Kultur, Live

Das Festival und die Pfeifen

Sebastian Gierke
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Das on3 Festival war wieder großartig. Doch Pete Doherty schaute vorbei.  Einige hatten damit ein Problem und so wurde zum ersten Mal in der Geschichte des Festivals gebuht. Deshalb:  eine Publikumsbeschimpfung.

Keine Ahnung ob er, wie angekündigt, im Atomic Café war (Update: Er war wohl da, kann jemand berichten?) , dem on3 Festival jedenfalls hat Pete Doherty vor seinem Konzert im Backstage heute Abend, einen Überraschungsbesuch abgestattet.

Pete Doherty

Pete Doherty

Um Kurz nach 23 Uhr ging er, nur mit seiner Gitarre, auf die Bühne des Studios 1. Schön. Könnte man sagen. Pete Doherty schaut vorbei, spielt eine halbe Stunde, nölt ein bisschen von der Bühne. Alles gut. Man müsste dem gar nicht viel Aufmerksamkeit schenken. Das on3 Festival ist keines der großen Stars und wenn einer, der vom Boulevard entdeckt wurde und jetzt ausgebeutet wird, hier vorbei schaut, bei diesem Festival, bei dem es  ja tatsächlich noch überwiegend um die Musik geht, und nicht um Image und Selbstdarstellung, dann könnte man sich das anschauen, ein wenig belustigt vielleicht vom Selbstdarsteller Doherty,  aber doch mit dem nötigen Respekt für einen der genialsten Songwriter seiner Generation.

spiral

Spiral Beach

Es kam leider anders: Einige der Zuschauer entblödeten sich, während der paar Minuten, die er auf der Bühne stand, zu buhen, zu pfeifen und lautstark „Kettcar“ zu fordern, die eigentlich jetzt auf der Bühne stehen sollten. Und damit denen, die Doherty sehen wollten – und das war sicherlich die Mehrheit – den Auftritt gründlich mies zu machen. Was für Pfeifen, die dem geschenkten Gaul nicht nur ins,  natürlich nicht nach Rosenöl duftende, Maul schauen, sondern dann auch noch so unverschämt und dreist sind, dem Rest der Zuhörer mit ihrer dumpfen Spießigkeit gründlich auf die Nerven zu gehen.

Team Monster

Team Monster

Ein wenig hat es mich schon gewundert, zu sehen und zu hören, dass selbst auf dem on3  ein paar Verwirrte sind, die pfeifen, wenn es nicht nach ihrem Plan läuft. Die ihre Gewohnheiten für die Grundregeln der Welt halten. Die ihre fade Hausmannskost mit der Überzeugungskraft eines arroganten Sternekochs servieren, sich hinter ihrer supercleveren Selbstironiezufriedenheit verstecken und wie bockige Kinder losbrüllen, weil etwas nicht so läuft, wie sie’s gern wollen. Hätten sie lieber zehn Langweiler auf der Bühne gesehen, zehn Normalos, mit denen sie sich identifizieren können?

Speech Debelle

Speech Debelle

Und auch wenn Doherty sicherlich keine musikalische Offenbarung war bei seinem Kurzauftritt, einer wir er, der fernab jeder Klugheitslehre, jeder Kosten-Nutzen-Rechnung, jeder Vernunft lebt, der sich von zumindest vielen Ketten befreit, das ständig feiert, und sich damit bisweilen selbst beschädigt, ist doch wirklich spannender als zum Beispiel die Langeweiler von Kettcar, die mit ein paar Streichern und fein in Anzug und Krawatte ihre DVD promoteten, die man jedem noch so drögen Schlagerfan mit gutem Gewissen unter den Weihnachtsbaum legen könnte. Und die dann auch noch von der Stimmung profitieren wollen, mit der dämlichen Bemerkung: „Hallo, wir sind Kate Moss, äh, Kettcar.“

Bei Doherty war das Studio 1 jedenfalls richtig voll, bei Kettcar nur noch gut zur Hälfte gefüllt. Keine Ahnung,  ob das jetzt Sensationsgier oder doch dem musikalischen Gespür zu verdanken war, dass das Publikum hier ja zum überwiegenden Teil besitzt. Egal, so sieht das sicher auch Doherty. (Weils einige von denen, die gestern gepfiffen haben, wahrscheinlich nicht verstehen:  hier nochmal auf deutsch:  http://www.youtube.com/watch?v=Yf-owX6kZ7M.)  

Und jetzt zum eigentlich Wichtigen, das aber, wie kaum anders zu erwarten, gar nicht mehr vieler Zeilen bedarf. Denn das Festival war, wie immer, grandios. Bei kaum einem anderen Musikereignis wird so deutlich, dass die Popmusik, die Popmusikgeschichte, aus nichts anderem besteht, als aus kommunizierenden Röhren. Überall Zitate, die gar nicht retro klingen, sondern völlig gegenwärtig, die kein Bild der jungen oder sich irgendwie „neon“-mäßig jung fühlenden Generation ergeben können und wollen, kein Ausdruck einer Jugendbewegung  sind, wie Popmusik das in den 70er und 80er des vergangenen Jahrhundert noch war, die aber genau deshalb ein Lebensgefühl wiedergeben, wie es heutiger kaum sein kann. Man lässt sich durch die engen Eingangsröhren in die drei Studios spülen und erkennt hier, was den anderen drüben beeinflusst hat, und warum das da so geil klingt und es interessiert einen gar nicht, eben weil es geil klingt. Die geilsten, die ich gesehen und gehört habe: Spiral Beach aus Toronto, Chris Garneau aus New York, Royal Bangs auf Knoxville und Ebony Bones aus London. Und das Team Monster aus München natürlich. Große Party.

Und heute Abend zu Doherty ins Backstage. Ich freu mich. Und bin gespannt.

 Update: Hier steht die Erklärung der Verantwortlichen für den etwas abrupten Abbruch des Doherty-Gigs. Ich gebe zu, ich hab das mit dem Deutschlandlied erst nach dem Auftritt erzählt bekommen, war ein paar Minuten nach Beginn erst im Studio. Ändert aber nichts an dem, was da oben steht.  

Hier noch zwei Videos vom Doherty-Auftritt:  

http://www.youtube.com/results?uploaded=d&search_query=pete+doherty&search_type=videos

http://www.youtube.com/watch?v=UtXBATT6yl0

Bilder, Interviews, Livemitschnitte zum Nachhören gibt es bei on3.

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