Aktuell, Kultur

Mehmet Sözer über die Entfremdung im Theater

Anna-Elena Knerich

Schauspieler sein. Das klingt für viele nach einem Traumberuf, nach blendendem Scheinwerferlicht und minutenlangem Applaus.
In der Realität ist der Schauspielerberuf aber auch sehr hart: Künstlerische Entfaltung und finanziellen Lebensunterhalt unter einen Hut zu bringen, ist schwer, der Konkurrenzdruck groß. Als freier Schauspieler kann man zwar selbst entscheiden, ob man in einem bestimmten Projekt mitwirken möchte, dafür hat man kein konstantes Einkommen. Als fest angestelltes Ensemble-Mitglied an einem Stadttheater hingegen wird man regelmäßig von Steuergeldern bezahlt, muss jedoch pro Spielzeit in über zehn Stücken mitspielen, die andere Instanzen festlegen – oft beeinflusst von wirtschaftlichen Faktoren. Viele Theaterschauspieler fühlen sich dadurch in ihrem künstlerischen Schaffen eingeschränkt.

Für mehr Teilhabe am Theater

Nach mehreren Jahren im Ensemble des Münchner Residenztheaters kündigte der Schauspieler Shenja Lacher vor Kurzem seinen Vertrag – weil er sich den “autokratischen Strukturen” nicht mehr aussetzen wolle, wie er in einem Interview mit der FAZ erklärte.
Mit dieser Meinung ist er nicht allein: Letztes Jahr haben sich Theaterschaffende aus ganze Deutschland zum „ensemble-netzwerk“ zusammengeschlossen, um für bessere Arbeitsbedingungen an den Stadttheatern zu kämpfen. Im Mai dieses Jahres gab es ein erstes Treffen in Bonn, bei dem über probenfreie Samstage, höhere Gehälter und mehr Mitbestimmung diskutiert wurde. Mehmet Sözer (25), Schauspieler am Münchner Volkstheater, war bei dem Treffen dabei und hielt dort eine Rede –  ein „Plädoyer gegen die Vereinzelung am Theater“:

https://vimeo.com/169509541

Das Treffen war im Mai, seitdem wurde viel diskutiert – auch am Volkstheater: Als Intendant Christian Stückl die neue Spielzeit 2016/17 eröffnete, sagte er auf der Pressekonferenz, dass Theater zunehmend nur nach Zahlen – Premieren, Besucher, Einnahmen – bewertet werde und er das ändern wolle. Er sprach sich dafür aus, mehr auf die Regisseure zuzugehen und darauf zu vertrauen, dass das Publikum auch unbekannte Stücke besuchen würde.

Im Gespräch mit MUCBOOK erzählte Mehmet Sözer von der Entfremdung, seinen Wünschen für die neue Spielzeit und was sich durch das ensemble-netzwerk verändert hat

 

1. MUCBOOK: Du sprichst von Unbehagen, Entfremdung und Vereinzelung der Künstler am Stadttheater. Welche konkreten Strukturen lösen dies aus?

Mehmet Sözer: Die Tatsache, dass betriebliche und künstlerische Interessen am Theater weit auseinander gehen: Aus betrieblicher Sicht sollen zum Beispiel soundso viele Premieren aufgeführt werden, die möglichst positive Kritiken und viel Publikum anziehen sollen. Das schlägt sich natürlich auf die Wahl der Stücke aus. Oder dass Regisseure immer zuerst das Stück wählen und dann besetzen – und nicht zuerst die Künstler aussuchen, mit denen sie arbeiten wollen, um dann gemeinsam einen Stoff zu suchen… Das macht in wirtschaftlich-betrieblicher Hinsicht vielleicht auch Sinn, künstlerisch aber überhaupt nicht: Schauspieler erfüllen dabei oft nur Fremdes – und die Entfremdung empfinde ich deshalb als so schmerzhaft, weil ich meine Emotionen, meinen Körper und meine Stimme an etwas verleihen soll, hinter dem ich womöglich gar nicht stehe.

2. Hast Du schon einmal daran gedacht, alles hinzuschmeißen?
Ja, an einem gewissen Punkt in der letzten Spielzeit dachte ich “Das war’s jetzt, ich gehe”. Aber es wäre in meinem Fall eine Ausrede gewesen, einfach zu gehen, ohne zu wissen, was ich eigentlich will – ich denke, auch als freischaffender Schauspieler würde ich mich immer an irgendetwas stoßen. Deshalb will ich jetzt versuchen, mein Unbehagen zu formulieren und meine Umgebung mitzugestalten. Denn ein Ort, der einen von vornherein völlig glücklich macht, ist ja eine Illusion.

3. Dem ensemble-netzwerk geht es um die “Ermündigung von Schauspielern” und auch Du thematisierst ihre Verantwortung. Wie können Schauspieler Deiner Meinung nach mehr in ihrem Theater teilhaben?
Es geht darum, erst eimmal eine gemeinsame schauspielerische Instanz zu werden. Das heißt: Miteinander reden und reflektieren lernen, zusammen Dinge formulieren und für sie einstehen. Auch Selbstkritik ist wichtig – wo haben wir es uns als Stadttheater-Schauspieler bequem gemacht? Und das Reden über Premieren! Nicht nur auf Premieren-Feiern hinter vorgehaltener Hand, sondern ganz offiziell: “Da haben paar Leute von uns was versucht, wie fanden wir das? Und wie können wir das mitteilen und was nehmen wir daraus mit?”

4. Welche Umstände müssten dafür gegeben sein, damit das funktionieren kann? Hältst Du die Ansätze des ensemble-netzwerks für sinnvoll?
Na klar, sehr sinnvoll, mit dem probenfreien Samstag und angemessener Gage ließe sich der Theaterwahnsinns-Alltag etwas regulieren und man käme besser zueinander. Und der Austausch von Schauspielern untereinander sollte vom Theater aktiv unterstützt werden. Im Moment haben unsere monatlichen Ensembleversammlungen ohne Chef-Etage immer noch Underground-Charakter, das soll sich ändern.

5. Shenja Lacher hat wegen dieser Strukturen, die auch Du bemängelst, dem Theater den Rücken gekehrt. Welche Rolle spielt das Theater für Dich?
Zunächst einmal: Ich finde er hat sehr lobenswerte Sachen gesagt und ich kenne natürlich nicht die genauen Umstände, aber es ist schade, dass er geht – und nicht die Strukturen gehen, die ihn dazu bewegt haben.
Theater bedeutet für mich gerade alles. Ich bin privat ungebunden, ich bin weg aus der Heimat und irgendwie hochpubertär. Ich habe das Gefühl, meine gesamte Uneinigkeit mit dem Leben dekliniere ich in meiner Uneinigkeit mit dem Theater durch. Ist das eine Antwort?

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In der neuen Saison will Mehmet wirklich “springen”.

6. In Deiner Rede sagst Du, das „Erfüllen von fremden Ideen“ hat Dich so erschöpft. Was würdest Du gerne „erschaffen“ – in Zusammenarbeit mit dem Ensemble?

Ich hätte gerne, dass wir uns als Ensemble unsere wertvolle Probenzeit nicht von dem ständigen Premierendruck nehmen lassen und uns alle weniger um uns selbst drehen und mehr um die Sache. Die sechs bis acht Wochen Probenzeit und wie wir da miteinander umgehen und welche Stimmung da am Haus ist – das ist doch viel entscheidender als die elf einzelnen Premierentage, an denen wir dann auf der Bühne Dinge behaupten, die wir die vergangenen Wochen nicht einmal im Ansatz gelebt haben.

7. Wie sieht die ideale Probe für Dich aus?
Proben heißt für mich nicht nur “etwas auf die Bühne bringen” – ich habe durch eine Gruppe, ein Stück, einen Regisseur sechs Wochen lang eine bestimmte Brille auf, mit der ich auf die Welt gucke. Das hört nach der Probe ja nicht auf: Wenn ich danach durch München gehe, erlebe ich alles durch diese Brille. Und idealerweise ist das eine intensive Brille mit ergiebiger Perspektive.

8. Was hat sich seit dem Treffen des ensemble-netzwerks bei Euch am Volkstheater geändert?
Wir haben monatliche Ensembletreffen, wir haben vor, die gespielten Premieren konstruktiv zu besprechen und auch produktionsintern wird es Nachbesprechungen geben über die Probenbedingungen. Es geht darum, immer mehr ins Gespräch miteinander zu kommen, vor allem künstlerisch – ohne geschmäcklerisch zu werden. Und irgendwie denke ich, oder wünsche es mir vielleicht auch nur, dass schön langsam ein Bewusstsein dafür entsteht, dass wir innerhalb des Ensembles mehr Verantwortung für uns gegenseitig haben, als irgendwelchen Geldgebern gegenüber, die ja nicht einmal mit auf der Probe sind.

9. Was nimmst Du Dir für die neue Saison vor? 

Ich möchte in der konkreten Arbeit wirklich “springen”. Ich kann sehr gut denken, reflektieren und herumformulieren und vergesse manchmal, mich einfach einzulassen. Und das nehme ich mir jetzt vor. Ich habe ja nicht nur Visionen, sondern bin vor allem lernender Jungschauspieler.

10. Zur Spielzeit-Eröffnung sagte Christian Stückl, dass das Volkstheater bei der Stückauswahl nicht nur die berühmten “gelben Heftchen”, sondern vor allem die Ideen der Regisseure berücksichtigen will. Wie siehst Du das – als Schauspieler?
Was Christian da gesagt hat ist doch toll, je weniger Entfremdung auch auf Seiten der Regisseure, umso besser. Und im besten Fall schlägt sich die Einigkeit des Regisseurs mit seinem Stoff auch positiv auf uns Schauspieler aus.

11. Zum Abschluss: Welches Stück würdest Du gern mal spielen?

„Die bösen Geister“ von Dostojewski.


Fotocredits: © Gabriele Neeb

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