Stadt

“Ich habe keine Angst zu sterben”

Jana Edelmann
Letzte Artikel von Jana Edelmann (Alle anzeigen)
Morddrohungen, Polizeischutz, Wohnortwechsel: Roberto Saviano lebt lebt seit seinem Buch “Gomorrha – Reise in das Reich der Camorra” in ständiger Lebensgefahr. mucbook hat den den italienischen Mafia-Entühllungsautor und neuen Geschwister-Scholl-Preisträger getroffen. Ein Porträt
Ehrlich, ehrenhaft und erschütternd: Roberto Saviano vor der Preisverlehung des Geschwister-Scholl-Preis in München

Ehrlich, ehrenhaft und erschütternd: Roberto Saviano vor der Preisverlehung des Geschwister-Scholl-Preis in München

“Du siehst ja aus wie ein echter Mafioso!“ Das  haben italienische Jugendliche letztens voller Bewunderung zu ihm gesagt. Er hätte sich eigentlich darüber freuen sollen, in Süditalien bedeutet das nämlich soviel wie: Du bist ein echter Mann. Roberto Saviano ist ein echter Mann. Er ist mutig, couragiert, ehrlich und tapfer. Aber er konnte sich nicht freuen über das Kompliment. In seinen Ohren muss es zynisch geklungen haben. Roberto Saviano lebt seit drei Jahren mit sieben Carabienieri, die in Italien für sein Ãœberleben sorgen. Zwei gepanzerte Autos begleiten alle seiner Reisen, er schläft abwechselnd in Kasernen und überwachten Wohnungen. Und das alles wegen Mafiosi. Denen er angeblich so ähnelt. Die kalabrische Mafiaorganisation Camorra hat ihn auf ihrer Todesliste, seitdem er 2006 das Enthüllungsbuch „Gomorrha-Reise in das Reich der Camorra“ veröffentlicht hat. Ein Buch, von dem er selbst sagt, dass es eigentlich nichts enthüllt – weil insegeheim alle sowieso schon wussten, was er über die kriminellen Machenschaften der Camorra veröffentlicht hat.

Ein bekannter Schriftsteller werden: Sein größter Traum wurde zum Albtraum

Was er damals aber noch nicht wissen konnte: Dass dieses Buch sein bisheriges Leben verändern würde, dass er zu einem Nomadenleben ohne zu Hause gezwungen sein würde. “Die Mafia hat sich bis dahin nie für Bücher interessiert. Damit hat sie erst angefangen, als mein Buch millionenfach vekauft war.” Sein großer Traum, ein erfolgreicher und bekannter Schriftsteller zu werden – er ist in Erfüllung gegangen. Und gleichzeitig zu einem Albtraum geworden. Dort, wo er geboren ist und sein gesamtes Leben verbracht hat, wollen sie ihn umbringen. „Un odio totale“ – absoluter Hass – schlage ihm aus seiner Heimat Casal di Principe, einer Kleinstadt in der Nähe Neapels, entgegen. „Ich störe die bei ihrem illegalen Geschäftemachen mit Drogen, Müll und Waffen. Darum bin ich ihnen so lästig.“ Trotzdem fühlt er sich immer noch als Casalesi, als Süditaliener. Wie viele seiner kalabrischen Landsleute trägt auch er drei Ringe an den Fingern – „Padre, Figlio e Spirito Santo“ – das ist bei den Süditalienern Symbol für die Dreifaltigkeit Gottes. Traditionen aus der Heimat überstehen anscheinend sogar Morddrohungen.

 Ein Mann ohne Wut, dafür aber mit einer Botschaft

Müsste er nicht wütend sei? Oder verzweifelt? Wenigstens enttäuscht, resigniert? Statt dessen wirkt Saviano aufgeräumt, entschlossen und bestimmt. Ein ruhiger Mann, der eine Botschaft verbreiten will: „Worte können etwas verändern.“ Und der so sehr daran glauben will – oder glauben muss, um nicht zu verzweifeln? – dass er nicht aufhört mit dem Anschreiben gegen Armut, Kriminalität und Ungerechtigkeit. „Das Gegenteil von Tod“ heißt sein neues Buch. Das könnte auch die traurig-schonungslose Beschreibung seines Lebens sein. Aber es geht es um andere junge Männer aus Süditalien. Denen wird vor lauter Armut und Aussichtslosigkeit nämlich oft nur die Wahl gelassen zwischen Militäreinsatz und Mafiakarriere.

Öffentliche Aufmerksamkeit bietet mehr Schutz als Panzerwägen und Leibwächter

Für diese Geschichte ist Saviano jetzt ausgezeichnet worden mit dem Geschwister-Scholl-Preis. Eine Auszeichnung, die ihm vielleicht das Leben rettet: „Dieser Preis schützt mich mehr als ein bewaffneter Personenschutz“. Und die ihn darin bestätigt, dass es richtig war, Mut zu haben: „Der Preis ist für mich eine ganz konkrete Bestätigung. So als habe ich nach so vielen Gedanken, so vielen Worten, ein Ziel erreicht.” Bei der Preisverleihung dürfen keine Taschen mitgenommen werden, die Personalausweise werden kontrolliert, Personenschützer sind im Publikum. Die Veranstalter hatten offenbar Angst um ihren Preisträger. Und er? „Ich habe keine Angst zu sterben.” Und dann, nach einer gedankenverlorenen Pause, fügt der Mann, der im Urlaub nicht mal in Badehose in den Pool gehen darf, weil jeder Ausdruck von Lebensfreude seinen staatlich genehmigten Personenschutz gefährden könnte, einen unglaublich traurigen Satz: “Ich habe Angst davor, so weiter zu leben wie bisher.” 

Roberto Saviano nach der Verleihung des Geschwister-Scholl-Preises

Wenigstens bei offiziellen Anlässen ist er umgeben von einem Schutzwall der Solidarität: Roberto Saviano nach der Verleihung des Geschwister-Scholl-Preises

2 Comments

Post A Comment

Simple Share Buttons
Simple Share Buttons