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Oberflächlichkeit und Instagram – das war das Wanderlust-Festival 2017

Natalie Adel

Achtsamkeit, Yoga, Mindfulness – das alles sind Begriffe, die sich in den letzten Jahren ins kollektive Gedächtnis der urbanen Großstädter eingeschrieben zu haben scheinen. Mittlerweile hat fast jeder seine eigene „Morning-Routine“ entwickelt, bemüht sich im Meditieren und besucht trendige Yoga-Studios.

Das bleibt natürlich auch von den großen Unternehmen und Sportartikelherstellern nicht unbemerkt.

Mindfulness und Adidas-Shirts? Willkommen auf dem Wanderlust-Festival.

Es ist Sonntag Morgen um acht Uhr, als ich mich aufs Rad schwinge, um im Olympiapark an einem Mindful-Triathlon teilzunehmen. Laut Veranstaltungstext werde ich hier einen „Tag voller Leichtigkeit, Inspiration und Transformation“ erleben. Klingt doch gut! Immerhin soll es nicht um Bestzeiten, sondern um Austausch gehen.

Auf dem Festivalgelände am Olympiaturm angekommen, stelle ich mich an eine der langen Schlangen am Check-In an. Vor mir zwei Mädels, denen aufgefallen ist, dass fast nur Frauen an diesem Triathlon teilzunehmen scheinen. „Für Männer ist Yoga auch nicht so einfach. Die sind da einfach anders“. Aha. Immerhin, die eine hat ihren Freund schon ein paar Mal mit ins Yogastudio genommen und es scheint ihm gefallen zu haben – allerdings kann er das seinen Freunden nicht erzählen und hat deswegen wieder aufgehört.

Die beiden scheinen sich noch nicht sehr viel mit der Yoga-Philosophie auseinandergesetzt zu haben. Damit passen sie perfekt auf dieses Festival. Man könnte die versprochene Leichtigkeit auch durch den Begriff der Oberflächlichkeit austauschen, Inspiration durch Instagram und die Transformation?

Nun ja, wer sich dadurch transformieren möchte, indem er ein neues Outfit kauft, dem stehen hier alle Türen offen.

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Der Versuch eines Instagram-tauglichen Fotos – Check!

Pics or it didn’t happen!

Es geht los mit einem Lauf über 5 km, die eigentlich keine 5 km sind, sondern etwas weniger. Roger Rekless, der Animateur der Veranstaltung, rappt noch ein bisschen vor sich hin, bevor es nach einem an Step-Aerobic erinnernden Warm-Up gemütlich trabend durch den Olympiapark geht. Für das gesamte Event scheint das eigentliche Mantra zu lauten: Pics or it didn’t happen. Man kann sich unterwegs vor einer Fotowand fotografieren lassen. Ein extra engagiertes Trommel-Team soll dafür sorgen, dass kein Mundwinkel nach unten zeigt und alles schön im Flow bleibt. Die nötige Portion an Hippie-Klischees ist also auch erfüllt.

Nun denn: Smile!

Auch während der anschließenden 75- Minütigen Yoga-Stunde laufen aufgeregt knipsende Fotografen durch die Yogamachende Meute. Mady Morrison, die vor allem für ihren Instagram-Account und ihren Youtube-Channel bekannt ist, auf dem sie kostenlose Yogaflows anbietet, leitet durch den Vinyasa-flow. In der knallenden Mittagshitze ist das eine anstrengende Angelegenheit. Immerhin geht es jetzt endlich mal ums Yoga, nachdem wir uns warum auch immer, zunächst eine Aufführung von den BREAKLETICS anschauen mussten. Nach Freeletics ist das jetzt wohl der allerneuste Fitnesstrend. Wer sich davon überzeugen möchte, hatte den ganzen Tag über Zeit, sich einem ihrer Workouts anzuschließen und sich der Effektivität zu vergewissern. Nun ja.

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Atmen mit Curse

Nach der (zugegebenermaßen sehr schönen) Yogastunde mit Mady übernimmt Curse die 30-minütige Meditation. Der Rapper, welcher vor einigen Jahren zum Buddhismus konvertiert ist und als systemischer Coach arbeitet, leitet uns an, auf unseren Atem zu achten. Seine Stimme ist sehr angenehm und man spürt, dass er weiß, was er da tut. Viele der TeilnehmerInnen scheinen das weniger gut zu wissen. Manche sind genervt und legen sich irgendwann einfach auf ihre Matte, da sie das lange Sitzen nicht mehr aushalten. Dafür sind auch hier die Wanderlust-Fotografen wieder im vollen Einsatz und knipsen die angenehme Ruhe einfach weg. Mindfulness? Nur, wenn es auch Fotos davon gibt!

Danach darf wieder Roger Rekless ans Mikrofon, (bzw. ans Mic – man spricht Denglisch auf dem „Wonderlast“-Festival) und rappt irgendeinen Text, indem ganz viel „Namaste“ vorkommt. Nun beginnen die Side-Events, für die man sich vorab schon anmelden konnte. Von Makramee-Knüpfen, Acro-Yoga, Aerial-Yoga bis hin zur Thai-Massage ist alles dabei. Für den Möchtegern-Hippie-Touch kann man sich auch die Arme bunt anmalen lassen. Und sich die Haare für den „Yoga-Look“ flechten lassen. Sehr inspirierend.

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Was hätten die alten Yoga-Meister nur von uns gedacht?

Als sich das Festival dem Ende zuneigt, sind plötzlich alle verschwunden. Ich steige wieder auf mein Rad, bin um eine Makramee-Blumenampel und einige Erkenntnisse reicher. Es ist traurig, was alles aus dieser uralten Yoga-Philosophie gemacht wird, das hat mir das Wanderlust-Festival ganz explizit vor Augen geführt. Wer eine extra Buddha-Fotowand aufstellt und mit Adidas kooperiert, dem scheint es mehr um Selbstinszenierung als um Selbsterkenntnis zu gehen. Wie achtsam kann man schon sein, wenn man Kleidung unterstützt, die unter den übelsten Bedingungen irgendwo in Asien hergestellt wird? Dort, wo das Yoga seinen Ursprung hat?

Zuhause angekommen, scrolle ich durch meinen Instagram-Feed. Alle Yogalehrerinnen berichten begeistert von der tollen Energie und dem wunderbaren Wanderlust-Festival, posten fleißig Bilder irgendwelcher abgefahrener Asanas unter dem Wanderlust-Schild. Ich bin etwas verwirrt  – müssten nicht gerade sie es besser wissen? Auf diesem Festival geht es nicht um Yoga, nicht um Meditation oder ein erfülltes Leben – es geht wieder einmal nur darum, wie sich Produkte am besten verkaufen lassen.

Das kann man unterstützen oder sich schönreden und trotzdem eine tolle Zeit haben – man kann es aber auch einfach sein lassen.


Fotos: © Natalie Adel

1Comment
  • Maren Kuntze
    Posted at 01:24h, 17 Januar

    Danke für deine Worte. War zwar selbst nicht da, aber wundere mich fast täglich über die Absurditäten unseres Kapitalismus-Yoga

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