Aktuell, Kolumnen, So not Munich

Die Menschen zwischendurch

Birgit Buchart

Ich will gerne von einer bestimmten Kleinigkeit schwärmen, die ich hier in New York besonders lieb gewonnen habe. Anfangs war ich oft leicht irritiert davon, mittlerweile aber genieße ich diese Eigenheit und vor ein paar Tagen habe ich mir erstmals die Frage nach ihrer Ursache gestellt. Ich will von den zufälligen Zwischendurch-Bekanntschaften erzählen. Und dabei spreche ich nicht von dem klassischen, oberflächlichen Small-Talk, für den die USA bekannt ist. Ich meine viel mehr tatsächlich ehrliche, ausgedehnte, interessierte und manchmal tiefgehende Unterhaltungen mit Fremden, die überraschend oft passieren. Einfach so. Zwischendurch.

Zwischen Orten und Zeiten.

Zwischen Tür und Angel, zwischen den Haltestellen, zwischen zwei Zeilen meines Buches, aber vor allem zwischen Menschen jeder Art. Zwischenmenschlich. Vielleicht ist das bereits Teil der Antwort, nach der ich suche. Denn zwischen Menschen ist man hier immer – von Morgens bis Abends, zu jeder Sekunde. Wie schon in einem früheren Artikel (Vom Unsichtbarsein) erwähnt, kommt man damit hier nur so gut zurecht, weil sich die Leute hier als Einheit sehen. Als stolze New Yorker, die den fehlenden privaten Raum durch gespielte Ignoranz kompensieren. Eine Art Community, in der jeder auf den Straßen der Stadt zuhause ist. Begegnungen im öffentlichen Raum wirken deshalb oft wie Privatveranstaltungen, als ob jeder jeden kennen würde. Das ist die eine Sache. Die zweite ist die Zeit.

Die Zwischenzeiten sind hier Gold wert.

Dass New York niemals schläft, liegt in erster Linie daran, dass man praktisch rund um die Uhr arbeitet – entweder in einem der vielen Jobs oder an eigenen Projekten, seinem individuellen Traum entgegen. Freizeit suche ich bei den meisten meiner Freunden hier vergeblich, sie ist viel zu knapp. Vielleicht passiert es deshalb so häufig, dass das Warten in der Schlange vom Kaffeehaus mit Gesprächen überbrückt wird. Man nutzt die Zwischenzeiten für das fehlende Zwischenmenschliche. Und weil Small-Talk viel zu wertvolle, verschwendete Zeit wäre, füllt man stattdessen lieber seinen Filterkaffee noch einmal nach und das Gespräch mit Qualität. Die Leute vom Tisch nebenan klinken sich ab und zu mit ein, der Barista lässt zusammen mit der Rechnung einen Kommentar fallen, und plötzlich findet man sich mit einer Hand voll zufälliger Fremden in dieser kostbaren und schönen Seifenblase der Gemeinschaft. Eine Seifenblase, weil sie wie aus dem Nichts entsteht, für eine Weile wunderschön ist, man aber von Beginn an ihrer Vergänglichkeit bewusst ist. Man muss sensibel mit ihr umgehen, um sie so lang wie möglich am Leben zu halten. Für ein paar Minuten, manchmal eine Stunde, schwebt man in ihrer kleinen fragilen Welt, teilt in ihr Doughnuts und Meinungen, bevor sie irgendwann einfach so, ohne Vorwarnung, wieder zerplatzt und jeder seiner Wege geht.

Ich erinnere mich noch an eine Begegnung aus dem letzten Jahr, die mich damals völlig überforderte. Ich saß im Washington Square Park und las Patti Smiths „M-Train“ auf einer Parkbank, als mich plötzlich ein junger Mann ansprach und fragte, ob ich ihm ein bisschen vorlesen würde. Ich war vollkommen überrascht von seiner Frage, die so normal klang, wie „Ist der Platz hier noch frei?“. Mittlerweile, nach etlichen weiteren Begegnungen dieser Art, würde ich seiner Bitte ohne zu Zögern nachkommen. Mein Schamgefühl gegenüber fremden Menschen hat sich weitgehend verflüchtigt und Platz gemacht für ein neues, spannendes Gefühl, das auf eine seltsame Art und Weise Freiheit und Selbstvertrauen vermischt. 

Die Liebe zu vergänglichen Bekanntschaften

Es sind Momente, egal wie kurz oder lang, die man mit einem völlig Fremden teilt. Momente, in denen man Meinungen und Ansichten außerhalb des eigenen Freundeskreises erfährt und vielleicht gerade wegen der Tatsache des Fremdseins überraschend ehrlich die eigenen in die Welt hinausruft.

Vor ein paar Tagen saß ich in der Sonne vor meinem Stamm-Café und geriet in eine dieser Seifenblasen. Klar, manchmal fliegen sie auch einfach so über einen hinweg und man sieht gar nicht richtig hin. Aber an diesem Nachmittag in der Sonne, fand ich sie ganz besonders schön und wusste ihre fragile Natur zu schätzen. Durch Zufall geriet ich in ein Gespräch mit einem Mädchen Mitte Zwanzig. Wir unterhielten und gut und lange, sie erzählte mir die Geschichte ihrer letzten zwei Jahre – die Geschichte einer Krankheit. Von der Diagnose, über die folgende Arbeitslosigkeit bis hin zu diesem Tag, an dem sie sich das erste Mal wieder fit fühlte und raus in die Welt wollte, die sich monatelang vor ihren verschlossenen Fenstern abspielte. Es war ein Gespräch, das ich wahrscheinlich nie vergessen werde, während ihr Name und Aussehen bereits langsam in meiner Erinnerung verblassen. Ihre Geschichte, und die Offenheit mit der sie sie erzählte, hat mich zum Nachdenken gebracht und so einiges gelehrt. Im Gegenzug schenkte ich ihr meine Aufmerksamkeit und die aufmunternden Zusprüche, die sie an diesem Tag vermutlich in der Stadt zu finden hoffte. Zwischendurch eine Seifenblase.

Grand CentralFotocredit: Birgit Buchart

No Comments

Post A Comment

Simple Share Buttons
Simple Share Buttons