Aktuell, Kunst

Adam und Eva in Sodom und Gomorrah: Sebastian Pohl im Interview zum neuen Mural an der Corneliusstraße

Jan Krattiger

Mucbook: Seit dieser Woche ist das Werk von liqen am Gebäude der Stadtwerke in der Corneliusstraße fertig. Wie kam es überhaupt dazu? Warum diese Wand? Warum dieser Künstler?

Sebastian Pohl: Warum ausgerechnet diese Wand? Ganz einfach, weil es uns als Kunstverein ein wichtiges Anliegen ist, reflektierte Kunst der wichtigsten Akteure der Street-Art Bewegung an Orten zu zeigen, an denen sie vor allem unerwartet Menschen unterschiedlichster Herkunft und Alters erreicht und damit im Idealfall zum öffentlichen Diskurs anregt. Denn das ist unserer Auffassung nach auch der Anspruch an relevanter Kunst, die nicht nur aufhübscht oder unterhält, sondern vor allem in der Zukunft und somit auch der Geschichte eine Rolle spielt.

Diese Fläche ist uns bereits 2013 ins Auge gestochen. Jedoch war es, wie eigentlich bei fast jedem unserer Projekte, ein jahrelanger Kampf gegen Windmühlen, bis wir Ende 2015 dann endlich die Genehmigung für die reine Nutzung der Fläche in der Hand halten konnten. Auf diesem Weg wurden wir vor allem durch Patricia Müller, die zuständige Fachreferentin für Street-Art im Kulturreferat sowie durch Kulturbürgermeister Josef Schmid unterstützt. Bürokratisch war das allerdings nur der erste Schritt. Wir mussten außerdem noch etliche andere Behörden von unserem Vorhaben überzeugen, so u.a. auch die Denkmalschutzbehörde, da auf Flächen im Innenstadtbereich Ensembleschutz besteht.

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Was den Künstler für so eine prominente Fläche angeht, so war uns von Anfang an klar, dass dies eine nicht zu unterschätzende Herausforderung sein wird. Denn während viele sich bei so einem grauen Klotz denken „Hauptsache bunt“, ist dies kein Ansatz den ich als künstlerischer Leiter von Positive-Propaganda bei meiner Arbeit verfolge. Wie schon bei BLU’s Mural am Königsplatz oder ESCIF’s Werk am Hauptbahnhof bewiesen, ist eine reflektierte Auseinandersetzung des Künstlers mit der Umgebung an solch einem prominenten Ort massgeblich für die dort entstehende Kunst.

LIQEN, der uns für dieses Mural bereits vergangenes Jahr, im Anschluss an die Realisierung seines Beitrags für die Dokumenta in Kassel, erstmals in München besucht hat, brachte genau diese notwendige Sensibilität für einen solches Herausforderung mit. Er arbeitet nicht nur technisch auf höchstem Niveau, sondern verstand auch sehr schnell, um was für einen Ort es sich handelt.

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Mucbook: Das Kunstwerk hebt quasi den Stadtboden hoch auf vier riesige Flächen, zu sehen sind – neben ganz vielen Details – Ameisen, eine Taube, ganz viel Müll. Und als Hauptaugenmerk ein Mann und eine Frau, die Köpfe zugebaut mit elektronischen Geräten, die sich gleich küssen. Kannst du etwas zur Entstehung des Inhalts sagen und zur Intention des Künstlers?

Das interessante heutzutage ist doch, dass mittlerweile alles, was irgendwie im öffentlichen Raum geschieht, als Street-Art und Mural-Art betitelt wird. Dabei handelt es sich bei den meisten Arbeiten entweder um dekorative Auftragsarbeiten mit subversiven Touch, die als freie Kunst interpretiert werden, oder um die willkürliche Umsetzung einer Skizze, die irgendwann, irgendwo entstanden ist und nun, weil es sich gerade anbietet, auf eine Wand übertragen wird.

Und genau hier ist der Unterschied zwischen den leider wenigen Akteuren der Street-Art Bewegung und den seit Banksy’s „Exit through the Giftshop“ im Jahr 2010 wie Pilze aus dem Boden sprießenden Urban-Artists.
So hat sich Liqen zuvor über mehrere Tage mit dem Viertel, den dort angetroffenen Menschen und vor allem mit dem, was sich dort abspielt auseinandergesetzt. Wobei vermutlich auch das Warten auf den Bus an dieser Ecke der Stadt ausreicht, um zum verstehen wie der Künstler auf diese Idee gekommen ist.

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Während Obdachlose in Mülleimern nach Pfandflaschen suchen “um zu überleben“, feiert eine hedonistische Jugend davon unberührt den geerbten Wohlstand und hinterlässt den Gärtnerplatz Abend für Abend als Müllhalde, bis die fleißigen Arbeiter kommen um ihn für den nächsten Tag zu säubern.

Und während Menschen aufgrund eines zunehmenden, globalen wirtschaftlichen Ungleichgewichts im Mittelmeer ertrinken, trinken wir genussvoll eine Flasche Rotwein, oder eine Dose Coca Cola, während Konzerne wie die Coca Cola-Company, Nestlé oder Danone sich weltweit das Trinkwasser der wirtschaftlich ärmsten Länder dieser Welt unter den Nagel reissen.

Und zwischen all dem das moderne Bildnis von Adam und Eve, die ihren Alltag, egal ob im Bus, im Straßenverkehr(!), auf dem Fahrrad oder zu Fuß, von der Außenwelt abgeschirmt, mit Kopfhörern auf den Ohren, ununterbrochen auf das Display ihres Smartphones starren, um vom richtigen Leben so wenig wie möglich mit zu bekommen.

Ein älterer Herr (75), der im Haus gegenüber wohnt, meinte zu uns nur: „Das ist genau die Welt in der wir leben! Das erschreckende ist allerdings, dass, wie uns die Geschichte zeigt, Dekadenz und Ignoranz das Ende einer Gesellschaft sind.”

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Mucbook: Ihr seid ein gemeinnütziger Verein und sehr bemüht um Unabhängigkeit. Kein leichtes Unterfangen in der heutigen Kunstlandschaft, oder?

Das interessante an der heutigen Kunstwelt ist tatsächlich, dass viele „Künstler“ und vor allem Institutionen, anstatt inhaltlich relevante Kunst zu schaffen, lieber auf das vermeintlich schnelle Geld setzen und somit von Berlin bis München in erster Linie Artvertorials zu sehen sind, in denen Uhren, Autos oder Produkte von bekannten Getränkehersteller angepriesen werden.

 

 

Aus diesem Grund haben wir uns bereits zu Beginn des „Projekts“ Positive-Propaganda dazu entschlossen, im Sinne der Street-Art Bewegung, die Kunst frei von den Interessen Dritter zu halten und uns rein auf ideelle und gemeinnützige Finanzierungen festgelegt. Diese Intention, sowie die damit auch einhergehende hundertprozentige Freiheit der Kunst, war seither auch der Grund, warum es seit vielen Jahren gelingt, mit den wichtigsten Künstlern der Gegenwart zusammenzuarbeiten. Während andere Institutionen sich lediglich mit den Namen dieser Künstler schmücken, jedoch mit Ihnen nie persönlich zu tun hatten.

Schaut man sich daher heute an, wofür der Begriff Street-Art steht, so wurde die heutige Definition à la Google Translate – bis auf sehr wenige Ausnahmen – durch Menschen geprägt, die sich durch das Prädikat Street-Art in erster Linie finanziell bereichern wollen. Das bedeutet nicht, dass Geld grundsätzlich etwas schlechtes ist. Geld kann als Werkzeug genutzt werden, um damit sehr gute Dinge zu machen. Jedoch ist die Gier der meisten dann leider doch größer als der ideelle Antrieb.

 

 

Was uns als Kunstverein sehr freut, ist dass durch unsere gemeinnützige kulturelle Arbeit nicht nur die Donnersberger Brücke für Münchner Graffiti-Sprayer freigegeben wurde, sondern dass seit 2016 durch den Münchner Stadtrat jährlich insgesamt 180.000 € zur Verfügung gestellt werden, für die lokale Graffiti-Szene sowie die internationale Street-Art, für freie und vor allem unkommerzielle Projekte. Im vergangenen Jahr waren es 110.000 €, die damit allein der lokalen Szene zur Verfügung standen.

Die große Frage, die sich uns seit geraumer Zeit allerdings stellt, ist ob die Szene die Freiheit, die ihnen diese gemeinnützigen Mittel bieten, auch versteht, nachdem viele der seither entstandenen Projekte leider eher an Auftragsarbeiten als an freie Kunst erinnern. Wir sehen das Ganze dennoch optimistisch und versuchen weiterhin, mit unseren Werken auch über die Kunstwelt hinaus Menschen mit unseren Arbeiten und Projekten zu inspirieren.

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Mucbook: Zurück zu Liqen, wie lange wird das Kunstwerk da zu sehen sein?

Als gemeinnütziger Kunstverein ist es uns enorm wichtig, nachhaltig zu denken und daher auch nachhaltige Projekte zu realisieren. Wie bereits beschrieben, ist das auch der Grund dafür, dass unsere Projekte in ihrer Entstehung auch Zeit brauchen. Daher verstehen wir die geschaffenen Werke nicht als temporäre Verzierung, sondern als langfristige Sehenswürdigkeiten und Denkmäler, welche die Stadt nachhaltig prägen und aus ihrem spiessigen Image herauskatapultieren könnten.

Zumal kaum einer bemerkt hat, dass München durch Positive-Propaganda e.V. aktuell als einzige Stadt in Europa originale Werke der wichtigsten Akteure der internationalen Street-Art Bewegung hat. Stattdessen wird vor allem aktuell gebetsmühlenartig wiederholt, dass München einst die europäische Metropole der Graffiti-Kultur war. Das ist aber auch schon seit gut zwei Jahrzehnten Geschichte, und bereits totgeglaubte Legenden, deren Werke man vor allem in Form von Werbegraffiti öffentlich wahrnehmen kann, werden als das Comeback der Subkultur gefeiert.

So braucht das neokonservative München vermutlich erst weitere zwanzig Jahre und weltweit ein dutzend renommierter Museen mit Ausstellungen von KünstlerInnen wie Shepard Fairey, Mark Jenkins, Blu, Escif und aktuell Liqen, bis erkannt wird, dass manches, was mal da war und bis dahin schon wieder weg ist, wie u.a. auch einzigartige Architektur und kleine alteingesessen Läden, eigentlich den Charme der Stadt ausgemacht hat.

 

 

 

Mucbook: Nach dem Kunstwerk ist vor dem Kunstwerk, was steht als nächstes auf dem Plan für Positive Propaganda?

Tatsächlich befinden sich bereits andere Projekte im öffentlichen Raum für dieses Jahr in Vorbereitung. Außerdem sind durch unser im Februar diesen Jahres gestartetes “Artist in Residence Program” mehrere Ausstellungen für die kommenden Jahre in Vorbereitung.  Da es allerdings den meisten unserer Künstler ein wichtiges Anliegen ist, ihre Werke nach Möglichkeit anonym und ungestört zu realisieren, empfehlen wir interessierten Leserinnen und Lesern, uns auf Facebook und Instagram zu folgen – dort kann man beinahe in Echtzeit mitbekommen, wenn was neues entsteht.

Alternativ dazu möchte ich allen Münchens erste offizielle und vor allem kostenlose Street-Art Map empfehlen, um damit selbst auf Entdeckungsreise zu gehen.
Diese könnt ihr über das Kulturreferat sowie über unsere Facebook-Seite erhalten.

Außerdem arbeiten wir gerade an der Foto- und Film-Dokumentation zu diesem Projekt … auch dazu auch in kürze mehr via Facebook!

Mucbook: Danke für das Gespräch!

Fotos: © Alexa Edelsbrunner / Jan Krattiger

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