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Aktuell, Kunst, Stadt

Ich hatte ein Rendezvous mit Loomit, oder so was in der Art

Susann Westhoff

München mit dem Radl zu erkunden, ist ja generell eine feine Sache. Aber Münchner Street-Art-Hotspots auf diese Weise aufzusuchen? Genial. Sich mit anderen Augen durch eine Stadt zu bewegen, die man in und auswendig zu kennen glaubt, eröffnet ganz neue Perspektiven. Aller Vertrautheit zum Trotz überrascht uns München doch immer wieder gern. Nun also mit Street Art. Ja, Street Art, denn Graffiti war gestern und erscheint mir doch zu dreckig und versaut für das, was sich hier entwickelt hat. Weit mehr als Schmiererei! Ich habe mich vorab informiert, mir Reportagen und Publikationen angesehen und Stunden in bisher nicht betretenen Abteilungen der Buchhandlung meiner Wahl verbracht. Und so fangen sie an, diese Geschichten, die mein kleines feines Wissen über diese Stadt erfrischen.

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Abseits auf den Trampelpfaden

Eben noch die alten Meister in der Pinakothek bewundert, jetzt lebhafte Kunst auf der Straße. Ein Stilbruch der besonderen Art. So, wie ich es liebe: Unvorhersehbar, aufregend, anders. Ich besitze wohl ein angeborenes Talent dafür, mich schnell mitreißen und begeistern zu lassen. Vieles hatte ich schon ausprobiert und studiert, aber dabei vom (rechten) Weg abzukommen, habe ich mich bislang nicht getraut. Good Girl gone bad: Ein unschuldiges Madl auf Abwegen, um die illegal entstandenen Ausführungen der Kunst der Gegenwart zu finden. Ich fühle mich ganz wunderbar verdorben, weil ich meinen Enkeln nun doch noch von Omas kleinen Jugendsünden erzählen kann. Leider bleibt es bei einer reinen Illusion. Diese Führung hätte nie stattfinden können und meine Kamera nicht gezückt werden dürfen, wären alle Arbeiten nicht legal entstanden. Innerhalb der Szene eine große Debatte: Legale Street Art oder Street Art im Museum – darf sich das dann überhaupt noch Street Art nennen? Ist das noch Subkultur oder nicht doch schon längst Mainstream? Der Grad ist sehr schmal, der Einzigartigkeit und Individualität vom Hype trennt und somit auch vom Verlust des Nischendaseins und aller Exklusivität.

Dass Blicke unter Brücken aber auch durchaus sinnvoll sein können, weiß mein kundiger Street-Art-Experte und Stadtführer Martin Arz. Kunst sei Kunst. Egal wo. Sein feiner und aufmerksamer Blick führt uns, sowohl im belebten Teil der Stadt als auch an der ruhigen Isar, zu Orten, die ihre Seele erst offenbaren, wenn man ihnen Zeit und Aufmerksamkeit schenkt.

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Das bekannte Unbekannte

Im Grunde wird hier nichts neu erfunden oder gelackt präsentiert. Vielmehr ist es doch so: Wir rauschen und hasten an allem vorbei. Keine Zeit, irgendwann vielleicht, oder auch nie. So entgehen uns die Geheimnisse unserer Stadt, diese lieben kleinen Details, die sie einzigartig und außergewöhnlich machen. Sorry an alle, deren idyllisches Bild von München nun ins Wanken gerät, doch mit dem Saubermann-Image ist es jetzt vorbei. Denn wer hat’s erfunden? Die Münchner! Versteckte, dunkle Geheimnisse kommen früher oder später eben doch ans Licht. Das Feuer meiner Amour Fou mit München wird neu entfacht. Find ich gut und ein wenig stolz darf man da schon sein. Endlich, und ganz von der Regel abweichend, ist es nicht das große, prominente Berlin, sondern die bayrische Metropole an der Isar, die das gesamte Street Art Potenzial in Deutschland freigesetzt hat.

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Ich zähle mich zum Kreis der Auserwählten, die das Glück haben, dieses Fünkchen Exklusivität erleben zu dürfen. Hier sind sie zum Greifen nah, die großen Stars der Münchner Street Art Szene. Natürlich hätte ich ihnen mehr kostbare Minuten meiner Zeit gewidmet, würde es sich nicht überaus kompliziert und knifflig gestalten, sie näher zu betrachten. Denn es ist wieder diese Zeit: Samstag, Wetter top und der Isarradweg brummt. Stehenbleiben? Nur unter Einsatz meines Lebens. Aber was tut man nicht alles für eine gute Story. Man muss die Dinge eben durchziehen. Aber jetzt ist mir auch klar geworden, wie facettenreich doch die Sammlung bairischer Flüche und Schimpfwörter sein kann. Mein Sprach-Repertoire sagt Danke!

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Schon sehe ich mich die Frauenkirche Hippie-pink lackieren und unserer lieben Bavaria einen feschen neuen Look verpassen, doch so klar wie meine Spinnereien sind, ist auch die schöne Summe an Geld, die ich für mein Vergehen blechen müsste. Das ist eine Tatsache. Die Geschichten hinter den Street-Art-Werken vor meinen Augen sind das, was sie immer sind: Mehr Fantasie als Wahrheit. Es hat etwas sehr berauschendes, über nächtliche Überschreitungen der Gesetzesgrenzen zu fantasieren. Andererseits erscheint die Vorstellung einer Stellenanzeige à la „Brave Stadt sucht gesetzestreuen Spraydosen-Künstler, männlich, Mitte 50, mit Hang zu anschaulichen Motiven für die Verschönerung unserer Stadt. Bevorzugt frei von politischen Ansichten, Radikalität oder jeder anderen Form unschicklicher Meinungsäußerung“ doch auch skurril. München kann es sich halt leisten, Street Art zu bezahlen und davon profitieren letztendlich auch die Künstler. Dennoch: Ist das die Art von Wertschätzung, die Street Art braucht?

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Legal, aber alles andere als alltäglich

Die, die aber hier gearbeitet haben, haben sich nicht heimlich nachts getroffen, um in aller Eile ihre Duftmarke zu hinterlassen. Alles legal, von der Stadt finanziert und ohne jeglichen verbotenen Reiz. Da hätten wir zum Beispiel die Stadtwerke, die den öden Einheitslook ihrer Werkshäuser wohl satt hatten. Und so strahlen sie uns nun entgegen, Bieber, Elefant und Co. Am schönsten dabei ist für mich aber das Bild aller enttäuschten Polizisten.  Auch für die meisten Werke entlang der Unterführung am Friedensengel und an der Außenfassade des Muffatwerkes haben Münchner Künstler Geld gesehen, denn die Stadt München verfügt über ein eigenes Budget nur für Street Art. Street Art scheint endlich den Respekt zu erhalten, der ihr als eigene Kunstgattung gebührt.

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Aber München wäre nicht München, wenn es nicht doch noch etwas gäbe, das typisch bayrisch daherkommt. Es ist ja nicht schlimm, keine Ahnung von Street Art und den namenhaften Künstlern der Szene zu besitzen. Schließlich kann man nicht alles wissen. Aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass es gut ist, von Dingen meine Finger zu lassen, von denen ich keinen blassen Schimmer habe. Und was macht der Münchner? Er sprüht drüber. Statt Loomit nun also „F*** Abwertung“, Mona Lisa gepaart mit FC-Bayern Sticker. Denn wer will schon Berlin, wenn er München haben kann. Da ist es wieder, die Liebe zur Tradition, das eingefleischte Mia san Mia.

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Subkultur, ein böses Wort

München hat Subkultur, aber will es das auch? Frauenkirche, Viktualienmarkt, Englischer Garten und Co. sind ja immer wieder nett, aber ist es nicht eigentlich an der Zeit München neu zu definieren? Da ist mehr. Viel mehr. Und wäre es nicht ein Verlust, seine Augen scheinheilig vor der Wahrheit zu verschließen und das neue, subkulturelle, andersartige München zu verdrängen? Street Art ist ein Teil davon. Ein völlig neues Bild abseits der Postkarten-Bilder und dem Hashtag #typicalmunich. Ob Konformität oder Eigenwilligkeit, in oder out: Was darf in München und was darf nicht? Ich ärgere mich, überhaupt darüber nachdenken zu müssen. Es tut oft gut, dass es so ist wie es ist. Bewährtes gibt Sicherheit. Kann manchmal aber auch ganz schön langweilig sein. Bitte kein Schwarz-weiß-Denken mehr. Ich schwelge im Rausch der Isar in der Sommersonne, der Blasmusik zur Brotzeit und liebe das Laissez-faire der typischen Café-Sonntage in der Innenstadt, aber genauso sehr bringen Independent-Konzerte im Kreativquartier, Feierabend-Drinks im Container Collective und Nachtflohmärkte in Off-Locations mein Herz zum Schlagen. Es ist ein Trugschluss, zu glauben, es gäbe DIE Kunst oder DAS München. Vielmehr sind es viele Details, die sich zu etwas Großem zusammenfügen. Die Summe aller Facetten, das kunterbunte Potpourri ist das, was alles lebendig werden lässt. Bewegung und Entwicklung. Immer weiter, weiter, weiter.

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Ich bin glücklich, denn ich bleibe immer noch rastlos, Neues zu entdecken. Street Art, ein Kapitel dieser Stadt. Und so enden sie, diese Geschichten, die meinen Blick auf diese Stadt völlig verändern.

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2 Comments
  • Max
    Posted at 08:23h, 18 Juni

    Toller Artikel Susann! 🙂

  • Chris Kraus
    Posted at 14:48h, 19 Juni

    Warum stellt man sich als Tour Guide posend mit verschränkten Armen vor ein Graffiti? Typisch München
    Etwas überheblich, oder ist das Wandgemälde von ihm?

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