Kultur, Nach(t)kritik

„Ich werde weinen, wenn du lachst“ – Sarah Kane in den Kammerspielen

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Gleich drei der fünf Dramen der Autorin Sarah Kane feierten am Samstag in den Kammerspielen Premiere: Gesäubert, Gier und 4.48 Psychose. Im Angesicht der verstörenden Welt, wie sie in Kanes Theater auftritt, floh sich Intendant Johann Simons in eine Kinderstube, in der der Peiniger Tinker (in Gesäubert) seine Opfer in Schulmädchenuniform quält. Leider flohen die Schauspieler ebenso vor den Figuren…

„Und wenn ich’s nicht fühle, ist es sinnlos“

4.48 Psychose 5 (Ges‰ubert)

Weiße Papierzylinder hängen über dem spiegelblanken Bühnenboden, auf dem sieben Figuren in einer Stuhlreihe Platz genommen haben (Bühne: Eva Veronica Born).

In Gesäubert, dem Auftakt zum heutigen Abend, verstümmelt Tinker (Annette Paulmann) in einer Art Experiment die anderen Figuren, maskiert als Kinderspiel. Die Antwort auf die Frage „Was würdest du ändern?“: „Meinen Körper, damit es aussieht, wie es sich fühlt“ – scheint paradigmatisch für die verstümmelten Figuren, die unter Erniedrigungen an die Grenzen ihrer Liebe getrieben werden. Heraus sticht hier sofort Sandra Hüller, die die Frau in der Peepshow als Mädchen mit Haaren vor dem Gesicht spielt, das Mamas Schuhe anprobiert hat und ungelenk versucht, anziehende Bewegungen zu machen.

„Hörst du manchmal Stimmen?“ – „Nur wenn sie mit mir sprechen“

4.48 Psychose 2 (Gier)

C, M, B und A sitzen wie zum Kaffeeklatsch auf Stühlen und plaudern in farbenfroher Tracht über ihre Unfähigkeit mit dem Leben umzugehen. – Gespielt wird: Gier.

Erinnern und Verdrängung, Liebe, Verwundbarkeit und Sehnsucht sind die Motoren der Stimmen, die mit einer durch Missbrauch und Gewalt traumatisierten Vergangenheit umgehen, die sie zum Wunsch des Selbstmords treibt. Ihnen ist die Möglichkeit einer Lösung dieses Zustandes verwehrt, da sie sich dafür zu sehr von der Welt und von sich selbst entfremdet haben.

–Wer hätte gedacht, dass man diesen Text so umsetzen kann! Die Schauspieler verhöhnen die schmerzhafte Dringlichkeit des Textes, verharren in distanzierter Haltung zur Sprache, sodass man sich fragen muss, wozu sie den Text überhaupt sprechen, wenn er ihnen so abgeht.

Gier wird mit einem treffenden Bild beschlossen: der Himmel fällt herab. Aus dem Stimmengewirr soll im nächsten Teil eine komplett in sich gekehrte Figur werden.

4.48 Psychose 3 (Gier)

Es beginnt zu regnen und die Papierzylinder zerreißen, fallen zu Boden und hängen in Fetzen herab. In diesem gefallenen „Paradies“ beginnt mit 4.48 Psychose nach der Pause eine Untergangssymphonie, die von ein paar Streichern und einem Piano begleitet wird.

„Körper und Seele – Das passt nicht zusammen“

4.48 Psychose 7 (4.48 Psychose)

Thomas Schmauser liest die Stimmen eines Bewusstseins, das sich vollkommen von sich selbst entfremdet hat und sich nach dem Selbstmord sehnt. Der einzige Moment von Klarheit, 4 Uhr 48,  währt nur kurz. Wo vorher jeglicher Pathos ausgespart wurde, wird er hier in der Romantik eines schwarz gekleideten Intellektuellen, der sein Tagebuch verliest, überspannt karikiert.

Schmauser nimmt bisweilen eine distanzierte Haltung zum Text ein, wenn zum Beispiel das Fluchen, wie eine ganz absonderliche Unart vorgelesen wird, als wäre es so abartig „Fick dich“ auf der Bühne zu sagen, nachdem man vorher mit Exkrementen herumgeschmiert hat (Gesäubert).

Wunderbar löst schließlich – einmal mehr – Sandra Hüller ihren Schlussmonolog. Einer der – wider Erwarten wenigen – berührenden Momente der Inszenierung.

Was war das eigentlich, was sich da gute drei Stunden auf der Bühne abspielte?

War das nun die Sprachlosigkeit vor der quälenden Brutalität Kanes? War das eine Spöttelei über den selbstbezogenen Schmerz der Dramen? Sollte schlicht Komödie gespielt werden? Die Inszenierung blieb in ihren Ansätzen verhaftet, ohne jegliche Konsequenz aus dem Gesagten zu ziehen, was bei einem Dramentext solcher Poetizität wirklich schade ist. Die Herausforderung Kanes schien schlicht ausgeschlagen.

Warum solche Angst vor der Ernsthaftigkeit?

Gesäubert/Gier/4. 48 Psychose

Münchner Kammerspiele

weitere Vorstellungen:

22.01 – 18 Uhr

28.01 – 19:30

31.01 – 19:30

04.02. – 19:30

19.02. – 19:00

22.02. 19:30

Infos unter:

http://www.muenchner-kammerspiele.de

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