Christine Thuermer
Anzeige, f.re.e - Die Reise und Freizeitmesse

„Wer sich unterwegs finden will, hat sich schon verloren“ – ein Interview mit der Bestseller-Autorin Christine Thürmer

f.re.e - Die Reise- und Freizeitmesse

„Und wollten Sie sich jetzt da selbstfinden, oder was?“ diese Frage mit leicht spöttischem Unterton wurde Christine Thürmer in den ersten Jahren oft gestellt. Die Unternehmenssaniererin verabschiedete sich vor zehn Jahren nämlich von ihren 70-Stunden-Wochen und entschloss sich ihr Hab und Gut zu verkaufen um zu wandern. Und zwar durch ganze Kontinente.

Christine Thürmer: eine intensive Mischung aus dem Buch Eat.Pray.Love, dem Film Wild und der Optik einer gemütlichen Hausfrau?

Heute ist die 49-jährige eine von 231 Wanderern weltweit, die die drei längsten Wanderungen geschafft haben.[1] Inzwischen legte sie, die nach eigener Beschreibung eher wie der Typ „gemütliche Hausfrau“ aussieht, insgesamt 30.000 Kilometer Radstrecke, 20.000 Kilometer beim Paddeln zurück und ist mehr als 35.000 Kilometer gewandert. Seit letztem Jahr ist sie außerdem mit ihrem ersten Buch „Laufen.Essen.Schlafen“ in der Spiegel-Bestseller-Liste. Und die beste Nachricht: Sie kommt nach München auf die Reise- und Freizeitmesse f.re.e vom 22. bis 26. Februar um über ihren extremen Lebenswandel zu erzählen und wie es ist, alleine zu reisen.

„Wandern kann jeder Depp“

Wir finden aber es wird schon vorab Zeit zu fragen, wovor die gebürtige Fränkin eigentlich wegläuft.

Christine Thürmer: Ich habe tatsächlich zwei Tritte vom Schicksal gebraucht um den Mut zu finden, mein Leben so radikal zu ändern. Zum einen war das eine unfreiwillige Pause in meinem Job als Unternehmenssaniererin. Ich war 36 Jahre und wurde überraschend gekündigt. Das ist mir damals zum ersten Mal passiert und ich war geschockt auf einmal ohne Arbeit zu sein. Heute weiß ich, dass es gerade in dem Bereich total normal ist.

Zum anderen erlitt ein guter Freund, der circa 10 Jahre älter war als ich, einen Hirnschlag und verstarb drei Monate später im Krankenhaus. Da stellt man sich natürlich die Frage, was hätte er erleben wollen, abgesehen von den unzähligen Bürostunden.

Und ihre Antwort auf diese Frage lautete Langstreckenwandern?

Ich habe mir Jahre zuvor als Jung-Jupi einen schönen Wanderurlaub im Nationalpark in Kalifornien gegönnt und traf dort zum ersten Mal rein zufällig diese Langstrecken-Wanderer. Ich war natürlich fürchterlich neugierig und total begeistert. Diese Typen laufen von Mexico nach Kanada und sehen ganz normal aus. Da dachte ich mir, wenn die das können, dann kann ich das auch. Aber natürlich hängt man seinen guten Management-Job nicht einfach so an den Nagel.

Tja, bis dann diese beiden Zäsuren mein Leben trafen.
Die Ressource Lebenszeit ist einfach die wichtigste im Leben. Nicht planbar und nicht vermehrbar. Also habe ich den Flug in die USA gebucht und habe mich relativ unbedarft an die Mexikanische Grenze begeben um quer durch die USA zu laufen.

Sie sind in der Zwischenzeit noch viel mehr gewandert und haben unzählige Menschen kennen gelernt. Was für Typen gibt es bei diesen „Selbstfindungs-Tripps“?

Ich konnte tatsächlich zwei Art von Menschen ausmachen, die einen mit einer „Hin-zu“-Mentalität und die anderen mit einer „Weg-von“-Einstellung. Klar, letztere flüchten vor ihrem Alltag, der sie gerade nicht glücklich macht. Und ganz ehrlich, wer sich unterwegs finden will, hat sich schon verloren. Mit so widrigen Umständen auf einer Langstrecken-Wanderung klar zu kommen und ein Zusatz-Packet mit Problemen herum zu schleppen, geht in den seltensten Fällen gut. Und deshalb sind die Abbruchraten auch so hoch. Vor sich selbst kann man eben nicht davon rennen. Und die Natur läutert auch nicht, wie es immer so schön in diesen heroischen Filmen dargestellt wird.

Was bedeutet Luxus für Sie?

Heute lebe ich immer zur Untermiete in Berlin, wenn ich in Deutschland bin und besitze kaum noch etwas. Ich habe außerordentlich gut verdient in meinem Job davor. Und davon kann ich es mir heute glücklicherweise leisten, zu wandern und zu schreiben und nicht mehr zu arbeiten. So etwas wie einen schicken Wagen, eine Wohnung in guter Lage, eine große Garderobe oder ähnliches – das hatte ich damals. Aber glücklich hat es mich nicht gemacht.

Und was macht Sie heute glücklich?

Glück ist, wenn Sie elf Tage ohne Proviantnachschub auskommen müssen, ihre letzten 25 M&Ms für die restlichen zwei Tage abgezählt haben und Sie dann einen Schokoriegel von Fremden geschenkt bekommen. Das ist Glück.

Ich sage dazu immer Senkung der Glücksschwelle. Also was brauche ich wirklich? Wasser, Proviant, Wetterschutz und Wärme, das ist es doch eigentlich. Abgesehen von netter Gesellschaft, versteht sich.

Wie kam es zu dem Titel ihres ersten Romans? Haben Sie etwa von Eat.Pray.Love abgekupfert?

Naja es ist ja so, dass diese Langstreckenwanderungen schon immer das Gleiche sind und zwar jeden Tag. Aufstehen, wandern, Platz für die Nacht suchen, kochen. Und das sechs Tage die Woche und wie in der Bibel – am siebten Tag ruhen. Als Quintessenz bleibt eben ähnlich wie bei dem anderen Buch „Laufen. Essen. Schlafen“ – wobei ich mir den Titel schon selbst ausgedacht habe.

Können Sie sich denn nach über 10 Jahren wandern, paddeln, schreiben noch vorstellen in ihren alten Beruf zurück zu kehren?

Ja, kann ich tatsächlich. Also wenn so ein großes Outdoor-Label auf mich zu käme, würde ich nicht nein sagen (lacht). Mir hat mein Job immer unglaublich Spaß gemacht und es war zu keine Zeit etwas wovon ich mich angeekelt abwenden musste. Obwohl es ein extrem stressiger Job war. Aber glücklicherweise habe ich damit so viel Geld verdient, dass ich mir jetzt meinen Lebenswandel leisten kann.

Christine Thürmer spricht auf der f.re.e am:
Donnerstag, 23. Februar 2017:
13:00 Uhr – BR Showbühne, Halle A4
14:00 Uhr – Outdoor Bühne, Halle A6


[1] Zwischen 2004 bis 2008 lief sie den Pacific Crest Trail mit 4277 Kilometer, den Continental Divide Trail mit 4900 Kilometer und den Appalachian Trail mit 3508 Kilometern. Die Trails haben eine Abbruchquote von bis zu 90 Prozent.

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