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Der „Día de los Muertos“ in Oaxaca oder warum der Tod Motorrad fährt

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Ein Gastbeitrag von Stefanie Graul

Allerheiligen 2013, genau vor drei Jahren, besuchte ich einen ethnologischen Kongress in Oaxaca, um dort Ergebnisse meiner Forschung zu den Geschlechterbeziehungen der isthmischen Zapoteken vorzustellen.

Bei diesem Kongress über indigene Völker lernte ich Dante García kennen, einen Archäologen, der – selbst indigener Abstammung – durch seine Forschung bestens mit den Gebräuchen in der Umgebung vertraut und den Einwohnern der Dörfer befreundet war. Wir wurden für die nächsten Tage ein unzertrennliches Gespann, und er erfüllte mir nicht nur den Wunsch, einmal mit den Zapoteken bei ihren Toten zu wachen, am Friedhof in einem Meer aus Blumen und Kerzen, sondern wir besuchten auch festliche Umzüge, die sogenannten „Calendas“ und eine „Muerteada“, einen Todesfestzug in der Umgebung. Die nächsten drei Tage verbrachte ich in einem Taumel, einer Art schlafmangelbedingter Trance, da ich frisch aus Europa eingeflogen im Morgengrauen erwachte, um tagsüber den anthropologischen Vorträgen zu lauschen und dann von den rauschenden oaxaqueñischen Toten-Nächten aufgesogen zu werden. Das sind Nächte, in denen alles möglich zu sein scheint, denn unendliche Trauer und Freude gehen eine typisch mexikanische hyperreale Verbindung ein, weil die Toten lebendig werden und die Lebenden sterben.

In Mexiko ist die Nacht mehr Nacht als hier

Das habe ich am zweiten der drei Abende, die ich mit Dante umherzog verstanden: Es war schon dunkel, und ich war an der relativ befahrenen mehrspurigen Calzada de los Heroes de Chapultepec zu Fuß unterwegs. Ich weiß nicht warum, vielleicht ist es die größere Nähe zum Äquator, aber in Mexiko ist die Nacht immer mehr nacht als hier. Dunkler, samtiger, zärtlicher, gefährlicher. Die Schwärze ist im Süden physisch: dickflüssig, umhüllend; undurchdringlich-präsent. Durch diese Nacht fuhr relativ zügig ein schwarz gekleideter Motorradfahrer knapp an mir vorbei: jung, eher sportlich, schwarze Jeans, schwarzes T-Shirt, um an der nächsten roten Ampel, die nur einige Meter vor uns lag, zu halten. Als er die Füße am Boden hatte, wandte er sich zu mir um, sein Gesicht kunstvoll zu einer weiß/schwarzen Totenmaske geschminkt. Und in diesem Moment WAR es der Tod, der mich anblickte. So als stünde ich plötzlich selbst in dem Film, der hier ablief – hineingesogen in eine andere Realität.


Stefanie Graul ist zum einen als Fotografin tätig – zum anderen hat sie sich mit Philosophie und Psychoanalyse beschäftigt und die letzten Jahre Geschlechterforschung im indigenen Mexico betrieben.

 

Das Museum Fünf Kontinente feiert am 30. Oktober den Día de los Muertos mit einem bunten Programm aus Musik, Tanz, Workshops und Vorträgen, darunter auch „Día de los Muertos in Oaxaca – Umzüge, Feste und Altäre. Impressionen einer forschenden Fotografin“ von Stefanie Graul.

Mehr zum Programm hier.


Fotos und Beitragsbild: (c) Stefanie Graul

*Anmerkung der Redaktion: Dieser Artikel erscheint im tagebook, einer Kategorie, die unsere Partner nutzen können, um neue Ideen und Inspirationen in Blog-Beiträgen vorzustellen.

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