die Theaterarchitektur als kulturellen und gesellschaftlichen Raum. Den Kanadiern Janet Cardiff und George Bures Miller gelingt es, mit dem begehbaren „Playhouse“ beim Zuschauer die Illusion einer Theatersituation herzustellen. Er sitzt mit Kopfhörern vor der verkleinerten Version einer klassischen Guckkastenbühne, wird dadurch in eine Theateraufführung versetzt und dabei, als Publikum, zu einem essenziellen Element der theatralen Installation.

Staging Silence

Ein anderes Werk wiederum will nicht die perfekte Illusion erzeugen, sondern macht die eigene Inszenierung sichtbar: Im Schwarz-Weiß-Video “Staging silence” von Hans Op de Beeck kann man dabei zusehen, wie aus Kartoffeln, einem Bonsai und einem kleinen Wasserbecken eine Mini-Uferlandschaft kreiert wird. Dabei ist nur die Hand des Künstlers zu sehen, die Wellen auf die Wasseroberfläche föhnt und somit eine fast reale Natürlichkeit inszeniert.
Hände, die über einer Bühne die Fäden ziehen – damit setzt sich auch der österreichische Künstler Markus Schinwald auseinander. Er findet Marionetten, unseren allzu menschlichen Stellvertreter, dafür geeignet, die Seelenzustände der Menschen zu materialisieren – darum bestehen seine Werke aus Puppen, Prothesen und Kleidern.

Die facettenreiche Ausstellung in der Kunsthalle zeigt das Wechselspiel zwischen darstellender und bildender Kunst und erkundet die vielen verschiedenen Strategien von Künstlern, um sich selbst und ihre Welt zu inszenieren. Die vielfältigen Kunstwerke, alle zwischen 1972 und 2013 entstanden, regen zum Nachdenken darüber an, welche Rollen wir tagtäglich selbst spielen, was uns die Medien vorgaukeln und wie Inszenierung und Fiktion unsere Wirklichkeit bestimmen.


In aller Kürze:
Was? Ausstellung “Inszeniert! Spektakel und Rollenspiel in der Gegenwartskunst”
Wo? In der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung
Wann? Von 19. August bis 6. November 2016, täglich 10-20 Uhr
Wie viel? Regulär: 11 € / Studenten: 6 € / bis 18 Jahre: 1 €


Fotocredits:
Jimmy Paulette + Tabboo! im Badezimmer, NYC 1991, Courtesy Sammlung Goetz, München ©Nan Goldin
Untitled #299, 1994, Courtesy of the artist and Metro Pictures, New York and Sammlung Goetz, München ©Cindy Sherman
Last Performance, 2009, Courtesy Sammlung Goetz, München ©Elmgreen & Dragset, VG Bild-Kunst, Bonn, 2016
Staging Silence (2), 2013, Courtesy Sammlung Goetz, München ©Hans Op de Beeck, VG Bild-Kunst, Bonn, 2016

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